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Bekommt die Ukraine die "Russenhäuser" in Berlin?

Yana Karpova | Anna Savchuk
26. August 2024

Seit dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland hält Russland das Eigentum an mehreren Gebäuden im Berliner Bezirk Karlshorst. Seit 30 Jahren stehen sie leer. Könnten sie beschlagnahmt werden?

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Blick auf die "Russenhäuser" im Berliner Bezirk Karlshorst.  Vor den grauen Gebäuden rechts und links einer Straßen steht ein rotes Auto
In schlechtem Zustand: Die "Russenhäuser" im Berliner Bezirk Karlshorst stehen seit 30 Jahren leerBild: DW

Fast jeder im Bezirk Karlshorst im Südosten Berlins kennt sie - die verlassenen dreistöckigen Gebäude mit morschen Fensterrahmen an der Ecke Andernacher Straße/Königswinterstraße sowie an der Ecke Ehrenfelsstraße/Loreleystraße. Sie stehen nun schon seit 30 Jahren leer und werden von den Menschen einfach "Russenhäuser" genannt.

Fast 50 Jahre lang lebten dort Familien sowjetischer und später russischer Offiziere. Im Sommer 1994 zog Russland seine letzten Truppen aus Deutschland ab, darunter auch aus Berlin. Doch die Häuser sind nach wie vor im Besitz der Russischen Föderation.

Blick auf die Fassade eines der verlassenen "Russenhäuser". Vor den Giebelfenstern befindet sich der Ast einer Birke
Die Wohnungsnot in Berlin hat das Interesse an den leerstehenden "Russenhäusern" verstärktBild: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/picture alliance

Heute sind sie eingezäunt, und manchmal, so sagen Anwohner, kehrt ein älteres russischsprachiges Ehepaar auf dem Gelände Laub und Abfall. Immer wieder haben eingesessene Bürger die Berliner Behörden aufgefordert, den Leerstand zu beenden.

Angesichts der großen Wohnungsnot in Berlin nimmt der Druck seitens der Öffentlichkeit zu. "Eigentlich müsste man den Eigentümer, also Russland, zwingen, hier etwas Positives zu machen, entweder abreißen, neu bauen oder sanieren. Schade, dass hier an diesem Ort so ein Schandfleck besteht", sagt ein Anwohner im Gespräch mit der DW.

Lilia Usik steht vor den "Russenhäusern" und spricht ins DW-Mikrofon
Die Berliner CDU-Abgeordnete Lilia Usik schlägt vor, die "Russenhäuser" zu beschlagnahmenBild: DW

Vor dem Hintergrund der Debatten um eingefrorene russische Vermögenswerte hat nun die aus der Ukraine stammende Politikerin Lilia Usik, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, vorgeschlagen, Russland die Häuser entziehen und an die Ukraine zu übergeben. Die Christdemokratin stammt aus der Region Donezk und lebt seit 2011 in Berlin.

Nach ihren Informationen befinden sich in den "Russenhäusern" mindestens 66 Wohnungen. "Meine Initiative besteht darin, diese Häuser im Rahmen der Sanktionen an die Ukraine zu übertragen", erläutert sie.

Und fügt hinzu: "Die Ukraine kann sie dann verkaufen oder an Deutschland zurückgeben. Auf diese Weise könnte man sie wieder dem Immobilienmarkt in Berlin zuführen, wo eine Krise herrscht."

Wie kamen die Häuser in russischen Besitz?

Karlshorst ist ein ruhiger und grüner Bezirk und bei älteren Menschen und jungen Familien beliebt. Aufgrund seiner Geschichte wird er jedoch oft mit der Stationierung sowjetischer Truppen in Verbindung gebracht.

In Karlshorst wurde am 8. und 9. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation Nazi-Deutschlands unterzeichnet, womit der Zweite Weltkrieg endete. Am 4. Mai 1945 war den Menschen in dem Bezirk per Lautsprecher von der Roten Armee befohlen worden, ihre Wohnungen innerhalb von 24 Stunden zu räumen.

Der Historiker Christoph Meißner erklärt, damals hätten 8000 Deutsche ihre Wohnungen verlassen müssen, in die dann sowjetische Offiziere eingezogen seien. Im Laufe der Zeit, mit der Reduzierung ihrer Truppenpräsenz in Karlshorst, gaben die sowjetischen Besatzungsbehörden Wohnhäuser an die Deutschen zurück. Erst 1994 verließen die Truppen endgültig das Gebiet der ehemaligen DDR.

