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Berlin wird Magnet für israelische Startups

Dana Regev / Jeanette Seiffert12. Oktober 2014

Künstler und Hipster aus Israel suchen schon seit langem ihr Glück in der deutschen Hauptstadt. Doch jetzt entdecken auch immer mehr erfolgreiche israelische IT-Unternehmer Berlin für ihre Geschäftsmodelle.

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Berliner Skyline bei Nacht. Foto: Fotolia.
Bild: Fotolia/VanderWolf Images

"Berlin ist arm, aber sexy", so drückte es einst der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) aus. Berlin gilt als eine der coolsten Metropolen Europas - aber auch als wirtschaftlich nicht besonders erfolgreich. Billige Mieten und ein pulsierendes Nachtleben ziehen schon seit dem Fall der Mauer vor 25 Jahren junge Menschen aus aller Welt in die deutsche Hauptstadt. Seit einiger Zeit sind auch viele junge Israelis darunter: Sie wandern aus, weil sie frustriert sind von der politischen und wirtschaftlichen Situation in ihrer Heimat.

Oder vielleicht auch einfach, weil das Leben in Deutschland für sie geradezu paradiesisch günstig ist: Kürzlich sorgte das skurrile Facebook-Posting eines jungen in Berlin lebenden Israelis für Furore. Es zeigt das Bild eines Fertig-Puddings in einem Supermarktregal, der mit 19 Cent ausgezeichnet ist - versehen mit der Aufforderung: Wir sehen uns in Berlin! Über eine Million Internetnutzer haben sich den Facebook-Eintrag bisher angesehen. Ein Becher Schokopudding für 19 Cent: Was der junge Mann kaum glauben konnte, hat vor allem seine Landsleute in Aufregung versetzt. In Israel kostet das gleiche Produkt ein Vielfaches. Zehntausende Israelis haben daraufhin angekündigt, auswandern zu wollen - ins Land der billigen Lebensmittel.

Doch offenbar wird die Hauptstadt auch für erfolgreiche Geschäftsleute immer attraktiver. IT-Profis, die aus Israel hohe Gehälter und einen bequemen Lebensstil gewohnt sind, entdecken Berlin als eine Stadt, von der aus sie alle europäischen Märkte erreichen können. "Wir haben erkannt, was für ein großes Potential Deutschland hat - ganz im Gegensatz zu den USA", sagt Moshe Bar-Oz, Gründer des israelischen Startups ShopEat. "Wir haben hier fast keine Konkurrenz." In Berlin habe er sogar schon die Chefs großer Unternehmen persönlich getroffen: "Wer würde in den Vereinigten Staaten jemanden wie mich auch nur beachten?"

Hipster auf Fahrrad. Foto: Fotolia.
Nicht mehr nur Hipster zieht es nach BerlinBild: Fotolia/Kaponia Aliaksei

Berliner Verlockungen

ShopEat hat eine Technologie entwickelt, die aus Kochrezepten detaillierte Einkaufslisten erstellt. Neuerdings gibt es eine Kooperation mit der deutschen Lifestyle-Seite GoFeminin. Moshe Bar-Oz erwägt, den Firmensitz nach Berlin zu verlegen: "Berlin ist billiger als Tel Aviv", erklärt er. Wie viele andere Jungunternehmer lässt auch er sich nicht abschrecken von Berichten über angebliche antiisraelische oder judenfeindliche Stimmungsmache in Deutschland - im Gegenteil gefällt es ihm besonders gut, mit welchem Respekt die Deutschen ihren israelischen Geschäftspartnern begegnen: "Sie fragen nach, wann wir Zeit für sie haben, wann es für uns am bequemsten ist, sie zu treffen."

Lior Wayn kam vor drei Monaten nach Berlin, um mit seinem Startup an dem Investorenprogramm "Plug and Play Accelerator" des Axel-Springer-Verlags teilzunehmen. Das größte Verlagshaus Europas hat kürzlich bereits den israelischen Onlineanzeigen-Anbieter yad2 gekauft, für rund 165 Millionen Euro.

Das Unternehmen von Lior Wayn hat ein System entwickelt, mit dessen Hilfe man Muttermale oder Hautveränderungen, die zu Krebs führen können, in einem frühen Stadium entdecken kann - mit Hilfe eines Smartphones oder einer Digitalkamera. Die Idee für die Anwendung kam ihm, als sein Vater an einem Melanom erkrankte, eine Form von Hautkrebs. "Er hat sich wieder erholt, aber um zu verhindern, dass der Krebs wiederkehrt, muss er sich regelmäßigen Kontrollen unterziehen", so Wayn. "Der Arzt muss Veränderungen an Muttermalen mühsam mit dem bloßen Auge analysieren - aber man kann sich vorstellen, dass er auch mal müde oder abgelenkt ist." Und warum hat er sich ausgerechnet Berlin ausgesucht? "Hier ist alles bequemer und einladender als anderswo", sagt der junge Unternehmer.

Startup-Treffen in Berlin. Foto: DW.
Startup-Treffen in Berlin: Respektvoller Umgang als StandortvorteilBild: DW

Berlin, das Tor nach Europa

Fünf von acht der jüngst geförderten Startups beim Programm "Plug and Play" kommen aus Israel. Und alle haben sich mittlerweile entschlossen, dauerhaft in Berlin zu bleiben - sie eröffnen dort Büros oder wickeln einen großen Teil ihrer Geschäfte in der deutschen Hauptstadt ab. "Jeder in Deutschland betrachtet Israel als Land der Startups, insbesondere im Bereich der IT-Sicherheit", erklärt Jörg Rheinboldt, der das Programm leitet. "Das mag ein Stereotyp sein, aber es stimmt." Für Israelis sei der deutsche Markt ein gute Nagelprobe für mögliche Investoren, um einschätzen zu können, ob es das Startup auch außerhalb des eigenen Landes schaffen kann.

Beim Axel-Springer-Verlag hat die Unterstützung Israels eine lange Tradition - doch Rheinboldt versichert, dass die Motive in diesem Fall rein geschäftlicher Art sind: "Wir wollten Startups aus Osteuropa, der Türkei und Israel haben, weil wir daran glauben, dass dort viele gute Dinge entstehen", sagt er. "Es war völlig pragmatisch. Wir wollen mit kreativen Menschen arbeiten, und wir sind interessiert an neuen Technologien. Im Gegenzug bieten wir ihnen finanzielle Unterstützung, Management und eine Menge Kontakte."

Hightech gefragt wie nie

Der "Plug and Play Accelerator" des Axel-Springer-Konzerns ist nur ein Beispiel dafür, wie sehr sich die deutsche Hauptstadt um die jungen Unternehmen bemüht. Im Sommer wurde im angesagten Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ein Startup-Zentrum eröffnet - nach dem Willen von Politik und Wirtschaft soll es das Herzstück der Berliner Gründerszene werden. In der ehemaligen Brauerei haben sich bereits die Internetfirmen Twitter, Soundcloud, Mozilla und Zendesk angesiedelt.

Berliner App-Startup. Foto: DW.
Berliner App-Startup: "Hungrig nach neuen Technologien"Bild: DW

Aber auch abseits dieser gezielten Förderprogramme finden viele Israelis Jobs in der wachsenden Berliner Hightech-Branche oder kommen mit ihren eigenen Geschäftsideen. Im "Spitz", einem hebräisch-sprachigen Berliner Magazin für Israelis, gibt es sogar eine spezielle Rubrik für Startups in der Hauptstadt. Auch eine Facebook-Gruppe mit dem Namen "Deutsch-israelisches Hightech-Forum" ist sehr aktiv, dort finden sich sowohl Einträge von israelischen als auch von deutschen Firmen. "Es fehlt in Deutschland oft noch an Ideen", sagt Eli Ken-Dror, Chef und Mitbegründer von Vicomi, einer Firma, die Programme entwickelt, die Stimmungen von Online-Nutzern erkennen können. "Anders als die Amerikaner sind die Deutschen immer noch hungrig nach neuen Technologien." Für den Unternehmer Eli Ken-Dror ist es ganz logisch, dass so viele israelische Unternehmen darüber nachdenken, eine Dependance in Berlin zu eröffnen: "Es ist das Zentrum Europas, nicht weit von Israel und allen anderen wichtigen Städten auf dem Kontinent entfernt."

Einfach nur arm, aber sexy ist Berlin also längst nicht mehr, sondern auf einem guten Weg, zu einer typischen europäischen Metropole zu werden: erfolgreich - und ziemlich anziehend.