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Politik

Schnelle Deutschkurse für Flüchtlingskinder

Sabrina Pabst
25. April 2017

Deutschland als Einwanderungsland hat nicht aus der Vergangenheit gelernt, sagt Bildungsforscher Wilfried Bos. Im DW-Interview fordert er eine bessere Lehrerausbildung für die frühe Sprachförderung geflüchteter Kinder.

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Deutschland junge Flüchtlinge - Integration (Foto: picture-alliance/ZB/P. Pleul)
Bild: picture-alliance/ZB/P. Pleul

Deutsche Welle: Die 33.000 allgemeinbildenden Schulen in Deutschland gelten als Integrationsmotoren für geflüchtete Kinder und Jugendliche. In dem vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration heute veröffentlichten Jahresbericht plädiert der SVR für einen frühen Schulbesuch von minderjährigen Migranten. Was fordert die Schulen am meisten?

Bos: Die Probleme liegen darin, dass die Kinder und Jugendlichen Deutsch lernen müssen. In Nordrhein-Westfalen sind wir noch in der glücklichen Lage, dass es in den letzten Jahren zumindest verpflichtende Module in der Lehrerausbildung für Deutsch als Zweitsprache angeboten wurde. Das ist aber kein Standard für Deutschland. Bundesweit haben wir große Probleme. Wir können auch nicht warten, bis wir eine neue Lehrergeneration an Schulen haben, die ganz toll ausgebildet ist. Die Lehrer, die jetzt an den Schulen sind, haben in der Regel keine Ausbildung, wie sie mit Kindern, die ganz schlecht Deutsch können, in ihrem Fach umgehen. Ein Mathematiklehrer hat das in der Regel nicht gelernt. Wie bilden wir unsere Lehrer möglichst fort, fachsensiblen Unterricht zu geben, auch für das Problem sensibel zu werden, was dort passiert? Es ist ja nicht damit getan, dass man die gleiche Erklärung nochmal abgibt, nur doppelt so laut. Da hat der Schüler nichts von.

Sie empfehlen in dem Jahresgutachten des Sachverständigenrats, Kinder und Jugendliche früh in den Regelunterricht zu schicken. Wie können denn unterschiedliche Lernstände aufgefangen werden? 

Ich bin selbst in meiner ersten Ausbildung Sozialarbeiter gewesen und habe vor 30 Jahren mit den Spätaussiedlerkindern, die in der Regel auch kein Deutsch konnten, gearbeitet und habe das im Schulunterricht sehr gut mitbekommen. Nur damals hat man keine wissenschaftliche Begleitung gemacht und hat nicht festgehalten, was erfolgreich war. Den gleichen Fehler macht man derzeit auch wieder. Auch jetzt gibt es keine gute wissenschaftliche Begleitung. Was schlimm ist, denn wir werden diese Probleme die nächsten zwanzig Jahre haben. Die Forschungslage ist sehr schlecht.

Gibt es Empfehlungen, wie mit diesem Problem umgegangen werden sollte?

Wilfried Bos
Wilfried Bos: "Ich bewundere unsere Lehrer"Bild: picture-alliance/dpa/S. Pilick

Nein, die gibt es nicht. Wir kennen Schulen, die sich sehr viel Mühe gegeben haben. Die haben alte Klassenarbeiten genommen und die Kinder und Jugendlichen mit Übersetzungen getestet. So haben sie dann ungefähr festgemacht, wen man zum Beispiel in Mathematik in Klasse fünf mitnehmen könnte. Das war schon besser als nichts. Aber große Diagnostikverfahren, von den Landesinstituten speziell für diese Gruppe entwickelt, die kenne ich nicht. Eine gute Diagnostik zu haben ist noch eine gute Herausforderung.

Es steht auch noch nicht fest, ob die Kinder und Jugendlichen in sogenannte Integrations-, Auffang- oder Willkommensklassen aufgenommen werden, wie lange sie dort bleiben oder wie der Übergang in die Regelklassen aussehen soll. Gibt es einen Übergang schrittweise von der Klasse weg und nur in die einzelnen Fächer wie Englisch nach drei Monaten, Mathematik vielleicht nach sechs? Das wissen wir alles nicht.

Gibt es denn eine Quote für Klassen, wie viele geflüchtete Kinder dort aufgenommen werden können?

Nein, die haben wir nicht. Wir wissen nicht, wie viele neu aufgenommene Kinder die Regelklasse verträgt. Gibt es da Grenzwerte? Sind drei verträglich oder sind zwölf zu viel. Da herrscht Unwissenheit. Wenn geflüchtete Kinder in eine zweite oder dritte Klasse kommen, sind die meist nach einem halben Jahr fit. Bei älteren dauert es mindestens ein Jahr lang. Die Erfahrungen von damals können wir nicht als Maßstab nehmen für das, was wir heute tun. Ich persönlich würde davor warnen, zu viele Kinder mit Flüchtlingshintergrund in eine Klasse zu integrieren, sondern ein gewisses Augenmaß beizubehalten. 

Die geflüchteten Kinder kommen aus sozial prekären Situationen, kennen durch die Flucht keine Normalität und können traumatisiert sein. Die Lehrer sind diejenigen, auf deren Schultern die Verantwortung liegt. Wie wurden sie darauf vorbereitet?

Gar nicht. Wir haben keine systematische Ausbildung oder Fortbildung. Wir haben schulpsychologische Beratungsstellen. Da ist Personal angestellt, das damit umgehen kann, aber wir haben kein flächendeckendes Programm für Schulen, in denen Flüchtlinge sind. Es gibt Angebote, aber dass das flächendeckend ist, haben wir in Deutschland nicht. Ich bewundere unsere Lehrer, welche Mühe sie sich geben, was sie auf sich nehmen, wie sie damit umgehen - ich bewundere sie wirklich. Auf unsere Lehrer können wir stolz sein. Aber richtig gute Ausbildung bieten wir Ihnen als Hilfestellung nicht an. Ich denke auch, dass in den Landesinstituten mit Hochdruck dran gearbeitet wird, aber es ist noch nicht so, dass wir Programme haben, die wir einfach aus der Tasche ziehen können.

Wilfried Bos ist Bildungsexperte des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Er ist Professor für Bildungsforschung und Qualitätssicherung an der Universität Dortmund und 2012 in den Sachverständigenrat berufen worden.