Interview Bernd Schmidbauer
3. Juli 2013DW: Herr Schmidbauer, die Aufregung ist groß über die Datensammelwut der US-Geheimdienste. Können Sie sich als ehemaliger Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt auch aufregen?
Bernd Schmidbauer: Das ist zwiespältig. Jeder weiß, welche technologischen Möglichkeiten es heute gibt. Aber diese Gigantomanie beim Datensammeln, das ist schon neu, dass hier wie mit dem Staubsauger alles aufgesaugt wird, auch aus dem privaten Bereich. Das verheißt für die Zukunft nichts Gutes.
Sie fordern mehr Zurückhaltung beim Datensammeln. Hat es die auf US-amerikanischer Seite früher gegeben?
Wir haben immer eine recht gute Zusammenarbeit gehabt. Dass es unter Freunden dieses gigantische Ausmaß der Überwachung gibt, das ist neu.
Nehmen Sie der Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Empörung über die US-Wanzen in den europäischen Botschaften ab? Musste man nicht vermuten, dass die NSA auch Freunde verwanzt?
Ich fand die Reaktion von Frau Merkel völlig normal. Aber ich erinnere mich, dass ich in den 90er Jahren bereits gewarnt habe, dass wir eine Rundumabwehr brauchen. Wenn man sieht, wie über China, über Russland, über all die bösen östlichen Nachbarn geschrieben wurde und welche bedrohlichen Szenarien da an die Wand gemalt wurden. Und jetzt passiert genau das alles unter Freunden, bloß in noch größerem Ausmaß. Das Schlimmste ist eigentlich, dass unser Nachbar und EU-Partner Großbritannien auch noch mithilft beim Anzapfen der Atlantikkabel. Das war sicher auch für Frau Merkel überraschend.
Hat die Spionageabwehr geschlafen? Dass Botschaften verwanzt werden, das ist ja nicht ganz neu.
Da gibt es natürlich Versäumnisse. Wenn ich den Präsidenten des Europäischen Parlaments höre, der sich beklagt, dass in Brüssel Büros verwanzt sind, dann frage ich mich natürlich, ob die Leute träumen. Da muss ich mich halt darum kümmern, dass mein Büro sauber bleibt.
Braucht die Europäische Union eine eigene Spionageabwehr?
Sie bräuchte zumindest eine Abwehr-Beratung von Geheimdiensten, die der Europäischen Union angehören. Wobei man aufpassen muss, dass das nicht dazu benutzt wird, dass Europäische Partner sich gegenseitig ausspähen in Brüssel. Aber notwendig ist das.
Sie haben die deutschen Geheimdienste koordiniert. Hat der BND nie Botschaften verwanzt?
Soweit ich das übersehe, haben wir solche Wege nicht beschreiten müssen, wir haben andere Möglichkeiten gehabt, um im Ausland an Informationen zu kommen.
Gibt es bei den deutschen Diensten eine Zurückhaltung gegenüber Freunden?
Es gibt schon Freunde in diesem Bereich. Und unter Freunden gibt es eigentlich immer weniger Grund, sich zu belauschen, weil die Kontakte immer enger werden.
Ging es der NSA in Brüssel um Wirtschaftsspionage?
Das ist das andere große Feld. Wenn ich die Informationen der jüngsten Zeit zusammenrechne, dann ist Industriespionage kein Randproblem mehr, kein Abfallprodukt sozusagen bei der Terrorabwehr. Es geht vielmehr um Milliardenschäden, die uns zugefügt werden. Ausgerechnet Amerikaner und Briten, die immer von fairem Wettbewerb reden und von Regeln gegen Korruption und Bestechlichkeit, durchbrechen hier mit solchen Lauschaktionen sämtliche Regeln. Das ist ein ganz düsteres Kapitel der Verzerrung auf dem Weltmarkt.
Brauchen wir mehr Spionageabwehr gegenüber Freunden?
Es gibt Patente und Technologien in unserem Land, die nicht in fremde Hände fallen sollen, weil dadurch wirtschaftlicher Schaden entsteht. Wir müssen die Sorglosigkeit abbauen. Es gab ja nicht wenige Fälle, bei denen bestimmte Patente und Dokumente aufgetaucht sind, wo sie nicht hingehören. Es ist offensichtlich üblich geworden, dass unter dem Deckmantel der Terrorabwehr im großen Stil Wirtschaftsspionage betrieben wird.
Von amerikanischer und britischer Seite?
Von allen Seiten. Hier ist natürlich die Bundesrepublik Deutschland als große Industrienation mit hohen technologischen Fortschritten besonders interessant. Ein Spionageaufwand, der sich in einem Entwicklungsland in Afrika vielleicht nicht so lohnt, bei uns lohnt er sich und deshalb müssen wir davon ausgehen, dass von allen Seiten Angriffe gefahren werden. Im Verfassungsschutzbericht und in anderen Berichten können Sie die Angriffe nachlesen, allerdings immer nur die eine Seite: Die bösen Chinesen, und diese Bösen und jene Bösen. Von unseren lieben Freunden war hier bisher nicht die Rede.
Sind wir, die Deutschen, da die Heiligen?
Nein, überhaupt nicht. Deshalb müssen wir international ein gemeinsames Regelwerk aufbauen, das absolut überwacht und eingehalten wird.
Betreibt der BND Wirtschaftsspionage?
Nein. Das ist nicht im Aufgabenkatalog und das wird auch kontrolliert.
Was meinen Sie dann damit, dass die deutschen Geheimdienste auch keine Heiligen sind?
Wir sind auch Sammler und Jäger im Ausland. Weil es sein muss. Wenn ich an Spannungsgebiete denke, an Krisengebiete, an Gebiete, in denen unsere Interessen verletzt werden, da müssen wir eben versuchen, an die entsprechenden Informationen zu kommen. Da sind wir genauso bemüht wie alle anderen.
Das ist der Job der Geheimdienste. Aber machen wir auch Wirtschaftsspionage?
Mit Sicherheit nicht. Mit Sicherheit machen wir keine Wirtschaftsspionage. Das heißt, bei uns anfallende Informationen werden nicht dazu verwandt, wirtschaftliche Vorteile zu erzielen.
Gibt es bei den Verantwortlichen für die Geheimdienste eine Diskussion, ob wir Wirtschaftsspionage machen sollten?
Das ist mit unseren Grundsätzen nicht vereinbar.
Aber die Versuchung ist da?
Die Versuchung gibt es immer. Es gibt auch bei uns die Versuchung, die Kommunikationstechnologien zu missbrauchen. Aber was wir können, dürfen wir deshalb noch lange nicht immer tun. Wir haben heute eine ungebremste Technologie, die alles, aber auch alles umsetzen kann.
Sie sagen, die Versuchung ist da. Funktionieren in Deutschland die Mechanismen der Selbstbeschränkung, oder gibt es doch immer wieder Fälle, wo die Selbstbeschränkung nicht funktioniert?
Das ist schwierig, ganz schwierig zu sagen. Illegale Aktionen kann es immer geben. Aber eine aktive Wirtschaftsspionage macht für Deutschland keinen Sinn.
Das Interview führte Alois Berger.
Bernd Schmidbauer (CDU) war von 1983 bis 2009 Mitglied im Bundestag. 1991 war er Parlamentarischer Staatssekretär beim Umweltministerium, schon Ende 1991 wechselte er als Staatsminister beim Bundeskanzler in das Bundeskanzleramt. Hier war er bis 1998 für die Koordination der deutschen Geheimdienste, Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischer Abschirmdienst, zuständig.