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PolitikEuropa

Die Frau, die Lukaschenko herausfordert

Vladimir Dorokhov | Roman Goncharenko
4. August 2020

Sie ist zur Symbolfigur der Opposition geworden: Bei den Präsidentschaftswahlen in Belarus kandidiert Swetlana Tichanowskaja gegen Alexander Lukaschenko. Ein politisches Rennen mit mehreren Überraschungen.

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Bildkombo Alexander Lukaschenko und Swetlana Tichanowskaja

Schon lange war ein Wahlkampf in Belarus (Weißrussland) nicht mehr so spannend. Bis vor kurzem sah es für den autoritären Amtsinhaber Alexander Lukaschenko noch nach einem Routinesieg bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen am 9. August aus.

Der 65-jährige ehemalige Direktor eines sowjetischen landwirtschaftlichen Großbetriebs regiert die frühere Sowjetrepublik seit 1994. Er wird wegen seines Führungsstils in westlichen Medien "Europas letzter Diktator" genannt und hat den Ruf, Land und Leute fest im Griff zu haben.

Doch diese Wahl lässt daran zweifeln. Das Land an der östlichen EU-Grenze verändert sich gerade dramatisch. Seit Wochen fordern Zehntausende bei Kundgebungen ein Ende von Lukaschenkos Herrschaft.

Szenen, an die sich die 9,5 Millionen Weißrussen erst noch gewöhnen müssen. Denn Belarus galt Jahrzehnte lang als eine stabil bis verschlafen wirkende postsowjetische Republik im Schatten Russlands. Ein Machtwechsel schien unmöglich, die Opposition war zerstritten, und die Bevölkerung begehrte dank eines relativen Wohlstands nicht auf. 

Swetlana spricht vielen aus der Seele

Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. "Ich habe es satt, zu schweigen", sagte bei einer Kundgebung in der Hauptstadt Minsk Ende Juli die Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja. Die 37-jährige Hausfrau wirkte auf der Bühne unsicher, doch die Sätze, die sie von einem Papier ablas, sprachen offenbar vielen aus der Seele.

Tichanowskaja ist zu einer Symbolfigur der Lukaschenko-Gegner geworden. Sie stieg ins Rennen ein, nachdem ihr Ehemann, der beliebte Videoblogger Sergej Tichanowskij, nicht als Kandidat zugelassen worden war. Eigentlich will die junge Frau gar nicht Präsidentin werden. Sie kündigte an, im Falle eines Wahlsieges demokratische Neuwahlen auszurufen.

Swetlana Tichanowskaja (Mitte) und ihre Vertreterinnen der nicht zugelassenen Kandidaten Babariko und Zepkalo, Minsk, Ende Juli 2020
Swetlana Tichanowskaja (Mitte) und Vertreterinnen der nicht zugelassenen Kandidaten Zepkalo und BabarikoBild: picture-alliance/AP Photo/S. Grits

Wie gefährlich Tichanowskaja für Lukaschenko werden könnte, lässt sich schwer einschätzen. Es gibt keine unabhängigen Wahlumfragen zu den insgesamt fünf zugelassenen Kandidaten. Staatliche Medien behaupten, Lukaschenko sei bei rund 70 Prozent der Weißrussen beliebt.

Einige oppositionelle Politiker und Medien dagegen vertreten die These, die wahren Werte des Präsidenten würden im unteren einstelligen Bereich liegen. Eine unabhängige Wahlbeobachtung gibt es ebenfalls nicht, denn die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bekam diesmal keine Einladung.

Weniger Wohlstand, mehr Proteste

Anders als etwa in der benachbarten Ukraine galt die Bevölkerung in Belarus lange als politisch passiv. Das lag unter anderem an der relativ erfolgreichen Wirtschaftspolitik Lukaschenkos, die von einer engen Anbindung an Russland, inklusive Kredite, profitiert hatte. Lukaschenko wurde im Volksmund ironisch liebevoll "Batka" (Väterchen) genannt, sein Paternalismus kam gut an.

Doch in den vergangenen Jahren zeigte dieses Modell Schwächen. Zwischen Belarus und Russland gab es immer wieder Streit wegen Energielieferungen. Der Wohlstand der Weißrussen sank, und die Bereitschaft, zu protestieren, nahm zu.

Auch der Umgang Lukaschenkos mit Corona spielt im Wahlkampf wahrscheinlich eine Rolle. Am Anfang hatte der Präsident die Krankheit belächelt und ignoriert. Er empfahl Wodka und Sauna-Besuche und verzichtete auf einen Lockdown, bis er Ende Juli selbst an Corona erkrankte.

Kundgebung für Swetlana Tichanowskaja in Minsk, Ende Juli 2020
Nationaler Aufruhr: 63.000 Menschen waren bei der Kundgebung für Swetlana Tichanowskaja am 30.Juli in MinskBild: picture-alliance/dpa/Sputnik/V. Tolochko

Der politische Wandel deutete sich Mitte Mai an, als gleich zwei Vertreter der regierenden Elite ihre Kandidaturen bei der Präsidentenwahl angekündigten. Der erste von ihnen, Viktor Babariko, war lange Chef der Belgazprombank, einer Tochtergesellschaft des russischen Energieriesen Gazprom. Der zweite, Walerij Zepkalo, ist ein ehemaliger Diplomat und Leiter eines Hochtechnologieparks

Die beiden Herausforderer wurden zur großen Überraschung im Wahlkampf. Trotz ihrer Popularität kamen sie allerdings nicht weit. Ihre Kandidaturen wurden nicht zugelassen. Babariko wurde wegen angeblicher Wirtschaftsverbrechen verhaftet, Zepkalo soll das Land verlassen haben.

Moskau und Minsk zerstritten

Bei den früheren Präsidentschaftswahlen in Belarus gab es traditionell eine geopolitische Rollenteilung: Lukaschenko plädierte für eine Integration mit Russland, während die Opposition für eine Annäherung an den Westen eintrat. Diese klare Trennung gibt es derzeit nicht mehr.

Das Verhältnis zu Russland gilt als angespannt, auch weil sich Lukaschenko diesmal gegen eine noch engere Integration wehrt. Der Präsident wirft Moskau außerdem vor, sich in weißrussische Wahlen eingemischt und oppositionelle Kandidaten unterstützt zu haben.

Lukaschenko und Putin 2016 in Moskau
Lukaschenko und Putin: Mischt sich Russland in Wahlen ein? Bild: picture-alliance/dpa/S. Karpukhin

Für Aufsehen sorgte kurz vor dem Wahltag die Festnahme von 33 Russen, die in Belarus als "Söldner" einer angeblich privaten russischen Kampftruppe bezeichnet werden. Weißrussische Behörden werfen ihnen Vorbereitung von Massenunruhen vor. Moskau bestreitet das. 

Ein Sturz Lukaschenkos gilt zwar immer noch als unwahrscheinlich, aber scheint nicht mehr unmöglich. Der Staatschef hat sich nie gescheut, seine Macht mit Gewalt zu verteidigen. Proteste nach der Präsidentenwahl 2010 wurden brutal niedergeschlagen, Oppositionsführer verhaftet. Damals reagierte der Westen mit Sanktionen, die erst vor wenigen Jahren aufgehoben wurden. Manche Beobachter sehen bereits erneut Züge eines Polizeistaats aufkommen.