Bidens Migrationspolitik: Trump reloaded?
20. Januar 2022Eine neue Migrationspolitik war eines von Joe Bidens zentralen Wahlkampfversprechen: Statt eine Mauer zwischen die USA und Lateinamerika zu bauen, wollte er Fluchtursachen bekämpfen. Statt die Einwanderer zu beschimpfen und durch Schikanen abzuschrecken, wollte Biden die südlichen Nachbarn wieder als Partner ansprechen.
Manch einer - allen voran seine politischen Gegner - wollte dies als Pro-Migrationskurs verstanden wissen. Doch das sei falsch, sagt Luicy Pedroza von der mexikanischen Hauptstadt-Universität Colegio de México: "Joe Biden ist gegen Immigration, er ist eben nur nicht gegen Migranten." Damit beschreibt Pedroza den Diskurwechsel, den Biden im Wahlkampf einläutete, Migranten als Menschen mit Problemen zu sehen, statt sie zu verteufeln.
Kurzfristige Erleichterungen für Migranten
Kaum im Amt ließ Biden seinen Wahlkampfparolen erste Taten folgen. Noch am Tag seiner Vereidigung ordnete er an, den Mauerbau an der Grenze zu Mexiko zu stoppen, die Trennung von Eltern und Kindern illegal eingewanderter Familien zu beenden und das "Migrant Protection Protocol" (MPP) abzuschaffen.
Das MPP, besser bekannt als "Remain in Mexico"-Dekret, sah vor, dass Asylbewerber auf der mexikanischen Seite der Südwestgrenze auf ihren Bescheid warten mussten. Fast 70.000 Menschen - vor allem aus Zentralamerika - wurden im Rahmen des Programms nach Mexiko abgeschoben und harrten dort teils monatelang in improvisierten Notunterkünften aus. Bis Februar 2021 wurden der Non-Profit-Organisation Human Rights First zufolge 1544 Gewaltverbrechen wie Vergewaltigung, Entführung und Überfall gegen diese Menschen dokumentiert.
Kamala Harris: "Kommen Sie nicht!"
Kurz nach Bidens Amtsübernahme wurden viele der Wartenden in die USA gelassen. Die US-Regierung baute Aufnahmeeinrichtungen aus und stockte die Kapazitäten auf, um die Verfahren zu beschleunigen.
Ermutigt durch den Kurswechsel machten sich umso mehr Menschen auf den Weg nach Norden: Im März registrierte die US-Grenzbehörde mehr als 173.000 Versuche von Migranten, die US-mexikanische Grenze Richtung Norden zu überschreiten - fast 2,5-mal so viele im Dezember 2020.
Wie um das Missverständnis aufzuklären, rief Vizepräsidentin Kamala Harris im Juni 2021 auf Besuch in der Region den Menschen zu: "Kommen Sie nicht. Die Vereinigten Staaten werden weiterhin geltendes Recht durchsetzen und unsere Grenze sichern." Doch die Zahlen stiegen weiter. Im gesamten Jahr 2021 zählte die US-Grenzbehörde an der Südwestgrenze fast 1,7 Millionen Einwanderungsversuche - zusammen mit dem Jahr 2000 die höchste je registrierte Anzahl.
Niederlage für Biden
Zwei Monate nach Harris' Reise nach Mexiko und Guatemala entschied das Oberste Gericht der USA, dass die Aussetzung des MPP nicht rechtens sei. "Das war eine nachträgliche Niederlage für Biden gegen Trump", sagt Pedroza. Eine Niederlage, die auch dem mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador, genannt AMLO, sehr gelegen gekommen sei. Denn das Urteil zwang die US-Regierung nicht nur, das Programm wieder aufzunehmen, sondern auch mit Mexiko über die Aufnahme ausländischer Migranten zu verhandeln
Im Gegenzug dafür hat Biden AMLO Unterstützung bei dessen Vorhaben zugesagt, die Sozialprogramme, mit der die mexikanische Regierung Jugendarbeitslosigkeit senken und ländliche Regionen im eigenen Land stärken will, auch in die südlichen Nachbarstaaten des sogenannten Nördlichen Dreiecks (Guatemala, Honduras, El Salvador) zu exportieren.
Fluchtursachen gemeinsam bekämpfen
Das passt eigentlich nicht schlecht zu Bidens eigenen Plänen. Auch er will im Nördlichen Dreieck Wirtschaft und Rechtsstaatlichkeit stärken: Vier Milliarden US-Dollar hat er für die drei Länder vorgesehen. Dabei strebt die US-Regierung Partnerschaften mit Investoren aus der Privatwirtschaft an. Einige multinationale Unternehmen wie Pepsi und Cargill haben bereits millionenschwere Direktinvestitionen in der Region zugesagt.
Einhergehen sollen die Wirtschaftshilfen mit einem Kampf gegen Korruption. Seit den 1990er Jahren bis zur Präsidentschaft von Donald Trump war dies zentraler Teil der Mittelamerika-Doktrin aller US-Regierungen, sagt Sabine Kurtenbach vom Hamburger GIGA-Institut für Lateinamerika-Studien. Allzu große Fortschritte habe sie jedoch nicht erbracht: "Dieser Außenpolitik liegt die Annahme zugrunde, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu einer politischen Partizipation aller führen", erklärt die Politologin. "Zumindest für die Gesellschaften in Guatemala, El Salvador und Honduras trifft das allerdings nicht zu, weil die Eliten es geschafft haben, ihre Privilegien aus vordemokratischer Zeit zu bewahren."
Propaganda statt Hilfe
Ob die Ideen aus Mexiko, Sozialprogramme in die Nachbarländer zu exportieren, vielversprechender sind? Die Mexikanerin Pedroza ist skeptisch: "Diese Programme sehen auf dem Papier sehr gut aus, ihr Effekt ist aber minimal." Bisher würde nur eine Handvoll Menschen davon profitieren, viele Hilfsorganisationen würden deutlich mehr Menschen erreichen. Dass die US-Regierung sie nun unterstützt, ist für Pedroza vor allem ein Propagandaerfolg für AMLO.
Klar ist zudem, dass solche Maßnahmen - wenn überhaupt - nur langfristig wirken. Die Zahl der versuchten Grenzübertritte lag Ende 2021 auf unvermindert hohem Niveau. Dabei sind die Chancen für Lateinamerikaner, in die USA zu gelangen, mit dem neuen "Migrant Protection Protocol" wieder gesunken. Anfang Dezember ist es in Kraft getreten und könnte sogar noch mehr Menschen betreffen als das alte.
Remain in Mexico 2.0
Unter Trump galt das Programm nur für Menschen aus spanischsprachigen Ländern, mit Ausnahme von Mexiko, und für Brasilianer. Jetzt können Menschen aus allen Ländern des amerikanischen Kontinents und der Karibik abgeschoben werden. Insbesondere könnte dies Zehntausende Haitianer betreffen, die ihr Land im letzten Jahr verlassen haben.
Allerdings soll es nun mehr individuelle Ausnahmen geben. Schon unter Trump waren unbegleitete Minderjährige, psychisch Kranke sowie Menschen ausgenommen, denen wegen ihrer Ethnie, Religion, Nationalität, politischen Meinung oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe besondere Gefahr in Mexiko drohte. Zu den Risikofaktoren dieser letzten Gruppe gehören im MPP 2 auch explizit die sexuelle Orientierung, die Gender-Identität und das Alter. Zudem sollen Menschen mit Behinderungen und schwangere Frauen mit Gesundheitsproblemen nicht abgeschoben werden.
Die bedeutendste Änderung ist laut der Non-Profit-Organisation "American Immigration Council" (AIC), die sich für die Rechte von Migranten einsetzt, aber die: Asylbewerber müssen nun nicht mehr beweisen, dass ihnen im Falle einer Rückkehr nach Mexiko Verfolgung oder Folter drohen. Es genügt, diese Befürchtung glaubhaft zu erläutern. Theoretisch ist es also nun einfacher, eine Abschiebung abzuwenden.
Doch angesichts des Mangels an Anwälten, die den Asylbewerbern zur Verfügung stehen, heißt es beim AIC, bleibe abzuwarten, wie sich die Änderungen praktisch auswirken.