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PolitikAsien

Berlin und EU planen Sanktionen gegen Teheran

10. Oktober 2022

Möglichkeiten zur konkreten Solidarität Deutschlands und der EU mit den protestierenden Iranererinnen sind vorhanden, wenn auch begrenzt.

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Protestierende Iranerinnen auf der Flucht vor der Polizei
Protestierende Iranerinnen auf der Flucht vor der PolizeiBild: picture alliance/dpa

"Wer Frauen und Mädchen auf der Straße verprügelt, Menschen, die nichts anderes wollen, als frei leben, verschleppt, willkürlich verhaftet, zum Tode verurteilt, der steht auf der falschen Seite der Geschichte", sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen) am Wochenende der Zeitung "Bild am Sonntag." Sie kündigte Sanktionen gegen die Führung in Teheran an.

"Wir werden dafür sorgen, dass die EU die Verantwortlichen dieser brutalen Repression mit Einreisesperren belegt und ihre Vermögen in der EU einfriert. Den Menschen in Iran sagen wir: Wir stehen und bleiben an eurer Seite!", erklärte Baerbock weiter. Man werde "in unserer Solidarität nicht nachlassen."

Demonstration für Freiheit und Frauenrechte im Iran vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Demonstration für Freiheit und Frauenrechte im Iran vor dem Brandenburger Tor in Berlin Bild: Michael Kuenne/PRESSCOV/Zuma/picture alliance

Hinter den Kulissen arbeitet Deutschland offenbar mit Frankreich, Dänemark, Italien, Spanien und Tschechien an einem Sanktionspaket. Gemeinsam habe man den europäischen Partnern 16 konkrete Vorschläge unterbreitet, gegen welche Einzelpersonen und Organisationen im Iran Sanktionen verhängt werden sollten, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. Beschließen sollen die EU-Außenminister die Sanktionen bei ihrem Treffen am kommenden Montag (17.10.)

Die EU müsse "schnellstens schlagkräftige Sanktionen verabschieden, die zielgerichtet die iranische Oligarchie treffen", schreibt Bijan Djir Sarai, der in Teheran geborene Generalsekretär der FDP, in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Es dürfe nicht sein, dass Mitglieder der Sittenpolizei, Angehörige der Revolutionswächter und andere Regimetreue, die für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich seien, gleichzeitig jegliche Vorzüge der Freiheit in Europa genießen können. "Entsprechend muss eine Visa-Sperre verhängt und Vermögen in Europa eingefroren werden."

Westliches Dilemma

Tatsächlich dürften solche gegen konkrete Personen gerichteten Sanktionen den größten Erfolg versprechen, sagt Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung. Denn das Arsenal der herkömmlichen Sanktionen sei bereits weitgehend ausgeschöpft, so Scheller mit Verweis auf die Aufkündigung des Atomabkommens im Jahr 2018 durch die USA unter Donald Trump. "Das Regime hat über Jahre gelernt, mit diesen Sanktionen zu leben. Die Leidtragenden hingegen sind die Menschen im Iran", so Scheller im DW-Interview.

Haare zeigen als Protest von Schülerinnen in Shiraz
Haare zeigen als Protest von Schülerinnen in ShirazBild: SalamPix/abaca/picture alliance

In der Frage der Sanktionen stehe der Westen vor einem Dilemma. Denn er wolle mit dem Iran ja weiterhin ein Atomabkommen erzielen. Das sei umso schwieriger, als nicht ganz klar sei, wer daran das größere Interesse habe: Die westlichen Staaten oder die iranische Regierung, die im Gegenzug vor allem auf die Aufhebung der Sanktionen hoffe. "Das macht es schwierig, die Kompromissbereitschaft Irans einzuschätzen, bei den Atomgesprächen ebenso wie bei der Verbesserung der Menschenrechte."

Darum sei nicht auszuschließen, dass herkömmliche Sanktionen das Regime nicht beeindrucken. "Bei individuellen Sanktionen gegen Verantwortliche für die Menschenrechtsverletzungen könnte das allerdings anders aussehen", so Scheller.

Druck über die UN

Dass herkömmliche Sanktionen nur begrenzte Auswirkungen hätten, dieser Ansicht ist auch Simon Engelkes, Referent im Team Naher Osten und Nordafrika der Konrad-Adenauer-Stiftung. Darum könnten andere Formen der Einflussnahme möglicherweise zielführender sein.  Er erinnert daran, dass der Iran seit März dieses Jahres für vier Jahre Mitglied in der UN-Frauenrechtskommission ist. Die Aufnahme des Irans in dieses Gremium war im Frühjahr vielfach kritisiert worden, als "surreal" bezeichnete die regimekritische Webseite Iranwire die Wahl Irans. Nun aber könnte die Mitgliedschaft ein Hebel sein, Einfluss auf den Iran auszuüben, sagt Engelkes.

So habe der Iran als einziger Mitgliedstaat der Frauenrechtskommission die "UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung von Frauen" nicht ratifiziert. "Nun könnte die Bundesregierung auf internationaler Ebene Druck auf den Iran ausüben, diese Konvention zu ratifizieren. Dies würde die Diskriminierung von Frauen im Iran zumindest auf dem Papier beenden. Fraglich ist natürlich, ob eine vermutlich ausbleibende Umsetzung Ergebnisse bringen würde, gerade mit Blick auf die aktuellen Proteste." Insofern seien die Möglichkeiten der Einflussnahme begrenzt.

Porträt des geistlichen Führers Chamenei im Fadenkreuz und in Flammen
Todesdrohung gegen den geistlichen Führer Chamenei, von einer Hackergruppe im iranischen staatlichen TV platziert Bild: @EdalateAli1400/Twitter/AFP

Umso mehr setzt er auf den Druck innerhalb der iranischen Gesellschaft. "Wir beobachten, dass die aktuellen Proteste im Vergleich zu den vorhergehenden viel breiter aufgestellt sind. Die Demonstranten kommen aus unterschiedlichen sozialen Schichten und haben unterschiedliche ethnische Hintergründe."

Internationale Aufmerksamkeit wichtig

Diese breite Solidarität in der iranischen Gesellschaft gelte es zu fördern, sagt Bente Scheller. Die internationale Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten sei sehr wichtig. Das gelte gerade angesichts der Vielzahl von Krisen, die sich gerade auftürmten. "Umso größer ist die politische Verantwortung der Völkergemeinschaft, darauf hinzuweisen und zu verdeutlichen, dass diese Proteste nicht vergessen werden." Das höre sie auch immer wieder aus anderen Regionen, in denen Menschen um ihre Freiheit kämpften. "Es gibt nichts Frustrierenderes für die, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um für Freiheit zu kämpfen, als wenn niemand dies außerhalb der Landesgrenzen widerspiegelt und ihre Stimme zu Gehör bringt. Darum müssen wir unsere Aufmerksamkeit aufrechterhalten."

 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika