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Impfstoff in Europa kommt - Fragen bleiben

15. Dezember 2020

Der Impfstoff von Biontech/Pfizer könnte bald in Europa zugelassen werden. Andere Impfstoffe werden folgen. Aber noch sind viele Fragen ungeklärt, etwa zur Länge des Immunschutzes und der Logistik.

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Deutschland | Coronavirus | Symbolbild Impfung
Bild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt

Die Euphorie ist gewaltig: In Großbritannien und den USA  wird der Impfstoff von  BioNTech und Pfizer  bereits verimpft. In Europa soll die Arzneimittelagentur EMA bis zum 29. Dezember über die Zulassung entscheiden. Einigen Akteuren aus Medien und Politik kann es indes nicht schnell genug gehen: Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn sagte am 15. Dezember, er sei optimistisch, dass eine Zulassung schon sechs Tage früher erfolgen könne. Noch am selben Tag kündigte die EMA eine Sitzung für den 21. Dezember an. 

Bereits am 18. November hatten die beiden Firmen berichtet, dass nun genug Daten vorliegen, um ihre Phase III Studie als vorläufig abgeschlossen zu betrachten. Demnach hätte ihre Impfung eine Wirksamkeit von 95 Prozent erreicht.  

Nach ersten Auswertungen hatten die BioNTech-Forscher in einer Pressemitteilung vom 9. November  noch von einem 90-prozentigen Schutz vor einer COVID-19-Erkrankung gesprochen. Außerdem habe die unabhängige Kontrollgruppe DMC "keine ernsthaften Sicherheitsbedenken" gemeldet. 

Auch der US-Pharmahersteller Moderna hat mittlerweile nachgezogen. Am 16.11. verkündete er,  sein Impfstoff habe in einer Phase III Studie mit mehr als 30.000 Teilnehmern eine Wirksamkeit von 94,5 Prozent gezeigt. 

Ebenfalls ganz vorne im Rennen ist  Astrazeneca. Dessen sogenannter Oxford-Impfstoff  soll nach eigenen Angaben zu 70 Prozent wirksam sein. Das ist ein gemittelter Wert aus zwei Studien: An einer kombinierten Phase-II/III-Studie im Vereinigten Königreich nahmen 2741 Probanden teil, die zuerst eine halbe Dosis des Impfstoffs und einen Monat später eine weitere volle Dosis bekamen. Bei dieser Gruppe wurde eine Effektivität von 90 Prozent ermitteln. 

Bei einer zweiten Studien in Brasilien nahmen 8895 Probanden an einer Phase-III-Studie teil; sie erhielten zwei volle Dosen, dort wurde eine Effektivität von 62 Prozent erreichten. Zusammengenommen ergibt dies eine Wirksamkeit von 70 Prozent. 
Schwere Nebenwirkungen berichteten die Versuchspersonen nicht. 

Damit haben BioNTech und Pfizer  sowie Moderna die Nase vorn, aber auch andere Pharmakonzerne wie Sanofi, Sinovac und Johnson & Johnson werden vermutlich sehr bald geeignete Impfstoffe präsentieren. 

Laut der Welt­gesund­heits­organi­sation (WHO) be­finden sich derzeit 47 Impfstoffe in der klinischen Prüfung,  davon 10 in der Phase III. Und die Russen haben ja bereits den - nach Expertenmeinungen noch nicht ausreichend getesteten - Impfstoff Sputnik V,  sowie einen weiteren Impfstoff auf dem Markt. 

Ein Versuch mit einem Impfstoff des chinesischen Herstellers Sinopharm musste jüngst in Peru unterbrochen werden, nachdem ein Patient eine Autoimmunerkrankung  erlitt. 

Mehr dazu: Wann gibt es einen Corona-Impfstoff?

Viele offene Fragen

Viele Fragen lassen sich trotzdem nicht abschließend beantworten, etwa ob es hinsichtlich der Wirksamkeit Unterschiede bei Alter und Vorerkrankungen gibt, ob die Immunität dauerhaft anhält, ob der Impfstoff Infektionen mit schweren Verläufen verhindern kann, inwiefern der Impfstoff symptomlose Infektionen verhindert. 

Unklar ist auch, wie viel die Impfstoffe kosten werden, wer wieviel Impfstoff wann bekommt, wie die Impfstoffe global vertrieben werden sollen, etc. Einige Antworten aber sind derzeit möglich.

Wie wirksam ist ein Impfstoff?

Laut BioNTech und Pfizer bietet ihr Impfstoffkandidat BNT162b2 einen mehr als 95-prozentigen Schutz vor COVID-19. Moderna spricht bei seinem Impfstoff von 94,5 Prozent. Beides wären ungewöhnlich hohe Werte. Der Impfstoff von Astrazeneca soll als Mittelwert zu 70 Prozent wirksam sein, auch das ein sehr hoher Wert.

Zum Vergleich: Die Effektivität der Grippeimpfung betrug laut Robert-Koch-Institut  in der Influenza-Saison 2018/2019 gerade mal 21 Prozent.  Das heißt, die Impfung schütze nur etwa jeden fünften Geimpften.

Ein hundertprozentiger Schutz durch eine Impfung ist praktisch unmöglich, weil die menschlichen Körper dafür einfach zu individuell sind und weil sich Viren wie etwa die Grippeviren kontinuierlich verändern. Deshalb muss auch die Zusammensetzung der Antigene in der Grippe-Schutzimpfung jedes Jahr neu an die aktuell kursierenden Virusstämme angepasst werden.

Impfungen senken aber die Erkrankungswahrscheinlichkeit signifikant. Wie groß der jeweilige Impfeffekt (vaccine efficacy) ist, wird durch umfangreiche Studien geprüft. Entscheidend dafür ist, wie hoch der Bestandteil der gegen den Erreger oder dessen Bestandteile gebildeten Antikörperkonzentration, der Antikörpertiter,  ist.

Dazu werden in einer randomisierten, kontrollierten Studie die Teilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt. Pfizer und BioNTech untersuchten die Wirksamkeit  ihres Impfstoffs BNT162b2 in einer Phase-III-Studie an insgesamt 43.538 Probanden in verschiedenen Ländern, von denen die eine Hälfte den mRNA-Impfstoff bekam und die andere Hälfte ein Placebo. Geimpft wurde in zwei Schritten im Abstand von drei Wochen.

Die Probanden wurden natürlich nicht gezielt mit SARS-CoV-2-Erregern infiziert, so etwas verbietet sich aus ethischen Gründen. Aber im Laufe der Zeit infizierten sich im Alltag von allen Teilnehmern insgesamt 170 Personen, 162 davon gehörten zur Placebogruppe.

In der Impfstoffgruppe waren dagegen im Verhältnis dazu 95 Prozent geschützt.   

Eine solche hohe Effektivität spräche für eine ähnlich hohe Schutzwirkung wie bei Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln,  wo 85 bis 99 % der geimpften eine Immunität erreichen. Bei dem neuen Corona-Impfstoff kann und wird dieser hohe Prozentsatz aber vermutlich im weiteren Verlauf der Studie sinken. Als abgeschlossen gilt die Phase-III-Studie seit, wie bei der Anmeldung angegeben, insgesamt 164 Infektionsfälle aufgetreten sind. Alle Probanden sollen darüber hinaus aber noch über einen Zeitraum von zwei Jahren beobachtet werden. 

Zum Vergleich: An der Moderna-Studie hatten mehr als 30.000 Probanden teilgenommen, die je zur Hälfte die Impfung erhalten hatten und zur Hälfte ein Placebo. 95 Probanden hatten im Laufe der Studie eine COVID-19-Erkrankung entwickelt. Von diesen entfielen 90 auf die Placebo Gruppe und nur fünf auf die geimpfte Gruppe. 

Sind die neuen Impfstoffe sicher?

