Bertolt Brecht: "Dreigroschenroman"
6. Oktober 2018Sein neuer "Dreigroschenroman" sollte schnellstmöglich gedruckt werden, der erfolgreiche Autor brauchte dringend Geld. Der Exilverlag Allert de Lange in Amsterdam hatte ihm einen großzügigen Vorschuss zugesagt, knüpfte die Auszahlung aber an eine pünktliche Lieferung des Manuskriptes. Das sollte ein Drama in vielen Akten und ein großer Zwist werden.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten hatte den Theatermann Bertolt Brecht ins Exil nach Dänemark vertrieben. Um der Verhaftung durch die SA zu entgehen, floh er bei einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit seiner Familie am 28. Februar 1933, dem Tag nach dem Reichstagsbrand, außer Landes – über Prag, Wien, Zürich, Paris, weiter ins sichere Dänemark. 15 Jahre lang sollte Brecht ein Dasein als Flüchtling fristen.
Karrierebruch durch die Emigration
Bühnenstücke von linken Autoren wie Brecht durften in Nazi-Deutschland längst nicht mehr aufgeführt werden, die Kultur war ideologisch stramm gleichgeschaltet worden. Seine politisch ambitionierte Theaterarbeit in Berlin wurde seit 1930 durch die Nationalsozialisten systematisch sabotiert. Seine Schriften fielen bei der NS-Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 den Flammen zum Opfer.
Dabei war es noch nicht so lange her, dass der erfolgreiche Bühnenautor die umjubelte Uraufführung seiner "Dreigroschenoper" erlebt hatte. 1928 kam sie als Gemeinschaftswerk von Brecht mit dem Komponisten Kurt Weill auf die Bühne. Bis heute mehr als 250 Mal inszeniert – eines des erfolgreichsten Musiktheaterstücke der Welt.
Im Mai 1933 lernt Bertolt Brecht in der Emigrantenszene von Paris den Schriftsteller Hermann Kesten kennen, der die neu eingerichtete deutsche Abteilung des Verlags Allert de Lange leitet. Es kommt nach mehrmaligem Briefwechsel zum Vertragsabschluss für einen Roman, orientiert am Stoff der erfolgreichen "Dreigroschenoper". Die vereinbarte Honorar-Vorrauszahlung ermöglicht Brecht, auf der dänischen Insel Fünen ein Haus zu kaufen.
Schreiben im Exil
Eine erste literarische Skizzen zu seinem "Dreigroschenroman" schreibt Brecht im Sommer 1933. Der routinierte Stückeschreiber kommt gut voran, am 12. August geht das Päckchen mit den ersten Kapiteln per Post nach Amsterdam. Doch dann stockt die Zusammenarbeit. Der Exilschriftsteller ist viel auf Reisen und ständig mit anderen Texten beschäftigt. Zu Beginn 1934 fordert der Verlag weitere "Unterlagen" für die Bewerbung des neuen Buches, drängt auf Fertigstellung.
Brecht verzettelt sich in unzähligen Änderungswünschen in Bezug auf Titelbild, Schrifttypen und Aufmachung und liefert sich per Brief mit dem Verlag wahre Scharmützel. Erst im Oktober 1934 kommt das Buch endlich heraus. Erste Vorabdrucke in Prag, Paris, London und anderen Exilstädten machen den "Dreigroschenroman" schnell bekannt.
Im Grunde lässt der Autor Bertolt Brecht seine alten Protagonisten aus der "Dreigroschenoper" wieder in neuem Rahmen auftreten: Peachum, der Bettlerkönig, seine schöne, aber berechnende Tochter Polly und Macheath – genannt Mackie Messer – der Anführer einer Verbrecherbande und 'Herrscher' über das lukrative System der B-Läden.
Die Handlung hat nur wenig mit der Oper zu tun. Spielort des Romans sind die nebligen Straßen und Hafenviertel von London, die Pubs und Schwitzbäder, in denen Männer ihre dubiosen Geschäfte machen.
Lehrstück über die moderne Gesellschaft
Die Geschichten spielen um 1902, der Zeit des Frühkapitalismus in England und der Burenkriege, die dem Roman eine historische Grundierung geben. Was dafür an politischen Fakten und Zusammenhängen nötig war, recherchierte Brecht akribisch.
Jonathan Peachum hat es durch einfallsreiche Professionalisierung der Bettler zu großem Reichtum gebracht. "Er unterstützte eine Zeitlang einige wenige Bettler mit seinem Rat, Einarmige, Blinde, sehr alt Aussehende. Er suchte ihnen Arbeitsplätze aus, Orte, wo gegeben wurde; denn es wurde nicht überall gegeben und nicht zu jeder Zeit... Den Bettlern, die sich Peachum anvertrauten, gelang es bald besser, Einnahmen zu erzielen. Sie willigten ein, ihm für seine Mühe etwas von ihrem Verdienst abzulassen."
Seine Tochter Polly hat ihren eigenen Kopf und verdreht den Männern gern den Kopf. "Fräulein Peachum hieß in dem ganzen Viertel allgemein der 'Pfirsich'. Sie hatte eine sehr hübsche Haut. Als sie vierzehn Jahre alt war, richtete man ihr das Zimmer oben im zweiten Stockwerk ein; wie die Leute sagten, damit sie ihre Mutter nicht so viel zu Gesicht bekäme, die eine Vorliebe für Spirituosen nicht bezwingen konnte."
Peachum hat eigene Pläne mit ihr und will seine Polly gewinnbringend verheiraten. Aber da kommt ihm der smarte, wortgewandte Macheath in die Quere – und heiratet ihm die Tochter vor der Nase weg. Sein Plan: mithilfe der Mitgift seinen geschäftlichen Bankrott abzuwenden. In den verästelten Kapiteln von Brechts Roman gibt es Mord und Totschlag, jede Menge Betrug und dubiose Geschäftemacherei, alles beschrieben wie in einem Kriminalroman.
"Und der Haifisch, der hat Zähne.."
Bertolt Brecht war durch seine Theaterarbeit in Berlin 1924 mit der Theorie des dialektischen Materialismus des deutschen Philosophen Karl Marx in Kontakt gekommen. Am Deutschen Theater, dessen Leitung Max Reinhardt innehatte, arbeitete der junge Autor als Dramaturg und Regisseur. Abend für Abend wurden revolutionäre marxistische Theorien und sozialistische Utopien diskutiert und auseinander genommen.
In seinen Exil-Roman ließ Brecht viele seiner sozio-ökonomischen Erkenntnisse einfließen. In großen Teilen liest sich der "Dreigroschenroman" von 1934 wie eine hochaktuelle Spiegelung des heutigen Kapitalmarktes: Finanz-Spekulationen auf den Niedergang von Firmen, riskante Geschäftsmodelle, Franchising, Ausbeutung, Gewinnmaximierung – alles kommt vor. "Die Hauptsache ist, plump denken lernen", schreibt Brecht an seinen Verleger.
Macheath hat ein äußerst raffiniertes Ausbeutungssystem erdacht, das er großmäulig den Bankern als Modell der Zukunft präsentiert. "Seine B.-Läden waren großzügig aufgezogen und benutzten sinnreich das ersparte Geld kleiner und kleinster Leute, aber sie waren auch primitiv genug, eigentlich nicht mehr als dunkle, ausgekalkte Löcher mit einigen Haufen roher Ware auf fichtenen Brettern, mit verzweifelten Menschen dahinter. Der Herbeischaffung der sehr billigen Waren konnte man nicht auf den Grund sehen."
Hochaktuelle Gesellschaftskritik
Bertolt Brecht spart in seinem Roman nicht mit Kapitalismus-Kritik und satirischer Gesellschaftsanalyse. Vieles ist erstaunlich aktuell und hat bis heute seine Gültigkeit behalten. Legendär seine oft zitierte Frage: "Was ist schon der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?"
Der skrupellose Verbrecher Macheath, der sehr auf seinen guten Ruf achtet, wird am Ende Bankdirektor: Er verkörpert den Typ Geschäftsmann, der für 100 Prozent Profit über Leichen geht. Zu Recht hat Walter Benjamin den "Dreigroschenroman" von Brecht als Jahrhundertwerk bezeichnet.
Bertolt Brecht, "Dreigroschenroman" (1934 im Verlag Allert de Lange, Amsterdam), erhältlich im Suhrkamp Verlag
Bertolt Brecht war einer der einflussreichsten Dramatiker und Lyriker des 20. Jahrhunderts. Geboren wurde er 1898 in Augsburg, schon als Kind begann er Gedichte zu schreiben. Anfang der 1920er Jahre wurde er mit ersten Erzählungen und Stücken ("Baal") bekannt. Er arbeitete als Regisseur und Dramaturg u. a. am Deutschen Theater und kam 1926 in Berlin mit marxistischen Theoretikern in Kontakt. Das prägte sein Schreiben. 1933 flüchtete er mit seiner Familie ins Exil, erst nach Dänemark und dann in die USA nach Santa Monica/Kalifornien. 1948 kehrte er nach Deutschland zurück und ließ sich in Ost-Berlin nieder. Dort gründete er 1949 zusammen mit seiner Frau Helene Weigel die berühmte Brechtbühne "Berliner Ensemble". Er starb 1956.