Portrait des Historikers Christoph Meißner. Er trägt eine schwarze Brille und ein weißes T-Shirt und schwarzes Sakko
Der Historiker Christoph Meißner vermutet, dass Moskau die Häuser noch zu DDR-Zeiten übertragen bekamBild: DW

Doch wie kamen diese Häuser in russischen Besitz? "Es ist ein Paradox, warum diese Häuser immer noch im Besitz der Russischen Föderation sind", sagt Christoph Meißner, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums Berlin-Karlshorst, wo die bedingungslose Kapitulation unterschrieben wurde.

"Eigentlich wurden mit dem Abzug der sowjetischen und später russischen Truppen zwischen 1990 und 1994 alle Liegenschaften in den Besitz der Bundesrepublik Deutschland übertragen, das heißt an das Bundesvermögensamt, was heute die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ist", erläutert der Historiker.

Er betont, dass es keine gesonderte Vereinbarung über die Überführung von Häusern in Karlshorst in russisches Eigentum gegeben habe. Er vermutet, dass die Objekte noch von den DDR-Behörden an die Sowjetunion übergeben worden sein könnten.

Wie die "Russenhäuser" in russischen Besitz gelangten, ist auch der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die unter anderem Liegenschaften der ehemaligen DDR verwaltet, unbekannt. Die Behörde konnte eine Anfrage der DW, ob bestimmte Vereinbarungen in der jüngeren Geschichte eine Übergabe der Gebäude in Karlshorst an Moskau vorgesehen hätten, nicht beantworten.

Was gehört Russland sonst noch in Berlin?

Formal besitzt Russland heute nur noch zwei Objekte in der Hauptstadt - das Botschaftsgebäude und das "Russische Haus der Wissenschaft und Kultur" im Zentrum Berlins. Beide Objekte sind im Gegensatz zu den "Russenhäusern" in Karlshorst diplomatisches Eigentum.

Blick auf das Gelände eines ehemaligen Flugplatzes in Berlin, der in russischem Besitz ist. Im Vordergrund liegen Betonplatten mit Schläuchen, dahinter wilde Vegetation
Auch das Gelände eines ehemaligen Flugplatzes in Berlin ist in russischem BesitzBild: DW

Doch Christoph Meißner sagt, dass es Russland 1994 gelungen sei, ein weiteres Objekt in Besitz zu nehmen - direkt neben dem Museum Berlin-Karlshorst. Dort befindet sich ein ehemaliger Flugplatz mit einem Hangar für Flugzeuge des frühen 20. Jahrhunderts. Aber auch dieses eingezäunte und videoüberwachte Gelände verkommt seit vielen Jahren.

Berliner Initiativen bisher ohne Erfolg

Aber wie stehen überhaupt die Chancen für eine Beschlagnahmung von russischen Immobilien durch eine deutsche Behörde? Laut Berliner Senat existieren derzeit dazu keine rechtlichen Möglichkeiten.

Auf Anfrage der DW heißt es von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, ein ausländischer Staat habe als Eigentümer die gleichen Rechte und Pflichten wie jeder andere Immobilienbesitzer. "Konkrete Pläne zur Nutzung der Häuser durch den Senat und das Bezirksamt setzen eine Rückübertragungsbereitschaft der Russischen Föderation voraus. Hieran fehlt es jedoch derzeit."

Blick auf das Rote Rathaus von Berlin und einen DDR-Plattenbau
Der Berliner Senat sieht derzeit keine Möglichkeit zur Beschlagnahme russischen EigentumsBild: Daniel Kalker/picture alliance/dpa

Gleichzeitig räumt der Berliner Senat ein, dass es bereits Versuche gegeben habe, Moskau die "Russenhäuser" in Karlshorst abzukaufen. Im Jahr 2020 hatten die Berliner Behörden einen Brief an die russische Botschaft geschickt, in dem sie Interesse am Kauf der Immobilie bekundeten. Sie erhielten jedoch nie eine Antwort von den russischen Diplomaten.

Die Berliner Abgeordnete Lilia Usik zeigt sich unterdessen zuversichtlich. In diesem Herbst will sie diese Frage sowohl auf lokaler Ebene mit Vertretern des Senats als auch mit Parteifreunden der CDU diskutieren. Vorerst versucht sie, mit Anfragen an Abgeordnete des Deutschen Bundestages und des Europaparlaments auf die russischen Objekte aufmerksam zu machen.

"Wenn uns das gelingt, wird das einen Präzedenzfall schaffen. Russland muss begreifen, dass eine Diktatur sehr teuer zu stehen kommt, dass all diese Verwüstungen, die sie mit sich bringt, nicht einfach so passieren dürfen, ohne für sie verantwortlich gemacht zu werden", so Usik.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk