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62 Minuten Erklärungsnot

Marcel Fürstenau17. August 2016

Seit Dienstag ist bekannt, was die Bundesregierung über das Verhältnis der Türkei zu Islamisten denkt. Am Tag danach bemühen sich die Beteiligten, den peinlichen Vorgang herunterzuspielen. Von Marcel Fürstenau, Berlin.

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Deutschland Berlin Außenministerium Pressekonferenz
Bild: picture-alliance/AA/M. Kaman

"Schleierhaft" sei ihr, wie das unter anderem an sie gerichtete Schreiben aus dem Innenministerium an die Medien gelangen konnte. Das sagt Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete der Linken, am Mittwoch im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF). In dem zwölfseitigen Text mit teilweise vertraulichen Einschätzungen heißt es über die Türkei, sie habe sich seit 2011 zu einer "zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt". Diese mutmaßlich auf Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes (BND) basierende Beurteilung ist in dem Text ausdrücklich als vertraulich gekennzeichnet: "Nur für den Dienstgebrauch".

Wer das für die deutsch-türkischen Beziehungen alles andere als hilfreiche Papier gezielt an Journalisten weitgereicht hat, bleibt auch in der Regierungspressekonferenz ungeklärt. Die internationalen Hauptstadt-Medien wollen aber auch und vor allen Dingen wissen, ob innerhalb der deutschen Regierung Einigkeit über den Inhalt des Schreibens besteht. Und davon kann keine Rede sein. Das Außenministerium mache sich die von Medien berichteten Aussagen "in dieser Pauschalität nicht zu eigen", sagt Sprecherin Sawsan Chebli.

Angela Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert Foto: Kaman / Anadolu Agency
Regierungssprecher Steffen Seibert: Gebe "keine Bewertung" des Schreibens abBild: picture-alliance/AA/M. Kaman

Merkels Sprecher betont "besondere Beziehungen" zur Türkei

An welchen Passagen der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage ihr Haus sich konkret stört, lässt Chebli indes offen. Auch Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert verweist mehrmals auf die Vertraulichkeit bestimmter Textstellen. Eines ist aber erkennbar: Sowohl die Bundeskanzlerin als auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier sind mittels ihrer Sprecher erkennbar bemüht, dem heiklen Schreiben die vermeintliche Schärfe zu nehmen. Beide betonen die "besonderen Beziehungen" zur Türkei.

Sie verweisen auf den gemeinsamen Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) und die Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage, aber auch auf die rund drei Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland. Zudem betont Regierungssprecher Seibert, dass sich die Beziehungen der Türkei zu Israel verbessert hätten. Die Türkei unterhält aber auch intensive Kontakte zur palästinensischen Hamas, die von der Europäischen Union und damit auch von Deutschland als Terror-Organisation eingestuft wird. Jener Hamas, die das Existenzrecht Israels nicht anerkennt. Außenamtssprecherin Chebli kommentiert das diplomatisch: "Alles, was an Dialog diesbezüglich geführt wird, ist für die Region immens wichtig."

Deutschland Pressesprecherin Sawsan Chebli
Außenministeriumssprecherin Sawsan ChebliBild: picture alliance/AA/M. Kaman

Diplomatische Konsequenzen hat es wegen des öffentlich gewordenen Schreibens bislang anscheinend keine gegeben. Ihr seien keine bekannt, sagt Chebli unter Hinweis auf ein Gespräch des deutschen Gesandten mit der türkischen Seite. Gleichwohl gibt es inzwischen eine scharfe öffentliche Reaktion aus Ankara. Darin weist das Außenministerium die Einschätzung der Türkei als "zentrale Aktionsplattform" für Islamisten zurück. Die Behauptungen seien "ein neuer Beweis für die schräge Einstellung, mit der seit einiger Zeit versucht wird, unser Land zu zermürben, indem unser Staatspräsident und unsere Regierung ins Visier genommen werden".

Die wichtigsten Informationen stammen vom BND

Die Bundesregierung muss nun hoffen, dass es abgesehen von rhetorischen Retourkutschen zu keiner weiteren Zuspitzung im Verhältnis zur Türkei kommt. Hätte das Außenministerium Einfluss auf das Schreiben nehmen können, wäre es womöglich weniger deutlich ausgefallen. Diese Vermutung ist nach 62 Minuten bohrender Journalisten-Fragen und überwiegend ausweichender Antworten naheliegend. Klar ist aber auch, dass die vom Innenministerium an die Linke verschickte Antwort im Kern die Haltung der Regierung widerspiegelt. Schließlich stammt die Einschätzung der Türkei und ihrer vielfältigen Beziehungen zu Islamisten wesentlich vom BND. Der ist für die Auslandsaufklärung zuständig - und dem Kanzleramt unterstellt.

Die Verantwortung für die schief gelaufene Kommunikation hat schon am Dienstabend das Innenministerium in einer Pressemitteilung übernommen. "Auf Grund eines Büroversehens im BMI ist die Beteiligung des Auswärtigen Amtes an der Schlussfassung nicht zustande gekommen." Am Mittwoch sagt Sprecher Johannes Dimroth: "Da wo Menschen arbeiten, passieren Fehler."