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Politik

Kluft zwischen Arbeitsmarkt und Zuwanderung

12. Februar 2019

Die Zuwanderung stärker zu steuern, empfiehlt die Bertelsmann-Stiftung in einer Studie zur Entwicklung des deutschen Arbeitsmarkts. Die Digitalisierung erfordere qualifizierte Kräfte. An denen fehle es derzeit aber.

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Berufe - menschliche Miniaturfiguren auf Computertastatur
Bild: picture-alliance/Ulrich Baumgarten

Der deutsche Arbeitsmarkt ist nicht ausreichend auf die Digitalisierung vorbereitet. Das ist im Kern die Aussage der von der Bertelsmann-Stiftung herausgegebenen Studie "Zuwanderung und Digitalisierung", die nun veröffentlicht wurde. Die Digitalisierung vernichte insgesamt nicht so viele Arbeitsplätze, wie man befürchten könnte. Viele gingen zwar verloren, dafür entstünden aber auch neue, allerdings sehr anspruchsvolle. Um sie zu besetzen, bedürfe es künftig einer verstärkten Einwanderung, aus der Europäischen Union und weiteren Ländern.

Das Szenario gründet auf insgesamt 18 Annahmen. Sie konzentrieren sich allesamt auf die Digitalisierung aller Wirtschaftssektoren hin zur so genannten "Wirtschaft 4.0". Rund 80 Prozent der Wertschöpfung im produzierenden Gewerbe wie auch bei den Dienstleistungen werde in Zukunft auf digitaler Basis stattfinden, erwarten die Autoren.

Dafür, so die Autoren, werde etwa das verarbeitende Gewerbe seine Maschinen massiv digitalisieren, sodass die bisherigen Angestellten diese Maschinen nur noch bedingt bedienen könnten. Die darum nötigen IT-Dienstleistungen würden die Unternehmen einkaufen - zu sehr hohen Kosten. Die Autoren erwarten Investition von anfangs rund 300 Milliarden Euro pro Jahr, die sich jährlich um ein halbes Prozent steigerten.

Gleichzeitig würden die Unternehmen ihre Investitionen in die Weiterbildung deutlich steigern. Bis zum Jahr 2025 würden dafür rund 6,6 Milliarden Euro im produzierenden Gewerbe ausgegeben und 18,8 Milliarden im Dienstleistungsbereich.

Infografik Industrie 4.0 Deutsch

Deutscher Arbeitsmarkt für Digitalisierung unzureichend gewappnet

Für diese Entwicklung sehen die Autoren der Studie den deutschen Arbeitsmarkt unzureichend gewappnet. Träfen die Annahmen der Autoren zu, würde sich eine bereits jetzt beobachtbare Entwicklung weiter verschärfen: "Die größten Engpässe treten aktuell bei Hochqualifizierten auf; gemessen am verfügbaren Arbeitskräfteangebot ist die Nachfrage nach Akademikern, Meistern und Technikern derzeit am größten." Diese Nachfrage werde in den kommenden Jahren weiter zunehmen. 

Selbst wenn die Digitalisierung langsamer fortschreite, bliebe die Lage auf dem Arbeitsmarkt für Fachkräfte angespannt: Insgesamt werde der Arbeitskräftebedarf zwischen 2017 und 2035 um beinahe 1,13 Millionen Erwerbstätige sinken. Das sei ein moderater Rückgang, merken die Autoren an. Steigenden Bedarf sehen sie allerdings ausschließlich bei Experten und Spezialisten.

Die Aussichten für Arbeitskräfte mit niedriger Qualifikation dagegen seien bereits heute sehr ungünstig. So seien im vierten Quartal 2017 auf 421 Arbeitslose rund 100 offene Stellen gekommen.

Einwanderung qualifizierter Kräfte unverzichtbar

Angesichts des Missverhältnisses zwischen Anforderungen und Angebot gehen die Autoren davon aus, dass das Angebot an adäquat qualifizierten Arbeitskräften ohne Zuwanderung mittel- und langfristig massiv schrumpfen werde - nämlich um rund ein Drittel, also fast 16 Millionen Personen bis zum Jahr 2060. "Selbst eine in realistischem Maße steigende Erwerbsbeteiligung der Inländer könnte diesen Rückgang nur etwas abbremsen - um 1,8 Millionen Personen bezogen auf das Jahr 2060." 
Diese Herausforderung lasse sich nur durch Einwanderung von außen bewältigen, so die Autoren. Nötig sei ein Wanderungsgewinn von rund 260.000 Personen jährlich.

Hannover Messe - Industrie 4.0 und reale Turbine
Mehr Digitalisierung verlangt Arbeitnehmern immer höhere Qualifikation abBild: DW/H. Böhme

Allerdings entspreche deren bisherige Zusammensetzung den künftigen Anforderungen nicht. So habe sich in den vergangenen acht Jahren die jährliche Erwerbsmigration aus Drittstaaten mehr als verdoppelt: Von den Menschen, die 2017 aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland kamen, um hier Arbeit zu finden, verfüge mehr als ein Drittel über keinen Berufsnachweis.

Empfehlung: Zuwanderung dem Arbeitsmarkt stärker anpassen

Vor diesem Hintergrund, heißt es in der Studie, zeige sich, "dass die aktuelle Migrationspolitik, trotz steigender Erwerbsmigration von (hoch) qualifizierten Fachkräften, Fehlanreize in Bezug auf die künftig benötigte Zuwanderung setzt." Der weiter steigende Bedarf an Hochqualifizierten spiegele sich in den aktuellen Zuwanderungsstrukturen derzeit kaum wider. Ähnlich sehe es bei der durch Asylsuche motivierten Migration aus: "Blickt man auf die wichtigsten Asylherkunftsländer, arbeiten etwa 65 Prozent der Migranten in Helferberufen."

Die Zuwanderung müsse daher den qualitativen Anforderungen des Arbeitsmarktes entsprechen. Nur eine Zuwanderung von Drittstaatenangehörigen mit geeigneter Qualifikation sichere eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt und beuge Fachkräftemangel vor. 

Zuwanderung von unqualifizierten Personen dagegen würden beiden Seiten zu schaffen machen. Das Resultat wäre "Immigranten, die keinen (adäquaten) Job finden, und Unternehmen, die ihre offenen Stellen (weiterhin) nicht besetzen können". Damit das bloße Einmünden von Immigration in Erwerbslosigkeit oder Stille Reserve verhindert werde, empfehlen die Autoren, müssten die migrationspolitischen Weichen richtig gestellt werden.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika