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Grenzenloses Surfen, und zwar schnell

Bernd Riegert18. Oktober 2013

Obwohl sie relativ betagt ist, ist das Internet für EU-Kommissarin Neelie Kroes (72) kein Neuland. Sie kämpft für ein grenzenloses digitales Europa. Die EU müsse aufholen: Kein Roaming mehr, aber mehr Breitband.

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EU Netzwerkkabel Stecker gezogen Symbolbild DW4_0166. Foto DW/Per Henriksen 04.07.2013
Bild: DW/P. Henriksen

Jedes Mal, wenn sie in Brüssel mit ihrem Smartphone ins Internet will, bekommt Neelie Kroes die Krise. Die 72-jährige EU-Kommissarin surft mit Leidenschaft beruflich und privat. In Belgien aber hat sie - anders als etwa in Nigeria - keinen Zugang zum ultraschnellen 4G-Mobilfunknetz. "Brüssel hat kein 4G-Netz. Lagos, nebenbei bemerkt, hat 4G! Können Sie sich das vorstellen, die Hauptstadt Europas ohne 4G. Wenn man hier lebt und arbeitet, weiß man, was das bedeutet", empörte sich Neelie Kroes bei einer Veranstaltung in Brüssel.

Das muss alles anders werden, beschloss die resolute ehemalige niederländische Ministerin, die in der EU-Kommission für die digitale Gesellschaft, das Internet und Telekommunikation zuständig ist. Nicht nur bei schnellen Mobilfunknetzen, sondern auch bei sehr schnellem Internetzugang per Kabel ist Europa immer noch digitale Wüste, findet Neelie Kroes. In den USA gibt es doppelt so viele Menschen, die mit dem 4G-Standard surfen können. In Europa haben nur ein Viertel aller Einwohner Zugang zu 4G. Tatsächlich nutzen noch viel weniger den Dienst, weil er noch zu teuer ist. In Japan wird gerade der noch schnellere 5G-Standard etabliert.

epa03302531 European Commission vice President in charge of the Digital Agenda Neelie Kroes speaks during a news conference on 'Smart Cities and Communities Communication', at the European Commission headquarters in Brussels, Belgium, 10 July 2012. European Commission presented the newly adopted Communication on the Smart Cities & Communities Initiative. The Smart Cities and Communities Initiative was launched in 2011. In the first year (2012), ? 81 Million has been earmarked for this initiative, covering two sectors: transport and energy. Starting from 2013, the budget has been increased from ? 81 Million to ? 365 Million, covering three areas instead of two: energy, transport and ICT. In addition, each and every demonstration project financed under the scheme must combine all the three sectors. Pooling the sources together also means using synergies. EPA/JULIEN WARNANDg
Ungeduldig: EU-Kommissarin will schnelles Internet ausbauenBild: picture-alliance/dpa

"Europa ist zurzeit nicht konkurrenzfähig"

"Wir hinken in Europa hinter den USA, Asien und Teilen Afrikas hinterher und sind nicht wettbewerbsfähig", stöhnt Neelie Kroes. Bis spätestens 2020 soll das alles anders werden. Dann soll der Europäische Kontinent total vernetzt sein und jedem Nutzer ultraschnelles Breitband-Internet überall bieten. So haben es die Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen. Neelie Kroes arbeitet an der Umsetzung: "Das ist meine Vision, der Aufkleber auf meinem Auto sozusagen: Jeder Haushalt, jedes Unternehmen, jede öffentliche Einrichtung und jedes Klassenzimmer sind auf unserem Kontinent vernetzt! Europa braucht, und das wissen wir ja auch, die Konnektivität, um weltweit im digitalen Zeitalter konkurrenzfähig zu sein." Wirtschaftliche Entwicklung finde zunehmend im und mit dem Internet statt. Deshalb sei eine gute Netzverbindung eine Chance für Unternehmer, so die EU-Kommissarin. "Wir können keinen unserer Bürger dieser Chance berauben. Wir dürfen keine digitale Teilung des Kontinents zulassen. Wir dürfen keine Gesellschaft machen, wo wir zwischen digital Reichen und Habenichtsen unterscheiden."

Zumindest ein Ziel hat die EU-Kommission jetzt erreicht. Nach Auskunft der Vereinigung der europäischen Satellitenbetreiber hat zum Jahresende 2013 jeder EU-Bürger die Möglichkeit, breitbandiges Internet über Satellit zu empfangen. "Damit ist sichergestellt, dass nahezu 100 Prozent der Menschen Zugang zum Basis-Internet haben." Ein historischer Moment sei das, so Neelie Kroes am Donnerstag (17.10.). Der Internetverkehr per Satellit ist vor allem für Länder wie Polen oder Slowenien interessant, wo die Kabelnetze nicht ausreichen oder ländliche Gegenden nicht erreicht werden.

