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Beslan zehn Jahre nach dem Geiseldrama

Markus Reher, Moskau1. September 2014

Im September 2004 schockierte die Geiselnahme in einer Schule in Beslan in die ganze Welt. Die Opfer kämpfen noch immer gegen Russlands Führung, die eine vollständige Aufklärung unterdrückt.

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Fotos der Opfer in der Schule von Beslan - 334 Menschen starben bei Geiselnahme und der Erstürmung im September 2004 (Foto: DW/Bodrow)
Bild: DW/W. Bodrow

Regina Kussajewa hat mit ihrer Tochter Iseta mitten in der Turnhalle gesessen, mitten zwischen all den anderen Geiseln. Vielleicht hat das ihnen das Leben gerettet, als die russischen Sicherheitskräfte das Gebäude unter Beschuss nahmen. Sie weiß es bis heute nicht.

Eine Terrorgruppe hatte am 1. September 2004 die Schule Nummer eins in Beslan überfallen und rund eintausend Menschen in der Turnhalle zusammengetrieben. Auch Regina Kussajewa und ihre Tochter Iseta. Belsan liegt im Nordkaukasus, Russlands Unruheregion im Süden, nicht weit entfernt von Tschetschenien.

Überfall zu Schulbeginn

Am 1. September waren besonders viele Menschen in der Schule, denn an dem Tag beginnt in ganz Russland das neue Schuljahr - ein großes Fest, nicht nur für die Erstklässler. Iseta Kussajewa hat außerdem an diesem Tag Geburtstag. Neun Jahre war sie geworden, als die vermummten, schwer bewaffneten Terroristen sie und ihre Mutter, hunderte Mitschüler und deren Eltern als Geiseln nahmen. Iseta kommen die Tränen, als sie wieder in die Turnhalle kommt. "Da ist immer noch sehr große Angst", erzählt Mutter Regina. "Und wir sind übertrieben wachsam. Wenn wir irgendwo sind, schauen wir uns alle Leute ganz genau an. Wenn jemand mit einer großen Tasche in den Bus kommt, steige ich aus."

Drei Tage Geiselhaft in der Turnhalle: Regina und Iseta Kussajewa (Foto: DW/Bodrow)
Drei Tage Geiselhaft: Regina und Iseta KussajewaBild: DW/W. Bodrow

Die Geiselnehmer forderten von der russischen Regierung die Unabhängigkeit Tschtescheniens und den Abzug der dort stationierten russischen Truppen. Doch darüber verhandelte Moskau nicht. Am dritten Tag erstürmten Spezialkräfte die Schule. Mehr als 330 Geiseln starben, über 700 wurden zum Teil schwer verletzt. Bis heute ist unklar, wie es zu diesem Blutbad kommen konnte, wer die Geiseln in der Schule Nummer eins tatsächlich getötet hat.

Russische Truppen nahe der Schule in Beslan im September 2004 (Foto: AFP/Getty Images)
Russische Truppen nahe der Schule im September 2004Bild: KAZBEK BASAYEV/AFP/Getty Images

Ella Kessajewa, deren Tochter unter den Verletzten war, ist sicher: Die Einsatzkräfte hätten mit Panzern und Granatwerfern wahllos auf die Schule geschossen. Deshalb seien so viele Geiseln gestorben. Die Behörden bestreiten das. Zusammen mit anderen Eltern hat Ella deshalb die Gruppe "Stimme Beslans" gegründet. Mehrfach schon hat sie gegen die Behörden geklagt. Die Ermittlungen müssten wieder aufgenommen werden. Es gebe etliche Indizien, dass die Behörden ein Mitschuld trügen am Ausmaß das Dramas.

Schuldfrage ungeklärt

Fotos von Granatwerfern auf Dächern umliegender Wohnblocks zum Beispiel. Die Sicherheitskräfte leugnen bis heute, solche Waffen eingesetzt zu haben. Außerdem seien die Leichen vom Tatort fortgebracht worden, noch bevor Experten sie eingehend hätten untersuchen können - eine Verletzung des russischen Strafrechts. "Die Staatsführung, die dieses Verbrechen ausgeführt hat, diese 'Staatsdiener', die sind bis heute an der Macht", schimpft Ella Kessajewa. "Und sie verüben weiter Verbrechen. Das sind gefährliche, unberechenbare Leute. Leute, die das Feuer auf lebende Geiseln eröffnen, die sind nicht doch ganz gescheit."

Auch Alan Ardychajew glaubt, viele der Opfer könnten noch leben, auch seine Frau Irina. Sie hatte damals die ältere der beiden Töchter zur Einschulung gebracht. Alan selbst ist Arzt, Anästhesist, und er wurde früh morgens zu einer Operation ins städtische Krankenhaus gerufen. Darum konnte er seine Familie nicht zur Schule Nummer eins begleiten. Immerhin; seine beiden Töchter haben die Geiselnahme wie durch ein Wunder überlebt. "Wenn Du aushalten musst, dass Du Deinen Kindern nicht helfen konntest, weil Du nicht da warst… Und dann gibt es seit zehn Jahren keine Wahrheit, keine objektiven Ermittlungen, das tut sehr weh." Alan zweifelt an der offiziellen Version, nach der selbstgebaute Bomben der Terroristen die meisten Geiseln getötet hätten.

Die Turnhalle: Explosionen haben Löcher in die Mauer gerissen (Foto: DW/Bodrow)
Die Turnhalle: Explosionen haben Löcher in die Mauer gerissenBild: DW/W. Bodrow

Was geschah wirklich in der Schule von Beslan? In Russland bekommen die Opfer darauf keine Antwort. Sie haben deshalb die Staatsführung verklagt - vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Am 14. Oktober ist der erste Verhandlungstag.