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Milizen fordern Rücktritt von Libyens Premier

Nils Naumann7. Mai 2013

In Libyen haben bewaffnete Milizen Ministerien umstellt. Sie fordern die Entlassung von ehemaligen Gaddafi-Funktionären und den Rücktritt von Regierungschef Seidan. Die Blockade zeigt die Schwäche der Zentralregierung.

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Milizionär vor dem Justizministerium in Tripolis (Foto: MAHMUD TURKIA/AFP/Getty Images)
Bild: MAHMUD TURKIA/AFP/Getty Images

Die Männer sind wütend und sie sind schwer bewaffnet. Ihre Flugabwehrgeschütze, auf Pick-Up-Trucks montiert, zielen auf das libysche Außen- und Justizministerium. Die Ministerien, so die Milizionäre, seien Bastionen des "korrupten Gaddafi-Regimes".

"Hinter den Blockaden steckt eine große Unzufriedenheit mit der Geschwindigkeit der Umsetzung der Ziele der Revolution", erklärt Andreas Dittmann, Libyen-Experte an der Universität Gießen. Es gebe noch immer viele ehemalige Funktionäre des gestürzten Diktators Gaddafi in hohen Ämtern. "Die Milizionäre fürchten, dass hier alte Seilschaften wieder aufgebaut werden und sie um die Früchte der Revolution betrogen werden."

Anti-Gaddafi-Gesetz verabschiedet

Am Sonntag (05.05.2013) erfüllte das libysche Parlament unter dem Druck der Blockaden eine der Forderungen der Milizen. Mit großer Mehrheit verabschiedete es das sogenannte "Gesetz über die politische Isolierung". Die umstrittene Regelung soll ehemalige Funktionäre des gestürzten Regimes von Muammar al-Gaddafi von Regierungsämtern ausschließen. Das Gesetz sieht ein zehnjähriges Betätigungsverbot für ehemalige Spitzenfunktionäre und hochrangige Diplomaten der Gaddafi-Ära vor. Sie sollen binnen eines Monats ihre Ämter niederlegen.

Libyens Ministerpräsident Ali Seidan (Foto: MAHMUD TURKIA/AFP/Getty Images)
Soll zurücktreten: Ministerpräsident Ali SeidanBild: AFP/Getty Images

Das Gesetz könnte auch einige von Libyens neuen Führungspersönlichkeiten außer Gefecht setzen. Da ist zum Beispiel Übergangspräsident Mohammed al-Magharif. Bevor er 1980 zur Opposition wechselte, war al-Magharif libyscher Botschafter in Indien. Auch Premierminister Ali Seidan stand als Diplomat in Diensten des Gaddafi-Regimes, bevor er in den 1980er Jahren zur Opposition ging. Jetzt kommt es auf die Auslegung des Gesetzes an. Regierungskreise erklärten, Seidan sei nicht von dem Betätigungsverbot betroffen.

Deswegen wollen die Milizen offenbar auf Nummer sicher gehen. Ihnen reicht das neue Gesetz nicht aus. Osama Kabaar, einer ihrer Anführer, erklärte, die Belagerung solle fortgesetzt werden, bis Regierungschef Ali Seidan zurücktrete. "Die Annahme des Gesetzes ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung", sagte Kabaar, "doch unser Ziel ist das Ende der Regierung Seidan".

Milizionäre vor Ministerium in Tripolis (Foto: REUTERS/Ismail Zitouny )
Wollen bleiben: Milizionäre vor Ministerium in TripolisBild: REUTERS/Ismail Zitouny

Seidan war vom Parlament im Oktober 2012 zum Übergangsregierungschef berufen worden. Vor einigen Wochen hatte Seidan versucht, die Milizen aus der Hauptstadt Tripolis zu vertreiben. Seidan drohte sogar damit, ausländische Hilfe anzufordern.

Machtfaktor Milizen

Die meisten Milizionäre sind ehemalige Rebellen. Ohne sie wäre der Sturz Gaddafis nicht möglich gewesen. Eigentlich sollten sie danach ihre Waffen abgeben. Doch bisher ist die Entwaffnung gescheitert. "Die Milizen", sagt der Libyen-Experte Dittmann, "wollen die Waffen nicht abgeben, weil sie fürchten, dann von allen politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen zu werden".

Porträtvon Andreas Dittmann, Uni Gießen (Foto: Andreas Dittmann)
Begrüßt das Gesetz: Andreas DittmannBild: Andreas Dittmann

Die Regierung hat auch nach dem Sturz Gaddafis noch lange mit den bewaffneten Gruppen zusammengearbeitet. Weil es weder eine starke Polizei noch ein starkes Militär gibt, übernahmen die Milizen die Aufgaben der Sicherheitsorgane. Sie schützten den internationalen Flughafen von Tripolis, kontrollierten die Landesgrenzen und sorgten dafür, dass die Sicherheitslage im Land nicht völlig außer Kontrolle geriet. Viele Milizionäre erhielten ihr Gehalt von der Zentralregierung.

Ihre Integration in Polizei und Militär aber ging nur sehr stockend voran. Ein großer Teil der Milizen operiert weitgehend ohne staatliche Kontrolle. Einigen werden Menschenrechtsverletzungen, Schmuggel und Erpressung vorgeworfen.

Ein libyscher Milizionär schießt mit seiner Pistole aus dem Autofenster in die Luft (Foto: picture alliance/ZB)
Waffen bedeuten Macht: Libyens MilizionäreBild: picture alliance/ZB

Gleichzeitig sind viele Milizionäre unzufrieden: Während der Revolution verletzte Kämpfer klagen über eine mangelhafte Versorgung und ausbleibende Hilfszahlungen. Der neuen Regierung misstrauen sie. Denn viele der neuen Politiker waren Technokraten unter Gaddafi.

Enttäuschte Wähler

Premierminister Seidan hat politischen Rivalen vorgeworfen, sie instrumentalisierten die Milizen, um ihr schlechtes Abschneiden an den Wahlurnen wettzumachen. Gemeint sind damit vor allem die Islamisten, die bei den Wahlen nur 17 Mandate bekommen hatten. Seidan wird von der Allianz der Nationalen Kräfte unterstützt. Das liberale Bündnis, geführt von Machmud Jibril, stellt den größten Abgeordnetenblock im Parlament.

Auch für den libyschen Politikanalysten Saad al-Arial steht hinter der aktuellen Konfrontation ein "Machtkampf zwischen Liberalen und Islamisten". Das Anti-Gaddafi-Gesetz sei von den Islamisten initiiert worden, um Seidan und seine Gruppe loszuwerden, glaubt al-Arial. Dann könnten die Islamisten die Macht im Land übernehmen.

Majda al-Falah von der Muslimbrüderschaft weist diese Vorwürfe zurück: "Der Beweis ist, dass 164 Abgeordnete für das Gesetz gestimmt haben, und nicht alle sind Islamisten." Außerdem seien auch einige Muslimbrüder von dem Gesetz betroffen.

Friedlicher Protest gegen ehemalige Gaddafi-Anhänger in der Regierung (Foto: REUTERS/Ismail Zitouny)
Friedlicher Protest gegen ehemalige Gaddafi-Anhänger in der RegierungBild: Reuters

Auch der deutsche Libyen-Experte Andreas Dittmann befürwortet das Isolationsgesetz: "Die Situation in Libyen ist nicht so desolat, dass man die Gaddafi-Getreuen unbedingt braucht." Das Gesetz, glaubt Dittmann, sei ein notwendiger Schritt zur endgültigen Befriedung des Landes.

Borqiya Ghagha, eine 26-jährige Demonstrantin, sieht das ähnlich. Bei den Wahlen hatte sie noch für die liberale Plattform von Jibril gestimmt. Doch seitdem habe sich nichts verändert. "Die ganze Plattform hat sich als eine Lüge herausgestellt", sagt Ghagha. "Alles Propaganda. Sie haben ihren Wahlerfolg genutzt, um Leute aus der Gaddafi-Zeit an die Macht zu bringen." Deswegen ist auch Ghagha in den vergangenen Tagen für die Verabschiedung des Gesetzes auf die Straße gegangen. Und zwar friedlich.