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Ein Tag am Brandenburger Tor

Andreas Kirchhoff6. März 2014

So viele Besucher wie nie kamen im vergangenen Jahr nach Berlin, insgesamt 11,3 Millionen Gäste. Für viele gehört ein Ausflug zum Brandenburger Tor dazu, steht es doch für die bewegte Geschichte der Stadt.

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Totale vom Brandenburger Tor mit Blick in Richtung Westen
Bild: DW/A. Kirchhoff

Am frühen Morgen gehört Berlins Wahrzeichen den Radfahrern. Massenhaft durchqueren sie das Tor an der Grenze zwischen Tiergarten und dem historischen Stadtzentrum. Alle auf der Durchreise ins Büro. Bis auf einen. Es ist kurz vor 9 Uhr, als ein untersetzter älterer Mann sein Rad samt Anhänger sorgsam an die gusseiserne Grünflächenbegrenzung kettet. Er schlüpft in seine Arbeitskleidung, nimmt eine lange Stange und betritt die "Bühne" - den Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor. Als Fahne schwenkender Berliner Bär wartet er nun auf Kundschaft.

Die Kulisse ist ideal: Hinter ihm das mächtige, fast antik wirkende Bauwerk mit Säulen und Durchfahrten, oben drauf lenkt Siegesgöttin Viktoria ihre Quadriga und schaut auf die Stadt. Das tut sie schon seit 1793. Mit Unterbrechungen, weil sie von Napoleon verschleppt und nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg rekonstruiert werden musste. War das Brandenburger Tor zu Zeiten des Kalten Krieges ein von Grenzanlagen eingemauertes Symbol der Teilung, so wurde es 1989 mit dem Fall der Mauer zum Sinnbild für den Sieg der Freiheit. Foto- und Filmaufnahmen mit jubelnden Menschen am Brandenburger Tor gingen um die Welt.

Schwitzen im Bärenkostüm

"Das ist ja nur so ein Ding mit sechs Säulen und einem Balken drauf", sagt ein Teenager und wendet sich ab. Es ist kurz vor 10 Uhr, als die ersten Schulklassen den Platz vor dem Tor beleben. Fast alle haben ein Handy zum Fotografieren. Sogenannte Selfies entstehen, ebenso Gruppenfotos mit und ohne Berliner Bär, aber immer mit dem Brandenburger Tor im Hintergrund. Mittlerweile hat der erste Bär Gesellschaft bekommen. Insgesamt fünf Männer im Bärenkostüm haben sich nach und nach auf dem Platz verteilt. "You want a picture?"

Ein Tag am Brandenburger Tor
Seit Jahrhunderten ist der Bär das Wappentier BerlinsBild: DW/A. Kirchhoff

Für ein paar Euros kann man sich auch neben Darstellern in Uniform fotografieren lassen. Ein als russischer Soldat verkleideter junger Mann behauptet, er mache das nicht wegen des Geldes, sondern um Frauen kennenzulernen.

Unter der Mittagssonne hat in der Zwischenzeit einer der Bären schlapp gemacht. "Ganz schön heiß im Kostüm und der Bärenkopf wiegt bestimmt drei Kilo", sagt Milos. Er ist aus der Slowakei und kommt seit vielen Jahren regelmäßig nach Berlin, um als Fotomotiv vor dem Brandenburger Tor Geld zu verdienen. Die jungen Romafrauen würden beim Betteln auf dem Platz mehr Geld bekommen, sagt er, aber auch für ihn reiche es, um Frau und Kinder zu ernähren. Nur heute seien einfach zu viele Bären vor dem Tor. Aber die anderen seien ja Waschbären, scherzt er. Mit Braunbärkostüm und Schärpe kommt Milos dem Berliner Bären wohl am nächsten, die anderen lassen ihrer Phantasie freien Lauf. Einer trägt eine verspiegelte Sonnenbrille und hat sich ebenfalls in eine Soldatenuniform gezwängt.

Schauplatz der Geschichte

Auch unter den Touristen sind echte Uniformierte. Ein Dutzend Soldaten vom 5. Minensuchgeschwader aus Kiel genießt die Sonne und Kaffee in Pappbechern auf dem Pariser Platz. "Vom Fenster dort oben hat Michael Jackson sein Kind aus dem Fenster gehalten", erklärt der Reiseführer einer Gruppe Amerikanern die jüngere Geschichte des Hotels Adlon. Dann dreht er sich und rattert Daten und Fakten zum Bau des Brandenburger Tores herunter.

Flash-Galerie Brandenburger Tor
Auch US-Präsident Kennedy besuchte 1963 die Westseite des Brandenburger Tors als Teil der Berliner MauerBild: AP

Das Brandenburger Tor war immer schon ein symbolträchtiges Ziel. Für die Mächtigen und für Herausforderer. Während der Kaiserzeit durften nur dessen Familie und Gäste das Tor durchqueren. Später feierten Nationalsozialisten hier die Machtergreifung.

1987 nutzte Ronald Reagan die Kulisse für seine berühmte "Tear down this wall"-Rede. Zuletzt schwitzten Barak Obama und 4000 geladene Gäste im Sommer 2013 unter der sengenden Hitze am Brandenburger Tor. Und als im vergangenen Herbst an gleicher Stelle einige Flüchtlinge für zehn Tage in Hungerstreik traten, fanden sie ziemlich schnell Unterstützung, auch bei Politikern, die sich bevorzugt um ihre Asylanträge kümmern wollten.

Für Sicherheit ist gesorgt

"Demonstrationen müssen angemeldet sein", sagt Fred. Der 63-Jährige arbeitet für eine Sicherheitsfirma und sorgt dafür, dass rund um die beliebte Sehenswürdigkeit die Spielregeln eingehalten werden. Dass niemand am Tor kratzt, um ein Andenken zu ergattern oder die Säulen aus Elbsandstein beschmiert. Ab und zu komme auch eine Polizeistreife, um nach dem Rechten zu sehen, aber in der Regel herrsche eine angenehme Gelassenheit auf dem Pariser Platz. Gerade hilft er einer älteren Frau, die eine Bordsteinkante übersehen hatte, wieder auf die Beine.

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Mit der Abenddämmerung erstrahlt das Tor und mit ihm der Pariser Platz im ScheinwerferlichtBild: DW/Ehsan Norouzi

Am Nachmittag hat sich die Wintersonne im Westen über dem Tiergarten verabschiedet. Pferdekutschen haben sich auf dem Pariser Platz versammelt, auch Rikschas und eine Stretchlimo bieten fußlahmen Besuchern ihre Dienste an. Langsam leert sich der Platz; auch die Bären haben, bis auf einen, die Bühne verlassen. Im Gegenlicht lässt sich nicht mehr gut fotografieren. Dabei haben auch die Nächte ihren Reiz, meint Fred. Dann lassen Scheinwerfer das Brandenburger Tor in einem neuen Licht erstrahlen.