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Politik

Blauhelm-Einsätze und das Srebrenica-Urteil

Hans Spross
3. Juli 2017

Ein Gericht in Den Haag hat eine Teilschuld des niederländischen Staates am Massaker von Srebrenica festgestellt. Völkerrechtsexpertin Erika de Wet erläutert, was das Urteil für UN-Blauhelmeinsätze bedeutet.

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Symbolbild UN Mission Soldat
Bild: AFP/Getty Images/P. MacDiarmid

Welche Auswirkungen hat das jüngste Urteil eines Den Haager Gerichts, das dem niederländischen Staat eine Teilschuld an der Ermordung bosnischer Flüchtlinge bei Srebrenica zuwies, auf die UN-Blauhelmeinsätze?

Man muss zunächst die Besonderheit des Falles von Srebrenica beleuchten. Die niederländischen Soldaten waren in die Befehlskette der Vereinten Nationen integriert, bis die Niederlande ihre Beteiligung an der UNPROFOR-Mission abgebrochen haben. Viele der Klagen gegen die niederländischen UN-Truppen in Bosnien bezogen sich zunächst einmal auf militärische Entscheidungen, die im Rahmen der UNPROFOR-Mission gemacht wurden. Diese Klagen wurden abgelehnt, weil sich das Gericht nicht mit Klagen gegen die UN befassen darf.

Aber ab einem bestimmten Punkt wurde die Mission abgebrochen. Die niederländische Regierung hatte sich entschieden, ihre Soldaten zu schützen und aus Bosnien abzuziehen, weil die bosnischen Serben auf dem Vormarsch waren. Und von diesem Zeitpunkt an hatten die niederländischen Soldaten und ihre Befehlshaber die "wirksame Kontrolle", wie wir im internationalen Recht sagen. Sie haben eigenständig die Kontrolle in jenem UN-Lager ausgeübt, von dem aus die später ermordeten bosnischen Flüchtlinge abtransportiert wurden.

Deutschland Erika de Wet Rechtswissenschaftlerin Uni Bonn
Erika de Wet: Haftungssystem für Blauhelmeinsätze ist lückenhaftBild: Institut für Völkerrecht der Juristischen Fakultät der Universität Bonn

Und durch die Mitwirkung an der Aussortierung von Männern und Jungen durch die serbischen Truppen in dem Lager, und damit an der späteren Ermordung dieser Menschen, haben sich die niederländischen Soldaten und damit ihr Staat schuldig gemacht?

Richtig. Laut dem Gericht haben die niederländischen Befehlshaber am 12. Juli 1995 konkret erfahren, was mit den männlichen bosnischen Flüchtlingen passieren würde. Davor war es nicht so klar. Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass sie vor diesem Datum wussten, was genau sich da abspielte, dass Busse aufgehalten wurden und bestimmte Personengruppen aus den Bussen  entfernt wurden. Aber nach dem 12. Juli war es ihnen klar.

Und am nächsten Morgen, am 13. Juli, sind dann bosnische Serben in dieses Lager gekommen. Und die haben angefangen, bei diesen Flüchtlingen, die im Begriff waren, in die Busse zu steigen, die Jungen und Männer von den Frauen und Mädchen zu trennen.

Das Gericht hat festgestellt, dass die niederländischen Soldaten daran mitgewirkt haben. Sie haben die Flüchtlinge in einer Art und Weise organisiert, die es den bosnischen Serben leicht gemacht hat, die Männer und Jungen herauszuholen. Und da hat das Gericht gesagt: Die niederländischen Soldaten haben da mitgewirkt. Und sie hätten das nicht machen dürfen. Und zweitens: Die niederländischen Soldaten hätten diese Männer über ihr mögliches Schicksal informieren sollen, wenn sie in diese Busse einsteigen.

Niederländische UN-Soldaten in Srebrenica 1994
Niederländische UN-Soldaten in Srebrenica 1994Bild: AFP/Getty Images

Worauf hat das Gericht seine Entscheidung gegründet?

Es war ein Verstoß gegen das Völkerrecht, gegen die europäische Konvention für Menschenrechte und gegen den UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Es geht um das Recht auf Leben, auf das Folterverbot und das Verbot erniedrigender Behandlungen. Und hier hat der Staat eine Gewährleistungspflicht. Er muss verhindern, dass Menschen in eine Situation hineingeraten, in der sie Folter oder dem willkürlichen Tod ausgesetzt sind.

Aber es handelt sich nur um Personen unter seiner "wirksamen Kontrolle". Und das ist in der Regel auf seinem Hoheitsgebiet, oder eben wie damals in einem solchen Lager, wo der Staat seine Entscheidungen und keine UN-Entscheidungen getroffen hat.

Das Srebrenica-Urteil behandelt also im Grunde schuldhaftes Verhalten außerhalb des UN-Rahmens. Wenn es nun zu Fehlverhalten oder Verbrechen im Rahmen eines UN-Einsatzes kommt – wie kann das verfolgt werden?

