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Bildergeschichten: Frisch, fromm, fröhlich, frei?

Tillmann Bendikowski21. Januar 2014

Wir stellen jede Woche ein Bild vor und erzählen seine Geschichte. Diesmal gehen wir zurück in das Jahr 1959: Walter Ulbricht bewegt sich in guter deutscher Tradition

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Walter Ulbricht bei der Gymnastik
Bild: ullstein bild

Der Herr mit dem Schlips ist ein politischer Vorturner: SED-Chef Walter Ulbricht will seinen Genossinnen und Genossen auch in sportlicher Hinsicht den Weg in den Sozialismus weisen. "Jedermann an jedem Ort – einmal in der Woche Sport", fordert er und reiht sich während des Deutschen Turn- und Sportfestes 1959 in Leipzig ein in die Reihen der Bewegungsfreunde. Der Sport im Arbeiter- und Bauernstaat ist dem 66-Jährigen ein persönliches Anliegen, auch deshalb zeigt die Propaganda ihn gerne beim Skifahren oder Tischtennis.

Der oberste Genosse stellt sich damit bewusst in die deutsche Tradition des Turnens, als deren Bewahrer sich der sozialistische Staat gerne fühlt: Hier wird das "Deutsche Turn- und Sportfest der DDR" zelebriert – entsprechend der deutschen Teilung feiert man in der Bundesrepublik als Gegenveranstaltung das "Deutsche Turnfest". Beide haben ihren Ursprung in dem ersten Treffen dieser Art 1860 in Coburg, an dem damals noch ausschließlich Männer teilnahmen – rund 1.000 an der Zahl.

Die deutsche Turnerbewegung entstand schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit durchaus politischer Absicht: Turnen wurde angesichts der napoleonischen Besatzung und im Zuge der mühevollen Nationsbildung zu einer regelrechten patriotischen Befreiungsbewegung: Man turnte, weil man sich als Deutscher fühlte. Das Turnen wurde zu einem Symbol des deutschen Nationalismus. Das Motto zu dieser Bewegung schuf der später als "Turnvater" bezeichnete Friedrich Ludwig Jahn. Der Pädagoge und Politiker wandelte eine Redewendung über das Studentenleben aus dem 16. Jahrhundert ab und erklärte 1816: "Frisch, frey, fröhlich und fromm – das ist des Turners Reichthum."

Vor allem in der Revolution von 1848/49 wurde das "frei" in diesem Wahlspruch von einigen Turnern besonders betont, einige Turnvereine und ihre Treffen wurden deshalb als "republikanisch" verboten. Im weiteren Verlauf der deutschen Geschichte sollte das Turnen schließlich immer wieder Opfer staatlicher Indienstnahme werden: Das gilt vor allem für den Nationalsozialismus (der die nationale Tradition dieser Bewegung missbrauchte) sowie für die DDR, die die Turner bei ihren Sportfest für den siegreichen Sozialismus aufmarschieren ließ. Das Foto von 1959 lässt allerdings vermuten, dass sich dabei viele nicht wirklich frisch, fromm, fröhlich – und erst recht nicht frei fühlten.