Besetzt, aber nicht besiegt
27. Februar 2014In den Schützengräben im belgischen Landesteil Flandern wurde zwischen den mörderischen Schlachten des Ersten Weltkriegs Kunst gemacht. Gemälde, Skulpturen, Schmuck, Spielzeug, Schnitzwerk. All das zeigt die Ausstellung im belgischen Armee-Museum in erstaunlich kunstfertiger Ausführung. "Die Soldaten, die Wochen oder Monate in den Stellungen verbrachten, hatten Zeit und viel Langeweile", meint Elie Barnavi, einer der leitenden Ausstellungsmacher. "Diese Stücke sollen nicht vom Schrecken des Gemetzels ablenken, aber sie zeigen ein Stück unbekannten Alltags", sagte er bei der Eröffnung der Ausstellung der Deutschen Welle. Um den Alltag im von Deutschland besetzten Belgien geht es zu einem großen Teil in den extra umgebauten Räumen des Armee-Museums.
Belgien nachgebaut
Eine belgische Kneipe, ein Laden mit amerikanischen Hilfsgütern, ein Gefängnis, die deutsche Kommandantur und ein Stück Schützengraben sind lebensgroß nachgebildet und können von den Besuchern angefasst und erfahren werden. Den Hunger, den Überlebenskampf der Bevölkerung und die repressive Herrschaft der Deutschen von 1914 bis 1918 macht diese zentrale belgische Gedenkausstellung deutlich. "Das ist anders als andere Ausstellungen in Belgien, weil wir jetzt auch etwas über das besetzte Land und nicht nur die Front erfahren. Das ist das erste Mal", sagte Bruno de Wever, Historiker und wissenschaftlicher Berater des Museums. Um klar zu machen, wie es zum Krieg kommen konnte, zeigen Bruno de Wever und seine Kollegen auch die Zeit vor dem Sommer 1914. Die Weltausstellung in Brüssel 1910 zum Beispiel, auf der Europa als Herrscher über Weltreiche Triumphe in den Bereichen Technik, Wirtschaft, Baukunst feiert.
Angesprochen wird auch der Konflikt zwischen dem deutschen Kaiser Wilhelm II., der quasi Krieg gegen die eigene Familie beginnt. Denn die europäischen Monarchen waren untereinander mehr oder weniger alle verwandt. Auch der König der Belgier, Albert I., war mit dem Hohenzollern Wilhelm II. verwandt. Die tragische Beziehung der beiden Männer zieht sich durch die Ausstellung. Am Ende muss Kaiser Wilhelm II. besiegt abdanken. Albert I. wird zum Helden, weil er höchstpersönlich die belgische Armee an der Front führte und Widerstand aus dem letzten freien Zipfel Belgiens an der Küste organisierte.
Alltag im besetzten Land
"Unser Fokus liegt auf dem täglichen Leben und auf der Welt, die wegen dieses Krieges untergegangen ist. Es geht aber auch um die Welt, die nach diesem Krieg geboren wurde", so der Historiker aus Tel Aviv Elie Barnavi. Nach dem Großen Krieg folgten Totalitarismus und ein katastrophaler Zweiter Weltkrieg. Aus diesen Trümmern aber erwuchsen das neue Europa und eine ungeahnt lange Friedensepoche, die bis heute andauert. Die Ausstellung "Expo 14-18" will aufzeigen, wie übersteigerter Nationalismus und Unvermögen an der Spitze zum Krieg und zum Blutbad in Belgien geführt haben, erläutert Barnavi das Konzept. "Es ist tatsächlich so, dass niemand diesen Krieg wirklich wollte. Er passierte einfach und man kann sehen, wie kleine Ereignisse völlig außer Kontrolle geraten können. Und am Schluss sieht man, wie schlecht der Frieden zuvor gestaltet wurde. Es hat nicht funktioniert. Das wollen wir mit der Ausstellung zeigen."
Der belgische Verteidigungsminister Pieter De Crem, der die Ausstellung eröffnet hat, will erreichen, dass die belgischen Gedenkfeiern in diesem Jahr wirklich Denkanstöße geben. "Die Gedenkfeiern müssen deshalb dafür sorgen, dass der gemeinsame Kampf für eine friedliche Zukunft ununterbrochen fortgesetzt wird. Der erste Weltkrieg wird oft als Konflikt betrachtet, der aus einem unheilvollen und negativen Nationalismus entstand. Dennoch wurde in diesem Konflikt auch der Grundstein für internationale Solidarität gelegt", sagte De Krem und wies daraufhin, dass im Ersten Weltkrieg zum ersten Mal in der Geschichte die zivile Bevölkerung eines Landes internationale Lebensmittelhilfe erhalten hat. Die USA und weitere Verbündete schafften Millionen Tonnen von Lebensmitteln nach Belgien. Daran erinnern originale Weizensäcke aus dem US-Bundesstaat Indiana und Konservendosen mit "Corned Beef" in der Ausstellung.
"Was hätte ich getan?"
Von Blut getränkt waren die Schlachtfelder von Flandern nach einem sinnlosen Stellungs- und Gaskrieg. Daran erinnern Belgier, Briten und viele andere europäische Völker mit "Poppy", blutroten Mohnblüten, die am Revers getragen werden. "Poppy" taucht überall in der Ausstellung auf. Am Ende kann sich der Besucher sein stilisiertes Exemplar aus Papier und Plastik mitnehmen, um an den "Großen Krieg", wie der Erste Weltkrieg in Belgien genannt wird, zu erinnern. Vor allem die jungen Leute, die die Ausstellung sehen, sollen noch etwas anderes mitnehmen, wünscht sich Organisator Elie Barnavi: Antworten auf Fragen, die sie sich bisher nicht gestellt haben. "Am Ende der Ausstellungen fragen wir junge Belgier und Europäer mit einem interaktiven Display, wie sie sich damals verhalten hätten, wofür sie heute kämpfen und sterben würden. Über diese Fragen wird abgestimmt und das Ergebnis kann man dort sehen." Vier junge Schauspieler haben die Schicksale von Soldaten vor 100 Jahren in einer aufwendigen Multimedia-Installation nachgespielt, versetzen sich in ihre Gedankenwelt und vergleichen sie mit der heutigen Welt. Die Antworten auf die elementaren Fragen einst und jetzt sind eigentlich gar nicht so unterschiedlich.
Die Ausstellung "Expo 14-18. Es ist unsere Geschichte!" ist im belgischen Armeemuseum in Brüssel bis zum 26. April 2015 zu sehen. Sie bildet den Auftakt zu den nationalen Gedenkfeiern an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Belgien vor 100 Jahren.