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KonflikteNordkorea

Bereitet sich Nordkorea auf einen Krieg im Jahr 2024 vor?

16. Januar 2024

Nordkorea verschärft erneut seine Kriegsrhetorik gegen Südkorea und die USA. Einige Analysten warnen, dass die reale Bedrohung über die aggressive Rhetorik von Kim Jong Un noch hinausgeht.

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Pyongyang, Nordkorea 2023 | Nordkoreas Präsident Kim Jong Un stützt bei der 8. Plenarsitzung des ZK der Arbeiterpartei seinen Ellenbogen auf den Tisch im Plenarsaal
Der nordkoreanische Präsident Kim Jong Un bei einer Sitzung des Zentralkomitees der Arbeiterpartei in PjöngjangBild: KCNA/REUTERS

Der nordkoreanische Staatschef Kim Jong Un beendete das Jahr 2023 mit einer politischen Brandrede vor der Führung der Kommunistischen Partei. Dabei schloss er die Möglichkeit einer friedlichen Wiedervereinigung mit Südkorea aus und bezeichnete die Beziehung als eine "zwischen zwei feindlichen Ländern und zwei Kriegführenden im Krieg".

So berichtet es die staatliche Agentur KCNA. Kim forderte eine "exponentielle" Ausweitung des nordkoreanischen Nukleararsenals und eine Ausweitung der Tests ballistischer Raketen.

Er versprach außerdem, drei neue Spionagesatelliten zu starten. In der Rede warf Kim Südkorea und den Vereinigten Staaten "rücksichtslose Schritte" zur Vorbereitung einer "Invasion" vor und warnte, dass "jederzeit ein Krieg auf der koreanischen Halbinsel ausbrechen kann".

Nordkorea hat im Jahr 2023 eine Rekordzahl an Raketen abgefeuert, darunter im Dezember auch eine - nach eigenen Angaben - nuklearfähige Interkontinentalrakete, die jeden Punkt in den USA erreichen könne.

Ende letzten Jahres startete Nordkorea außerdem eine Rakete, die einen Spionagesatelliten in die Umlaufbahn brachte. Bei dem bisher letzten Starttermin am Sonntag sagte der Norden, er habe erfolgreich eine Hyperschallrakete mittlerer Reichweite abgefeuert.

Am 6. Januar sagte Südkorea, der Norden habe mindestens 60 Artilleriegeschosse in Gewässer nahe der Insel Yeonpyeong an der Seegrenze vor der Westküste der Halbinsel abgefeuert.

Darüber hinaus haben US-Satelliten die Modernisierung und Erweiterung des nordkoreanischen Chemiekomplexes Manpho Unha entdeckt, der mit der Produktion von Chemikalien für Raketentreibstoff und Reagenzien für Atomwaffen in Verbindung gebracht wird.

Im Dezember berichtete die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), dass in Yongbyon ein zweiter Kernreaktor in Betrieb sei und zur Produktion von waffenfähigem Treibstoff genutzt werden könne.

Die "gefährlichste" Situation seit Jahrzehnten

Ein kürzlich veröffentlichter Artikel von "38 North", einer Nordkorea-Analyse-Website des in Washington ansässigen Think Tanks Stimson Center, warnt davor, dass Kims jüngste Schritte über das übliche Getöse hinausgehen könnten.

Robert Carlin, ehemaliger Leiter der Nordostasien-Abteilung im US-Außenministerium, und Siegfried Hecker, Professor für Nichtverbreitungsstudien am Middlebury Institute of International Studies in Monterrey, warnen, die Sicherheitslage auf der koreanischen Halbinsel sei "gefährlicher als je zuvor - seit Anfang Juni 1950, als der Koreakrieg ausbrach".

Nord- und Südkorea – siebzig Jahre im Kalten Krieg

"Das mag übertrieben dramatisch klingen, aber wir glauben, dass Kim Jong Un wie sein Großvater im Jahr 1950 die strategische Entscheidung getroffen hat, in den Krieg zu ziehen", heißt es in dem Artikel.

"Wir wissen nicht, wann und wie Kim den Abzug ziehen will, aber die Gefahr geht bereits weit über die routinemäßigen Warnungen in Washington, Seoul und Tokio vor den Provokationen Pjöngjangs hinaus“, sagen sie und fügen hinzu: "Wir glauben nicht, dass die Kriegsvorbereitungsthemen, die in den nordkoreanischen Medien seit Anfang letzten Jahres auftauchen, nur ein typisches Getöse sind“.

Was hat sich verändert?

Die Analysten sagen, ihre Warnung bezögen sich darauf, dass das nordkoreanische Regime sein lang gehegtes Ziel einer "Normalisierung" der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten aufgebe. Pjöngjang könnte nun glauben, dass eine solche Normalisierung unmöglich sei.

