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Warum Autokorsos Propaganda für Putin machen

Annushka Schwarz
12. April 2022

Über drei Millionen Russischsprachige leben in Deutschland. Seit Ende März gehen Hunderte auf die Straße – angeblich gegen Diskriminierung. Doch dahinter steckt eine Kampagne, angefeuert durch Lügen.

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Prorussischer Autokorso in Kaufbeuren
Prorussische Demonstration in KaufbeurenBild: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/picture alliance

Das sollte seine Sternstunde werden. Am 3. März 2022, acht Tage nach Russlands Überfall auf die Ukraine, postet der kaum bekannte deutscher Blogger Rene H. auf seinem TikTok-Kanal ein Video. In fließendem Russisch wendet er sich höchst persönlich an den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

"Lieber Herr Putin", sagt er. "Es tut mir leid, dass europäische Länder Sie nicht verstehen (…) Ich wäre froh für jeden, der für Sie hier auf die Straße gehen würde. Das Problem ist aber, dass (…) es unmöglich ist, mit einer russischen Flagge auf die Straße zu gehen. Man wird sofort verhaftet. Warum verstehen Europäer nicht, worum es beim Konflikt zwischen der Ukraine und Russland geht? Ich unterstützte sie vollkommen. Dort (Red.: in der Ukraine) gibt es nur Faschisten und Schweine. Selenskyj soll am besten entfernt werden".  

Russland-Demos in Deutschland
Putin auf dem T-Shirt, Hammer und Sichel auf der Flagge: Demonstrant in BerlinBild: DW

Das Video des deutschen Putin-Verstehers geht viral und erreicht viele russischsprachige User in der ganzen Welt, die kremlnahe Medien konsumieren. Der erste russische Kreml-Sender "Pervyj Kanal" berichtet über einen "mutigen Deutschen", der sich traue, sich öffentlich für Russland einzusetzen. Dass das Vorzeigen der russischen Flagge in Deutschland kein Grund zur Verhaftung ist, Rene H. also Lügen erzählt - völlig egal. Zu diesem Zeitpunkt haben die EU und die USA wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine harte Sanktionen über Russland verhängt: um Druck auf Putin auszuüben, damit er so schnell wie möglich seine Truppen aus der Ukraine abzieht.   

Autokolonne aus der Parallelwelt

Rene H. wird es sein, der einen Monat später zusammen mit seinem russlanddeutschen Freund Christian F., auch bekannt als "Igor", einen Autokorso mitorganisieren wird. Rund 400 Autos überwiegend unter russischen, sowjetischen und deutschen Flaggen fahren am 3. April durch Berlin: zum Entsetzen vieler Passanten, die "Schande!" schreien und Mittelfinger zeigen. Einige Frauen am Straßenrand weinen, weil der Autokorso an dem Tag stattfindet, als die Bilder der mutmaßlichen Kriegsverbrechen aus Butscha veröffentlicht werden.  

"Wie können Sie nur? In der Ukraine sterben Menschen," ruft Erika B., als die Autos in der Torstraße an ihrem Haus vorbeifahren. Sie ist selbst Russlanddeutsche. "Sie leben in einer Parallelwelt!"  

Russland-Demos in Deutschland
Konfrontation: Unterstützer und Gegner des russischen Angriffskrieges treffen in Berlin aufeinanderBild: DW

Zwei Welten prallten aufeinander. Und die Teilnehmer des Autokorsos tun, als würden sie die Aufregung nicht verstehen. "Wir sind für den Frieden", so sagen sie. Hakte man nach, so kriegte man zu hören, dass sie damit einen Frieden nach dem militärischen Sieg Russlands meinen. "Die Wahrheit ist auf Russlands Seite", sagte eine ältere Frau. "Hätte die NATO sich nicht eingemischt, hätten wir mit der Ukraine Frieden! Dort sind alles Nazis", erzählte ein Mann mittleren Alters. "Wir sind hier, um Russland zu unterstützen. Wir werden unsere Leute nicht im Stich lassen", beteuerte ein Familienvater im T-Shirt, auf dem Putins Konterfei prangt. "Ich verstehe nicht, warum jetzt plötzlich alle gegen Putin sind", fügte eine junge Frau hinzu."Er will doch mit seiner Spezialoperation diesen Krieg, der seit 2014 im Donbass andauert, beenden. Er ist mein Präsident". Sie selbst kam vor acht Jahren aus Sibirien nach Deutschland.  

Jeder Vierte steht unter dem Einfluss der Kreml-Propaganda

Protest dagegen hatten Aktivisten der russischen Oppositionsbewegung "Demokrati-Ja" in Berlin organisiert. Sie hielten dem Autokorso ukrainische Flaggen entgegen. So auch Alex S.. Seine ukrainischen Verwandten mussten nach Berlin fliehen und sind in seiner Wohnung in Berlin untergekommen. Er versuchte, den Korso mit seinem Körper zu stoppen. "Das ist eine Propaganda-Aktion! Schämt Euch! Spätaussiedler sind gegen diesen Krieg!", doch seine Botschaft erreichte die Teilnehmer nicht.  

Russland-Demos in Deutschland
Stopp: ein Gegendemonstrant will den Autokorso aufhaltenBild: DW

Der Migrationsforscher Jannis Panagiotidis geht davon aus, dass jeder Vierte der Russischsprachigen in Deutschland unter dem Einfluss der Kreml-Propaganda stehen könnten. Als Orientierung dienen Panagiotidis, der insbesondere zu postsowjetischen Migranten forscht, Zahlen aus dem letzten SVR-Intergrationsbarometer, das noch vor dem russischen Überfall auf die Ukraine veröffentlicht wurde.    

"Am Anfang blieb es aus der Ecke ja recht still", sagt Panagiotidis. "Jetzt aber gibt es vermehrt die prorussischen Demos. Die haben natürlich, einerseits, mit der Angst vor angeblicher Russophobie zu tun, die ja in sozialen Netzwerken mit Fakes gezielt geschürt wird. Andererseits denke ich, dass der Krieg mobilisierend wirkt, und je länger er dauert, desto heftiger wird der Propagandakrieg, desto lauter werden dann auch solche Positionen artikuliert". 

Ukrainische Schüler in Deutschland

Seit Beginn der Invasion beobachtet Medina Schaubert (CDU), wie stark Russischsprachige mit Falschmeldungen über angebliche Russophobie bombardiert werden. In Marzahn-Hellersdorf, wo sie mit ihrem Verein Vision e.V. Integrationsarbeit leistet, leben etwa 30.000 Spätaussiedler. Viele von ihnen konsumieren seit Jahren russischsprachige Medien und könnten jetzt besonders anfällig für die aggressive russische Staatsideologie sein. Nachrichten über "Russenhass" in Deutschland verbreiten sich wie Lauffeuer in zahlreichen Telegram-Chats der russisch- und deutschsprachigen Querdenker. Die meisten davon sind gefälscht, um die Stimmung anzuheizen und Öl ins Feuer zu gießen. Allein der Kanal "DeutschRussische Freundschaft" zählt über 30.000 Abonnenten.   

Erinnerungen an den "Fall Lisa"

Schaubert erkennt ähnliche Muster wie 2016 im "Fall Lisa", als die erfundene Geschichte eines minderjährigen, russlanddeutschen Mädchens, das angeblich von Flüchtlingen vergewaltigt wurde, für großes Aufsehen sorgte. Später fand man heraus, dass hinter der Kampagne russische und deutsche rechtsgerichtete, kremlnahe Netzwerke standen. Die AfD nutzte die Stimmung aus, um Spätaussiedler für sich bei den Wahlen zu gewinnen. 