#46621182 - Antenne montieren © artalis - Fotolia.com
Per Satellit ins Internet: Alternative für ländliche RäumeBild: Fotolia/artalis

Ländergrenzen fürs Internet sollen in der EU fallen

100 Prozent Abdeckung per erdgebundenem LAN-Kabel haben Staaten wie Luxemburg oder Malta vorzuweisen. Deutschland kommt auf rund 97 Prozent. Das gilt wie gesagt für das Standardangebot. Richtig schnelles Internet mit hohen Bandbreiten per Kabel oder Telefonnetz bekommt aber nur die Hälfte aller Europäer. Damit die zuständigen Telekommunikationsunternehmen in Europa Anreize für Investitionen und neue Tarifmodelle erhalten, will die Digital-Kommissarin, den Markt liberalisieren und nationale Grenzen niederreißen.
"Telekommunikations-Unternehmen, die in einem Land der EU zugelassen werden, sollen in allen 28 Mitgliedsstaaten arbeiten dürfen", sagte Neelie Kroes in Brüssel. "Wir müssen sicherstellen, das wir gesunde Telekommunikationsunternehmen haben, die im Wettbewerb standhalten. Das ist ein Grund dafür, warum ich einen europäischen Binnenmarkt für Telekommunikation schaffen will. Es ist doch eigenartig, um es freundlich auszudrücken, dass alle möglichen Wirtschaftszweige im Binnenmarkt zusammengefasst sind, nur die Telekommunikation nicht. Da gibt es immer noch 28 abgeschottete Märkte."

Netzneutralität und neue Geschäftsmodelle

Die SPD-Europaabgeordnete Petra Kammerevert sieht da nur einen Haken. Die Vorschläge von Neelie Kroes liefen darauf hinaus, die sogenannte Netzneutralität zu gefährden, so Kammerevert im Gespräch mit der DW. Bislang kann in Europa jeder Internetnutzer jeden Dienst und jede Seite aufrufen, egal wie viele Daten dazu transportiert werden müssen. Die Telekommunikationsunternehmen könnten aber bald den Zugang staffeln. Schneller Zugang zu bestimmten Diensten könnte teurer werden. Manche Seiten, wie zum Beispiel der Internet-Telefonie-Anbieter "Skype" könnten blockiert werden, weil sie das Geschäftsmodell der Telekommunikationsunternehmen stören. "Ich glaube, das ist der erste Schritt in ein Zwei-Klassen-Internet. Die einen müssen sich mit dem Graubrot zufrieden geben. Die anderen haben dann das Hochleistungs-Internet, über das sie alles erhalten können. Das ist nicht das, was ich mir unter Freiheit der Kommunikation vorstelle", kritisiert die Europa-Abgeordnete und Netzpolitikerin der SPD, Petra Kammerevert.

Petra Kammerevert, Member of European Parliament Petra Kammerevert SPD Europa Abgeordnete
Netzneutralität muss bleiben: Petra KammerevertBild: gemeinfrei

Kein Roaming mehr für mobilen Datenverkehr

EU-Kommissarin Kroes betont, auch sie sei für Netzneutralität, allerdings müßten die Unternehmen für besseren Service auch kassieren können. Neelie Kroes will in den kommenden Jahren Roaming-Gebühren für Telefonate und Datenverkehr komplett verbieten. Telefonieren und surfen mit dem Mobiltelefon würde dann in ganz Europa zur Flatrate möglich sein. Ein grenzenloser Binnenmarkt ist das Ziel. Die Industrie-Lobbyisten haben in Brüssel schon vorsorglich davor gewarnt, dass dann die Preise für Flatrates anziehen würden. Neelie Kroes schwebt vor, dass die Telekommunikations-Konzerne ihre Drohung nicht wahr machen, weil sie im Gegenzug ihre Dienste für den Internetzugang preislich gestaffelt verkaufen und so dort mehr Gewinn machen könnten. Die EU-Abgeordnete Petra Kammerevert vermutet eine Absprache zwischen der agilen Kommissarin und der Industrie:"Es klingt für mich im Moment so: Wir ringen Euch bei den Roaming-Gebühren Zugeständnisse ab. Dafür erlauben wir Euch die Abkehr vom gleichen Zugang hin zu einer Qualitätsstaffelung im Internet, zu einem Hochleistungsnetz, das entsprechend teurer ist. Es macht den Eindruck, dass es hier ein Junktim gibt."

Damit die Unternehmen in den Ausbau der Netzinfrastruktur, Glasfaserkabel und das 4G-Mobilfunknetz mehr investieren, bietet die EU-Kommission schon seit langem finanzielle Anreize. Aus den Struktur-Fonds der EU sollen bis 2020 jedes Jahr rund eine Milliarde Euro an Fördermitteln fließen. In der kommenden Woche beschäftigen sich die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfeltreffen erneut mit dem Thema Internet. Die digitale Agenda ist Chefsache.