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Alkohol während der Schwangerschaft

Gudrun Heise
19. September 2017

Kein Wein, kein Bier - Alkohol ist für Schwangere tabu, denn er kann das Ungeborene erheblich schädigen. Ein Problem: Oft bemerken werdende Mütter ihre Schwangerschaft lange nicht oder trinken gar bewusst.

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Symbolbild Schwangere trinkt Alkohol
Bild: picture alliance

"Jeden Morgen, wenn ich mein Kind wecke, schaue ich in dieses Gesicht, und ich weiß, dass ich für seine Behinderung verantwortlich bin und dafür, dass sich mein Kind nicht so entwickelt wie es sollte. Wenn ich nicht getrunken hätte, wäre mein Kind gesund geboren", so die Mutter eines Kindes mit Fetaler Alkoholspektrumstörung, kurz FASD.

Sie hatte sich hilfesuchend an FASD Deutschland gewandt. Gisela Michalowski ist Vorsitzende des Vereins und hat selbst Adoptiv- und Pflegekinder mit diesem Krankheitsbild: "Die gravierendsten Merkmale sind geistige und körperliche Entwicklungsstörungen", so die Sozialpädagogin.

Den Kindern ins Gesicht geschrieben

FASD kommt bei Kindern vor, deren Mütter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben. Eindeutige Mengen, wie viel Alkohol schädlich für das Ungeborene ist, gibt es nicht. "Dementsprechend herrscht international die Meinung, dass man während der Schwangerschaft gar keinen Alkohol trinken sollte, um kein Risiko für das eigene Kind einzugehen", sagt die Münchener Kinderärztin und Psychologin Mirjam Landgraf.

Die betroffenen Kinder wiegen wesentlich weniger als Gleichaltrige. Im Gesicht gibt es verschiedene Auffälligkeiten, die darauf hindeuten, dass das Kind unter FASD leidet. So ist die Einkerbung zwischen Oberlippe und Nase stark abgeflacht und nicht deutlich zu erkennen. Die Kinder haben eine schmale Oberlippe und kleine Augenöffnungen, auch ihr Kopf ist klein.

"Es wird von einer Prävalenz in Nordamerika und Westeuropa von zwei bis vier Prozent ausgegangen", sagt Heike Hoff-Emden. Sie ist Ärztliche Leiterin des Sozialpädiatrischen Zentrums Leipzig. "Das heißt, dass wir über 280.000 betroffene Kinder und Jugendliche in Deutschland hätten."

Infografik Gesichtsmerkmale bei Kindern mit FASD

Diagnose - und dann?

Neben den typischen Gesichtsmerkmalen gibt es auch Auffälligkeiten im Bereich des Zentralen Nervensystems. "Die Kinder haben Schwierigkeiten beim Lernen, sie können sich nicht konzentrieren, haben Störungen in den sogenannten Exekutivfunktionen und beim Akzeptieren von sozialen Regeln", erklärt Hoff-Emden. Das Frontalhirn sei massiv geschädigt, so die Ärztin weiter.

Spezifische FASD-Therapien gebe es nicht, sagt Mirjam Landgraf, "weil es kein einheitliches neuropsychologisches Profil von diesen Kindern gibt. Es muss ganz individuell und symptomorientiert therapiert werden und mit dem Wissen, dass es sich um eine alkohol-toxische Hirnschädigung handelt." Das Kind wird sie sein ganzes Leben über behalten.

Alkohol ist ein Zellgift

Symbolbild Embryo Fötus Fetus
Bei Ungeborenen gerät Alkohol über die Nabelschnur in den KörperBild: picture-alliance/dpa

Trinkt eine Schwangere Alkohol, wird er vom Blut über die Plazenta ins ungeborene Kind geleitet. Das passiert innerhalb kürzester Zeit. Es bekommt also den Blutalkoholspiegel der werdenden Mutter. Sie hat jedoch eine reife Leber und kann den Alkohol somit sehr viel schneller abbauen als das Ungeborene. "Bei ihm wird der Alkohol in Intrazellularräumen gespeichert und verbleibt wesentlich länger im ungeborenen Kind", so Mirjam Landgraf. Dort kann das Zellgift dann intensiv auf das Gehirn des Kindes wirken und erhebliche Schäden anrichten.

Die embryonalen Zellen können sich nicht ausreichend entwickeln und vermehren, und das wiederum hat Einfluss auf die Organe, die Organsysteme und das Gewebe.

Abtreiben mit Alkohol

Ärzte und Sozialarbeiter erleben immer wieder Situationen und Verhaltensweisen, die nur schwer nachvollziehbar sind. "Es gibt Frauen, die versucht haben, ihr Kind regelrecht 'wegzutrinken'", erzählt Gisela Michalowski. "Diese Frauen hatten die Illusion, dass sie das Kind dann verlieren, dass es gar nicht erst zur Welt kommt." Ein Grund dafür sei beispielsweise, dass eine Schwangerschaft oder ein Kind einfach nicht in die momentane Lebensplanung passte.

Schwanger oder nicht? 

"Wenn der Verdacht besteht, dass ich schwanger sein könnte, ist Alkohol ein absolutes 'No-Go'. Alkohol und Schwangerschaft passen nicht zusammen", sagt Michalowski sehr vehement.

Die klare Botschaft an Frauen, die schwanger werden wollen, lautet: nicht mehr verhüten und keinen Alkohol trinken. Viele aber wissen gar nicht, dass sie schwanger sind oder merken es erst in einem späteren Stadium. Und gerade die erste Zeit ist wichtig. Die typischen Gesichtsmerkmale etwa entstehen in den ersten acht Wochen der Schwangerschaft.  

Viele Frauen aber wissen gar nicht, dass sie ein Kind erwarten. "Wir haben junge Mütter dabei, die am Freitag und am Samstag Party machen und trinken", weiß  Gisela Michalowski. "Irgendwann merken sie, dass sie schwanger sind." Dann stellt sich für viele die Frage, ob der Alkohol den Fötus schon geschädigt haben kann. Dann, so Michalowski, dürfen diese Frauen absolut keinen Alkohol mehr anrühren. 

Was aber, wenn es um ein Pflege- oder ein Adoptivkind geht? Michalowski hat vier leibliche Kinder und ist gleichzeitig Adoptiv- und Pflegemutter von vier weiteren, die FASD haben. Das wusste sie schon, bevor sie die Kinder zu sich genommen hat. Sie weiß auch, welch langen Weg Eltern oft gehen müssen, bis sie wissen, was mit ihrem Kind überhaupt los ist. "Man ist auf der Suche. Man sucht die Lösung oder die Ursache dafür, warum das Kind anders ist als die anderen. Im besten Fall kommt man während der Recherche dann irgendwann zu einem Arzt, der sich mit FASD auskennt und die richtige Diagnose stellt.

Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung

Symbolbild Schwangere trinkt Alkohol
Am besten ganz auf Alkohol verzichtenBild: picture alliance/dpa/empics/A. Devlin

Laut einer Studie trinken mehr Frauen aus der Mittel- und Oberschicht Alkohol als Frauen aus der Unterschicht. Es würden aber auch falsche Vorbilder geschaffen, glaubt Hoff-Emden. "Immer wieder regen sich Pflegemütter darüber auf, dass etwa in Vorabendserien immer wieder werdende Mütter zu sehen sind, die mit einem Glas Sekt auf ihre Schwangerschaft anstoßen und überhaupt einem Gläschen nicht abgeneigt sind." Die eindeutige Devise aber müsse lauten: Kein Alkohol in der Schwangerschaft. "Das muss als Lifestyle eingeführt und anerkannt werden - ähnlich wie bei Zigaretten."

"Frauen sind in Deutschland relativ vorsichtig, was die Schwangerschaft angeht. Sie wissen, dass sie keinen Rohmilchkäse, keine Salami, keinen ungekochten Fisch essen sollten oder Fisch, der nicht gebraten ist. Sie sind sehr bewusst, was die Ernährung betrifft. Aber zur Ernährung gehört eben auch Alkohol."

Sie versuche, Aufklärung unter den Fachkräften voranzubringen, so Landgraf weiter. Wichtig seien Hebammen und Gynäkologen, aber auch Hausärzte und Kinderärzte. Sie alle müssten sensibilisiert werden, genauso wie die Bevölkerung.

Nur ein kleines Schlückchen

Oft werden Frauen, die ein Kind mit FASD zur Welt gebracht haben, stigmatisiert, weil Ihnen die alleinige Schuld daran gegeben wird, dass ihr Kind behindert ist. Man solle Frauen, die trinken oder getrunken haben auf keinen Fall in eine Ecke stellen, so Landgraf.

Oft werde der gesellschaftliche Druck vergessen, dem Schwangere durch das soziale Umfeld ausgesetzt sein können. "Jetzt hab dich doch nicht so!" oder "Komm, ein Gläschen Sekt." Vielleicht wollen einige Schwangere auch nicht direkt zeigen, dass sie keinen Alkohol trinken, weil sie schwanger sind", so Landgraf. Also trinken sie mit - ein Glas Alkohol oder auch zwei. Auch bei geringen Mengen von Alkohol kann es zu Defiziten beim Kind kommen, und die sind irreversibel, begleiten Mutter und Kind ein Leben lang.

Es muss eben noch nicht einmal der tägliche Griff zur Flasche sein wie bei dem Extrembeispiel der Frau, die während der gesamten Schwangerschaft jeden Tag eine Flasche Wein getrunken habe, so Landgraf. "Das Kind konnte in den ersten Lebensmonaten weder hören noch sehen, hatte einen Herzfehler, Leberfehlbildung Milzfehlbildung, Nierenfehlbildung und kann sich jetzt - mit drei Jahren - vom Rücken auf die Seite drehen. Jetzt reagiert es auch ganz gut auf Geräusche und auf taktile Reize." Das Visuelle sei für dieses Kind jedoch noch immer schwierig zu verarbeiten. Es sei halt schwer behindert.