Im Rahmen der Studie haben die unabhängigen Kontrollgruppen, bei BioNTech und Pfizer das sogenannte Data Monitoring Commitee (DMC) und bei Moderna das  Data Safety Monitoring Board (DSMB) jeweils "keine ernsthaften Sicherheitsbedenken" gemeldet. Dass bislang keine schwerwiegenden Nebenwirkungen auftraten heißt aber nicht, dass sie nicht bei einer größeren Testgruppe oder bei besonderen Vorerkrankungen auftreten können.

Bei einer intramuskulären Impfung kann es immer auch zu lokalen Reaktionen an der Injek­tionsstelle kommen. Und die Immunreaktion, also die Bildung von Antikörper bildenden B-Zellen und unter­stüt­zenden T-Zellen, kann immer auch Fieber, Schüttelfrost, Muskelschmerzen oder Kopfschmerzen auslösen. 

Corona-Testgebiet Südamerika

Außerdem gehören beide Impfstoffe, der Impfstoff BNT162b2 (BioNTech/Pfizer) und mRNA-1273 (Moderna), zu einer neuen Gruppe von Impfstoffen, die bisher noch nicht klinisch im Einsatz sind. Die Vakzine bestehen aus einer modifi­zierten Boten-RNA,  die den Bauplan für das Spike-Protein des Virus enthält. Im Körper des Geimpften wird die enthaltene mRNA in die Zellen aufgenommen, die dann nach dieser Anweisung ein virales Protein bilden. Gegen dieses Protein setzt eine Immunantwort ein, die bei einem Kontakt mit dem Erreger vor einer Erkrankung schützen soll.

Woher bekommen die EU-Bürger einen Impfstoff?

Seit Monaten schon hat die EU-Kommission intensiv mit BioNTech und Pfizer verhandelt. Ursprünglich wollte die EU sich bis zu 300 Millionen Impfstoffdosen sichern. Ein Vertrag sieht jetzt vor, dass die EU bis zu 200 Millionen Impfdosen bestellt, mit der Option auf 100 Millionen weitere. 

Nach eigenen Angaben verhandelt die EU-Kommission derzeit auch mit dem US-Konzern Moderna über die Lieferung von bis zu 160 Millionen Impfdosen, bislang liegt aber noch kein Vertrag vor. 

Parallel dazu hat die EU bereits auch Verträge über den Ankauf von 300 Millionen Dosen des Impfstoffs von Astrazeneca sowie mit Sanofi-GSK und mit Johnson & Johnson erarbeitet.

Wie gerecht ist die Impfstoffverteilung?

Bereits Anfang Juni haben sich Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande zu einer "Inclusive Vaccine Alliance" zusammengeschlossen, die dafür sorgen soll, dass entsprechende Impfstoffe möglichst schnell und an möglichst vielen Standorten in der EU produziert werden.

So will die EU nicht nur ihren Mitgliedsstaaten, sondern auch ärmeren Staaten, etwa in Afrika, bezahlbare Impfstoffe zur Verfügung stellen. Wie der Name schon sagt, soll diese "Inclusive Vaccine Alliance" auch für andere Länder offen stehen. 

Wie die Corona-Impfstoffe dann aber weltweit verteilt und verimpft werden sollen, ist die nächste große Frage. Denn mRNA-Impfstoffe müssen wahrscheinlich unter minus 80 Grad gekühlt werden,  um ihre Wirksamkeit über einen längeren Zeitraum zu behalten. Das stellt Lager- und Transportanbieter vor gewaltige Herausforderungen. Erst fünf bis sieben Tage vor ihrer Verabreichung dürfen sie auf übliche Kühlschranktemperaturen erwärmt werden. 

In Deutschland werden die Impfungen in den ersten Monaten in zentralen Impfzentren durchgeführt, die derzeit im Aufbau sind. 

Dieser Artikel vom 9.11.2020 wurde zuletzt am 15.12.2020 aufgrund der Ankündigung einer voraussichtlichen Zulassung des BioNTech-Pfizer Impfstoffes durch die EMA aktualisiert. 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund