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Benachteiligt und ausgegrenzt

Bettina Marx 9. September 2014

Flüchtlingskinder haben es schwer. Auch in Deutschland. Nach einer Studie von Unicef werden sie ihren deutschen Altersgenossen gegenüber oft massiv benachteiligt. Dabei bräuchten sie eigentlich besonderen Schutz.

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Flüchtlingskind in Ingelheim Foto: DPA
Bild: picture-alliance/dpa/Fredrik von Erichsen

Rangina ist 14 Jahre alt. Sie wurde als Kind afghanischer Flüchtlinge im Iran geboren, ging in Pakistan und der Türkei zur Schule und lebt nun in einer Gemeinschaftsunterkunft in Recklinghausen. Doch sie hat keine Papiere und ihre Zukunft ist ungewiss. "Ich weiß nicht, wo ich hingehöre", sagt sie. Rangina ist eines von 65.000 Flüchtlingskindern, die Schätzungen zufolge ohne sicheren rechtlichen Status in Deutschland leben, benachteiligt und immer in Angst vor Abschiebung.

"Kindeswohl nicht an erster Stelle"

Die Rechte, die für deutsche Kinder gelten, finden bei Flüchtlingskindern oftmals keine Anwendung, erläutert Anne Lütkes, Vorstandsmitglied von Unicef Deutschland. "Das deutsche Ausländer- und Asylrecht schränkt für Kinder aus Flüchtlingsfamilien den Zugang zu Bildung, zu medizinischer Versorgung und sozialer Teilhabe gravierend ein." Dies ist das Ergebnis einer Studie, die Unicef Deutschland beim "Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge" in Auftrag gegeben hat. Autor der Studie ist Thomas Berthold. Er hat mehr als 30 Experten befragt, die in den verschiedenen Bundesländern hauptamtlich in der Flüchtlingshilfe arbeiten. Daneben hat er auch mit Flüchtlingen gesprochen, die entweder selbst noch minderjährig sind oder als Kinder mit ihren Familien nach Deutschland gekommen sind und über ihre Erfahrungen berichten konnten. Sein Fazit ist bedrückend: "Bei Flüchtlingskindern steht das Kindeswohl nicht an erster Stelle. Es kommt mal vor, dass es beachtet wird, aber es ist nicht die Regel."

Thomas Berthold, Autor der Unicef-Studie "Flüchtlingskinder in Deutschland" Foto: DW/Padori
Thomas Berthold, Autor der Unicef-StudieBild: DW/S. Padori-Klenke

So würden Kinder und Jugendliche bei Asyl- und Aufnahmeverfahren nicht angehört und ihre Perspektive nicht angemessen berücksichtigt. Ihre Bedürfnisse spielten bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingsfamilien keine Rolle. So sei die "Unterbringung in überfüllten Gemeinschaftsunterkünften ohne klar abgegrenzte Wohneinheiten für das familiäre Zusammenleben der Flüchtlingsfamilien eine ganz große Last". Dies gelte nicht nur für kurze Übergangszeiten nach der Ankunft in Deutschland. Es gebe Familien, die mitunter zehn oder fünfzehn Jahre lang in solchen Massenunterkünften lebten.

Syrische Flüchtlingskinder in Frankfurt/Oder Foto. DPA
Syrische Flüchtlingskinder in Frankfurt an der OderBild: picture-alliance/dpa

Benachteiligung auf allen Ebenen

Auch beim Zugang zu Bildung und zu medizinischer Betreuung werden Flüchtlingskinder Unicef zufolge benachteiligt. So finden sie oft keine Aufnahme in den Regelschulen, vor allem, wenn sie mitten im Schuljahr ankommen. Bei Erkrankungen haben sie nur in akuten Fällen und bei Schmerzzuständen Anspruch auf medizinische Behandlung. Die Genehmigung, einen Arzt aufzusuchen, müssen sie vorher aber bei den Behörden einholen. Freizeitbeschäftigungen und außerschulische Aktivitäten gibt es für sie kaum. Oft fehlt es an den einfachsten Voraussetzungen wie Rückzugsräumen oder bedarfsgerechten Einrichtungen.

Diesen Benachteiligungen der Flüchtlingskinder stünden die Belastungen gegenüber, denen sie ausgesetzt seien, so Thomas Berthold. Oft seien sie trotz ihres jungen Alters die Stützen ihrer Familien in der fremden Umgebung. "Sie sind quasi die Integrationsmittler für die Familien, sie sind die Personen, die schnell die deutsche Sprache lernen, die bei Ämtergängen helfen, die über die Schule oder die Kita den Kontakt mit der Außenwelt aufbauen." Oft würden sie mit dieser verantwortungsvollen Rolle jedoch überfordert und in der Regel hätten sie nur wenig Unterstützung durch deutsche Behörden.

Christoph Strässer, SPD, ist Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Foto: SPD-Fraktion
Der SPD-Politiker Christoph SträsserBild: spdfraktion.de/Susie Knoll/Florian Jänicke

Kinderrechte ins Grundgesetz

Auch bei der Bewertung von Fluchtgründen spiele die Lage der Kinder in den Herkunftsländern keine Rolle, kritisiert Christoph Strässer, Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Ihre Bedrohung durch Versklavung und Ausbeutung, körperliche Misshandlung wie Genitalverstümmelung und Zwangsrekrutierung werde in Asylverfahren nicht ausreichend als Fluchtgrund gewürdigt. Strässer spricht sich darum dafür aus, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. "Für Kinder existiert ein besonderer Schutzbedarf", sagt er. Würden die Kinderrechte im Grundgesetz explizit festgeschrieben, wäre die Lage der Flüchtlingskinder besser, ist er überzeugt.

Die Rechtsanwältin Anne Lütkes ist ehrenamtliches Vorstands-Mitglied von UNICEF Deutschland, Foto: Archiv
Anne Lütkes, ehrenamtliches Vorstandsmitglied von Unicef DeutschlandBild: privat

Auch Unicef Deutschland-Vorstand Anne Lütkes unterstützt dieses Vorhaben. Sie beklagt, dass die von der Bundesrepublik ratifizierte UN-Kinderrechtskonvention nicht in all ihren Bestimmungen umgesetzt werde. So würden zum Beispiel Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren im deutschen Asylrecht als Erwachsene behandelt. Nach der UN-Konvention seien sie jedoch bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres als Kinder einzustufen. "Kinder bleiben Kinder", betont Lütkes. "Wenn sie auf der Flucht sind, brauchen sie besondere Förderung."