Sie argumentieren, dass Analysten und politische Entscheidungsträger die Bedeutung dieses Normalisierungsziels unterschätzen, da es eine Leitplanke für Kims strategisches Denken darstellt.

Es sei "von entscheidender Bedeutung" zu verstehen, "wie zentral das Ziel der Verbesserung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten für alle drei Kims war, die Nordkorea anführten", heißt es in dem Artikel. Die völlige Aufgabe dieses Ziels durch den Norden habe die strategische Landschaft in und um Korea tiefgreifend verändert, fügen die Analysten hinzu.

Das Scheitern des Hanoi-Gipfels zwischen Kim und dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump im Jahr 2019 sei ein "traumatischer Gesichtsverlust für Kim" gewesen. Im Zentrum der Gespräche stand damals die Möglichkeit einer Lockerung der Sanktionen, wenn Nordkorea im Gegenzug zusagt, sein Waffenprogramm einzustellen, was jedoch nicht zustande kam.

Nordkoreas Machthaber Kim zu Besuch bei Putin

Fünf Jahre später glaubt Nordkorea, dass "die Zeit reif ist, den Status quo in Frage zu stellen", sagen die Analysten. Der Norden baut Beziehungen zu Russland auf und unterstützt Moskaus Krieg in der Ukraine mit der Lieferung von Artilleriegeschossen. Gleichzeitig geht Pjöngjang davon aus, dass sich die USA auf einem "globalen Rückzug" befänden.

Bleibt Nordkorea "rational"?

Andere Analysten sind jedoch skeptisch, dass Nordkorea sich auf einen Krieg vorbereitet. "Aufrufe, sich für einen Krieg zu bewaffnen, sind in Nordkorea keine Seltenheit", sagt Garren Mulloy, Professor für internationale Beziehungen an der Daito Bunka-Universität in Tokio und Spezialist für militärische Fragen.

"Wir sollten nicht so arrogant sein zu glauben, dass das bedeutungslos ist, aber wir sollten uns auch nicht vorstellen, dass es Krieg bedeutet", betont er im Gespräch mit der DW.

Die Sorge sei, sagt er, dass "jedes Anzeichen von Schwäche des Westens" im Nahen Osten, in der Ukraine oder anderswo bei Kim den Eindruck erwecken könnte, "dass dies eine einmalige Gelegenheit sein könnte, die nicht verpasst werden sollte".

Ryo Hinata-Yamaguchi, Assistenzprofessor für internationale Beziehungen an der Universität Tokio, stimmt zu, dass der Zeitpunkt eines militärischen Abenteuers Nordkorea derzeit nicht günstig erscheint.

"Der Norden hat Fortschritte dabei gemacht, China und Russland als Verbündete zu kultivieren, und ich sehe keinen Grund, warum sie zu diesem Zeitpunkt in den Krieg ziehen sollten", sagt er der DW.

"Und obwohl der Norden möglicherweise auf die Unterstützung Moskaus und Pekings angewiesen ist, vertrauen sie ihm nicht genug, um im Falle eines Krieges mit Hilfe aus dem Norden zu rechnen", betont er. Und fügt hinzu: "Meine große Sorge ist weniger ein geplanter Angriff auf Südkorea oder Japan, sondern ein Säbelrasseln, das zu Missverständnissen und einem ungewollten Konflikt führt."

Carlin und Hecker beharren jedoch darauf, dass sich die Welt ernsthaft darüber Gedanken machen müsse, dass der schlimmste Fall eintreten könnte. Der Norden "könnte planen, sich auf eine Weise zu bewegen, die unseren Berechnungen völlig widerspricht".

Dazu gehöre das "mittlerweile routinemäßige Argument, dass Kim Jong Un es nicht wagen würde", einen Angriff auf südkoreanische oder US-amerikanische Militärstellungen zu starten, weil er "weiß", dass Washington und Seoul "sein Regime zerstören würden, wenn er dies täte".

"Die Literatur über Überraschungsangriffe sollte uns vor bequemen Annahmen warnen, die in Washingtons Echokammer gut klingen, in Pjöngjang aber möglicherweise keinen Anklang finden", schreiben sie.

Mulloy sagt dagegen, dass das Narrativ, Nordkorea habe keine andere Wahl als Krieg – weil es mit den USA nicht klar gekommen sei – "viele Lücken in der Logik und Motivation" außer Acht lasse. "Kim ist kein Verrückter; er ist ein sehr rationaler Schauspieler", sagt Mulloy und weiß darauf hin, dass der nordkoreanische Diktator von einem engeren Bündnis mit Russland profitiert. 

Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein.

Wie China geflüchtete Nordkoreaner deportiert

Freiberufliche Mitarbeiter, Julian Ryall
Julian Ryall Korrespondent und Reporter in Tokio