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Ungarn Parlamentswahlen

Keno Verseck6. April 2014

Ungarn hat ein neues Parlament gewählt. Laut ersten Nachwahlbefragungen liegt die Partei von Ministerpräsident Orban vorn. Er hat das Land von Europa entfernt und schlägt nationalistische Töne an.

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Ungarn Premierminister Victor Orban (Foto:Bela Szandelszky/AP/dapd)
Hat die Mehrheit klar hinter sich: Ungarns Premierminister Victor Orbán

"Ungarn macht's besser" - diese Losung begleitet die ungarische Bevölkerung zurzeit auf Schritt und Tritt. Sie steht auf den Wahlplakaten der nationalkonservativen Regierungspartei Fidesz. Das Wort "Ungarn" ist dabei eingerahmt von einem Pfeil, der aufwärts zeigt. Rund acht Millionen Ungarn waren aufgerufen, an diesem Sonntag (06.04.2014) ein neues Parlament zu wählen.

Dementsprechend sind von Fidesz-Politikern und vor allem vom Regierungschef Viktor Orbán derzeit nur Erfolgsmeldungen zu hören: Vor vier Jahren sei Ungarn fast in den "Abgrund des Bankrotts" gestürzt, nun habe das Land eine stabile und wachsende Wirtschaft, werde immer stärker und stehe vor einer "großartigen Zukunft", verkündet Orbán.

Schöner Schein

Allerdings sieht die soziale und wirtschaftliche Realität im Land anders aus, als Orbán und seine Regierungsmehrheit es darstellen. Die Wirtschaftskrise ist längst nicht überwunden, das Land sozial tief gespalten - rund ein Drittel der zehn Millionen Ungarn lebt in Armut.

Dennoch sieht es so aus, dass Orbán und seine Regierungsmehrheit aus Fidesz und der kleinen angeschlossen Christdemokratischen Volkspartei (KDNP) die absolute Mehrheit gewinnen werden. Das jedenfalls sagen alle Umfragen voraus. Möglicherweise erreicht Orbán wie schon 2010 sogar wieder eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Parlamentssitze. Das aus fünf Parteien bestehende sozialistisch-liberale Oppositionsbündnis "Regierungswechsel" kommt demgegenüber nur auf 25 bis 30 Prozent der Stimmen.

Massenkundgebung am Nationalfeiertag in Budapest (Foto: REUTERS/Laszlo Balogh)
Ungarn stehen zu Orbán - aus Angst und aus DankbarkeitBild: Reuters

Die Architektur der Macht

Ist der im Westen so ungeliebte Viktor Orbán tatsächlich so populär in seiner Heimat, wie die Umfragen vermuten lassen? Nur eingeschränkt, meinen viele ungarische Beobachter. Der Publizist und Außenpolitikexperte Attila Ara-Kovács führt mehrere Gründe für den zu erwartenden Wahlsieg von Orbán und seiner Allianz Fidesz-KDNP an. "Mit seinem gegen Europa und die EU gerichteten sogenannten Freiheitskampf und seiner nationalistischen Agitation gegen die Nachbarländer hält Orbán seine Anhänger im Zustand der Dauermobilisierung", sagt Ara-Kovács. Ein anderer Teil der Bevölkerung habe infolge der Globalisierung große Existenzangst und Orbán verspreche ihnen Sicherheit. "Schließlich lebt ein weiterer Teil der Gesellschaft in regelrechter Furcht vor Orbán und seinem System, etwa Angestellte im öffentlichen und Staatsdienst, die Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, oder Unternehmer, die befürchten, keine Aufträge mehr zu bekommen."

Tatsächlich haben Orbán und seine Regierungsmehrheit Ungarn in den letzten vier Jahren radikal umgekrempelt. Im Staatsapparat, dem öffentlichen Dienst und den öffentlich-rechtlichen Medien fand ein kompletter Elitenwechsel statt. Mit hunderten von Gesetzen und Verordnungen sicherte sich Orbán langfristig die Macht.

Unter anderem wurde eine Parlaments- und Wahlrechtsreform verabschiedet, die genau auf Orbán und seine Allianz Fidesz-KDNP zugeschnitten ist. Darin wurde das Mehrheitsprinzip deutlich verstärkt, außerdem wurden die Wahlkreise neu gezogen - in vielen Fidesz-Hochburgen reicht eine geringere Anzahl von Stimmen für den Mandatsgewinn als in eher linken Wahlkreisen. "Fidesz hat das neue Wahlrecht so konzipiert, dass aus einer relativen Stimmenmehrheit eine absolute Parlamentsmehrheit wird", sagt Róbert László vom Budapester Institut Political Capital.

Nationalfeiertag in Ungarn Budapest (REUTERS/Laszlo Balogh)
Viktor Orbán schwenkt immer mehr nach rechtsBild: Reuters

Orbán beließ es nicht nur bei solchen Gesetzen. Die Leitung vieler wichtiger Behörden und Institutionen wurde auf Jahre hinaus mit Fidesz-treuem Personal besetzt. Das engere Parteiumfeld erhielt Zugang zu lukrativen Einnahmequellen wie Lizenzen für den Tabakeinzelhandel oder konnte bevorzugt Land kaufen. Die breite Bevölkerung profitierte vom "Nebenkostenkampf" - mehrmalige Preissenkungen für Gas, Strom, Wasser und kommunale Dienstleistungen zu Lasten der überwiegend ausländischen Versorger.

Nationalistische Rhetorik

Ideologisch-rhetorisch schwenkten Orbán und seine Regierungsmehrheit immer weiter nach rechts - ihre Rhetorik ist geprägt von Nationalismus, Ethnizismus, Autoritarismus und offener Europafeindlichkeit. Zudem verwenden sie eine kodifizierte Sprache, mit der bei Bedarf antisemitische oder antiziganistische Ressentiments bedient werden, etwa wenn Orbán in seinen Reden immer wieder gegen die "Finanzwelt", "Schuldsklaverei" oder "Wucherer" zu Felde zieht.

Außenpolitisch hat sich Orbán in Europa auf diese Weise isoliert und überwunden geglaubte Konflikte mit Nachbarländern wie Rumänien neu angeheizt. In Ungarn jedoch kommt diese Rhetorik bei einem Teil der Bevölkerung gut an.

Rechtsextreme ante portas

Doch die sozialistisch-liberale Opposition hat dem kaum etwas entgegenzusetzen. Orbáns Stärke ist zu einem Gutteil die Schwäche der demokratischen Opposition. Erst vor wenigen Wochen fanden sich fünf sozialistische und liberale Parteien nach jahrelangem Streit zähneknirschend zum Oppositionsbündnis "Regierungswechsel" zusammen. Doch an die Möglichkeit eines Wechsels scheinen sie selbst nicht zu glauben - von ihren Wahlplakaten blickt unter der Losung "Meine Stimme, mein Land" eine ungarische Familie den Betrachter traurig an.

Elod Novak Vizepräsident der nationalistischen PArtei Jobbik in Ungarn (Foto: EPA/SZILARD KOSZTICSAK)
EU-feindliche Aktion der Jobbik-ParteiBild: picture-alliance/dpa

Überraschungssieger dieser Wahl könnten ganz andere sein: die Rechtsextremen der Partei Jobbik (Die Besseren). Sie haben ihre offen antisemitische und antiziganistische Rhetorik in den letzten Monaten abgelegt und treten moderat auf. Mit Erfolg: Umfragen bescheinigen ihnen bis zu 20 Prozent. Was folgt, wenn sie an die Macht kommen, daran lassen sie keinen Zweifel: Austritt aus der EU, Wiedereinführung der Todesstrafe, Kontrollen von Politikern und Beamten, ob sie die israelische Staatsbürgerschaft besitzen und Internierung von Roma-Kindern in staatliche Wohnheime.