"Ich verstehe nicht, warum man in Deutschland nach diesem Fall russischsprachige Staatssender wie Pervyj Kanal und RTR nicht verboten hat", sagt Schaubert der DW am Telefon. "Man darf sich dabei nicht auf die Pressefreiheit berufen. Denn es sind keine Medien, sondern Propaganda-Instrumente." Sie berichtet von mehreren Fällen, in denen russischsprachige Kinder in den Schulen auf Ablehnung stießen, weil sie sich vor der Klasse positiv über Putin oder Russland äußerten. "Diese Kinder verstehen die Welt nicht mehr, weil ihre Eltern zuhause aktiv Russland verteidigen und die Ukraine zusammen mit dem Westen für schuldig erklären. Es ist eine verkehrte Welt. Die Kinder als Propaganda-Opfer tun mir leid", so Schaubert. 

Altbewährte Netzwerke

In rechten Telegram-Gruppen verbreiten sich derweil weiter Whatsapp-Nachrichten darüber, dass ein Jugendlicher sich vor seiner Klasse von Putin distanzieren solle. Das wird in Chats als Russenhass und "psychologische Gewalt" interpretiert. Eine russlanddeutsche Schülerin in Stuttgart sagt in die Kamera eines Querdenker-Youtubers, dass im Geschichtsunterricht nur über den Krieg geredet würde und Russen als Dreck dargestellt würden. "Alle schreien nur "Ruhm für die Ukraine". Und irgendwann werden wir hier genauso eingeschüchtert wie die Russischsprachigen in der Ukraine".   

Es sei wenig überraschend, dass der Kreml im Krieg auf seine Propaganda-Netzwerke in Deutschland zurückgreife, meint der Politikwissenschaftler und Russland-Experte Felix Riefer. "Russland führt einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine und sieht sich dabei auch im Krieg gegen den Westen insgesamt. Dies nehmen Putin und die russische Führungselite für sich als existenziellen Kampf wahr und stellen ihren Angriffskrieg als Verteidigungskrieg dar", so Riefer.  

Propaganda und Fakes im Ukraine-Krieg

Zurück zu Rene H., dem deutschen Blogger, der eine Video-Botschaft an Putin richtete. Nachdem er wegen des Berliner Autokorsos in die Kritik geraten war, löschte er alle Videos von seinem TikTok-Kanal. Noch zu finden ist jedoch eine Webseite, die Rene H. nur zwei Tage vor Beginn der russischen Invasion am 22.2.2022 eingerichtet hat. Dort verbreitet er Falschmeldungen über den Krieg in der Ukraine auf Deutsch. Rene H. ist offensichtlich ein Querdenker, der in Deutschland Kreml-Propaganda verbreitet. Am 11. April gibt Rene H. ein Interview auf dem Youtube-Kanal des Compact-Magazins, das vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft wird. Im Hintergrund des Studios ist ein Plakat mit Taube zu sehen und dem Schriftzug "Frieden mit Russland".  

Mobilisation vor Ort

Eine Aktivistin, die unerkannt bleiben möchte, beobachtet seit Jahren, wie über Vereine und Medien versucht wird, Menschen in Deutschland im Sinne der Kreml-Ideologie zu manipulieren. "Auf Videos in den Sozialen Medien ist mir aufgefallen, dass die Plakate und die Redner auf den ersten pro-russischen Kundgebungen teilweise dieselben waren", sagt sie. "Sie waren auf Tour, um Menschen vor Ort zu mobilisieren und das Thema "Russen werden in Deutschland gemobbt" zu setzen", vermutet sie. "Wenn man das nur oft genug wiederholt, wird man daran auch glauben".  

Russland-Demos in Deutschland
Rene H. machte auf TikTok Stimmung für den russischen AngriffskriegBild: Russisches Staatsfernsehen

Auf der pro-russischen Kundgebung in Stuttgart am 9. April hielten Demonstranten mehrere professionell gemachte Banner in roten Farben in die Höhe. Auf einem stand ein Zitat des ehemaligen tschetschenischen Gewaltherrschers Achmad Kadyrow: "Ich war immer stolz auf mein Volk". Auch diese Demonstration wurde angemeldet als Kundgebung zum Schutz der Russischsprachigen. Wieder nahmen einige Hundert Menschen teil – keine große Zahl angesichts von rund drei Millionen Russischsprachigen in Deutschland.

Der Autor dieses Artikels hat aus Sicherheitsgründen ein Pseudonym verwendet.