Es gibt in der Regel ein Übereinkommen mit dem Entsendestaat, dass Fehlverhalten, sexueller Missbrauch und ähnliches durch seine Truppen von dem Entsendestaat geahndet werden müssen. Südafrika hat zum Beispiel viele Friedenstruppen in Afrika, im Kongo oder Südsudan. Wenn es dort zu Fehlverhalten kommt, wird die südafrikanische Staatsanwaltschaft vor Ort aktiv.

Der Entsendestaat hat die Pflicht, Soldaten, die gegen das nationale Recht verstoßen, zu verfolgen. Und die UN geht mittlerweile konsequenter vor, wenn Länder ihre Leute nicht zur Verantwortung ziehen. Diese Länder dürfen im Prinzip keine Friedenstruppen mehr zur Verfügung stellen. Man geht jetzt härter vor. Das war jahrelang viel zu selten passiert. Wenn es um Dinge wie sexuellen Missbrauch und andere Straftaten geht, die keine Völkerrechtsverbrechen sind, aber nicht akzeptabel sind, muss da der Entsendestaat handeln. Und da wird mittlerweile auch konsequenter vorgegangen.  

Elfenbeinküste UN Einsatz
UN-Mission in der ElfenbeinküsteBild: Getty Images/AFP/S. Kambou

Soweit die Theorie. Wie sieht die Praxis aus?

In aller Regel treffen die UN immer solche Vereinbarungen mit Entsendeländern. Das Problem war, dass sich viele Länder oftmals nicht an die Vereinbarungen gehalten haben. Sie haben nicht immer ihre Soldaten, die gegen dieses Abkommen verstoßen haben, zur Rechenschaft gezogen. Die Rechtssysteme in diesen Ländern sind nicht immer gut entwickelt und nicht zuverlässig. Das war ein großes Problem. Deswegen droht man diesen Ländern jetzt, dass sie keine Friedenstruppen mehr stellen dürfen, wenn sie nicht konsequent gegen diese Leute vorgehen - was natürlich für diese Länder finanzielle Konsequenzen hätte.

Wie sieht es mit der Verantwortung der UN aus, wenn sich die einzelnen UN-Mitgliedsstaaten ihrer Verantwortung entziehen?

Die UN besitzen wie fast alle internationalen Organisationen vor den nationalen Gerichten Immunität. Dafür gibt es teilweise auch sehr gute Gründe, weil sie teilweise in Ländern arbeiten müssen, wo die Situation sehr schwierig ist. Und sie haben Angst vor Erpressung und davor, dass sie ihre Arbeit nicht frei machen können. Im Prinzip kann man Klage bei den UN einreichen, mit der Begründung, dass die UN ihre Obhuts- und ihre Schutzpflichten verletzt hätten, zum Beispiel bei Misshandlungen in UN-Lagern.

Aber insgesamt muss man sagen, dass die UN, wenn es um ihre eigenen Schutzpflichten nach dem Völkerrecht geht, sehr zurückhaltend sind. Es hat sich einiges getan in den letzten Jahren: Es wäre nicht fair zu sagen, dass die UN das gar nicht ernst nehmen. Aber man kann nicht wirklich juristisch gegen die Organisation vorgehen.

Hinzu kommt, dass die Leute, die sich in solchen Flüchtlingslagern aufhalten, oft sehr verletzliche Menschen sind, häufig Analphabeten, Frauen und Kinder, die überhaupt nicht in der Lage sind, sich juristisch zu wehren, wenn sie von UN-Soldaten missbraucht werden. Das System für Haftung der UN in diesen Situationen ist jedenfalls lückenhaft.

UN Mission UNMIL
(Archiv) UN-Soldaten aus Bangladesch in Liberia/Westafrika 2003Bild: picture-alliance/dpa/N. Bothma

Wird das Srebrenica-Urteil in den Ländern, die besonders viele UN-Friedenstruppen stellen, zu größerem Nachdenken oder zu Sorge vor möglicher juristischer Verfolgung bei Verfehlungen ihrer Blauhelmsoldaten führen?

Wie viele afrikanische und asiatische Staaten gegen ihre UN-Soldaten vorgehen, die sich Fehlverhalten zuschulden kommen lassen, ist schwer einzuschätzen. Man wird sich die Entscheidung auf jeden Fall anschauen, denn das ist schon bahnbrechend. Andererseits glaube ich nicht, dass man in diesen Ländern jetzt sehr große Angst haben muss. Es handelte sich bei dem Srebrenica-Urteil um einen Sonderfall, in dem die UN-Befehlskette gar nicht mehr bestand. 

Das Interview führt Hans Spross.

Erika de Wet ist Professorin für Völkerrecht und Rechtsvergleichung an der Universität von Pretoria mit Lehraufträgen an den Universitäten Zürich und Bonn.