Albanien muss auf dem Weg zur EU erst an Griechenland vorbei
5. Dezember 2023Altin Meshini ist ein erfolgreicher Bio-Käseproduzent in Permet im Süden Albaniens. Sein Käseladen ist eine echte Touristenattraktion: Er befindet sich in einem großen Bunker, der 1939 von Mussolinis faschistischem Italien gebaut wurde und von italienischen Soldaten während des Griechisch-Italienischen Krieges 1940/41 genutzt wurde, um die Schützengräben der griechischen Armee mit Artillerie zu beschießen.
Zu dieser Zeit war Albanien von Italien besetzt. Nachdem die griechische Armee die Italiener zurückgedrängt hatte, kam es zu blutigen Kämpfen um Permet. Nach Angaben der Botschaft Griechenlands in Tirana fielen während des Griechisch-Italienischen Krieges in Albanien etwa 8000 griechische Soldaten, von denen 1300 auf Friedhöfen im Land begraben sind.
Für Altin Meshini ist die Weitergabe von Kriegserinnerungen wie dieser ein wichtiger Schritt zum Verständnis, wie kostbar das Leben und der Frieden sind. "Sehen Sie sich meine Molkerei an", sagte er der DW, "sie wurde gebaut, um in einem absurden Krieg Leben zu nehmen. Ich nutze sie, um in Friedenszeiten Leben zu ernähren."
Offiziell noch im Krieg
Menschen wie Meshini mögen in ihrem Alltag konstruktive Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben. Nicht dasselbe lässt sich vom Verhältnis zwischen Albanien und Griechenland sagen. Die bilateralen Beziehungen beider Länder sind seit langem belastet, viele Probleme haben ihre Wurzeln in der Vergangenheit. Dazu gehören umstrittene Seegrenzen, der offiziell noch andauernde griechische Kriegszustand mit Albanien sowie die Eigentumsrechte von Angehörigen der griechischen Minderheit in Albanien.
Griechenland erklärte Albanien im Oktober 1940 den Krieg, nachdem Mussolinis Italien das Land vom besetzten Albanien aus angegriffen hatte. Obwohl Albanien und Griechenland 1996 einen Freundschaftsvertrag unterzeichneten, befinden sich die beiden NATO-Verbündeten technisch gesehen immer noch im Kriegszustand.
Nach Angaben eines Vertreters des griechischen Außenministeriums hat die griechische Regierung bereits 1987 zugestimmt, den Kriegszustand aufzuheben. Doch das griechische Parlament hat diesen Beschluss nie ratifiziert. Der Kriegszustand ist seit langem eine Quelle von Spannungen zwischen den beiden Ländern.
Albanien ist die Beendigung des Kriegszustands wichtig, weil das den Beginn von Reparationsverhandlungen für die Minderheit der Camen eröffnen könnte. Diese albanische Minderheit lebte lange im Bereich der heutigen nordwestgriechischen Region Epirus. Nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieb Griechenland einen Großteil der muslimischen Camen, weil diese angeblich mit den Besatzern kollaboriert hätten. Griechenland beschlagnahmte zudem die Grundstücke der Vertriebenen. Seit dem Ende der Diktatur in den 1990er Jahren fordert Albanien Reparationen von Griechenland - und die Camen in Albanien drängen auf ein Recht auf Rückkehr. Griechenland weist diese Forderungen zurück: Wer Anspruch auf Eigentum gelten machen wolle, solle dies vor Gericht tun.
Verhafteter Bürgermeisterkandidat
Aktuell größter Streitpunkt zwischen den beiden Ländern ist jedoch der Fall von Fredi Beleri, einem 52-jährigen Angehörigen der griechischen Minderheit in Albanien, der am 14. Mai zum Bürgermeister der albanischen Gemeinde Himara gewählt worden war. Dort leben zum großen Teil albanische Griechen. Bis heute ist Beleri noch nicht vereidigt, weil er zwei Tage vor der Wahl unter dem Vorwurf des Stimmenkaufs verhaftet wurde, was er vehement bestreitet. Alle seine Anträge auf Freilassung oder Amtsübernahme wurden von den albanischen Gerichten bisher abgelehnt.
Hintergrund des Falles dürften vor allem der Kampf um Grundstücke und Immobilien an der malerischen Adriaküste Albaniens und Himaras Potenzial als Touristenort sein. "Viele Grundstücke an der Küste gehören ethnischen Griechen, die in Himara und in den umliegenden Dörfern leben", sagt Skerdian Dhuli, ein Anwalt aus Himara. "Aus verschiedenen Gründen - vor allem wegen der Korruption in den öffentlichen Einrichtungen, die sich mit Immobilien befassen - können die einheimischen Eigentümer jedoch nicht in ihre Immobilien investieren." Betroffen sind allerdings auch lokale albanische Grundstückseigentümer, die nicht der griechischen Minderheit angehören.
Ortsfremde Investoren
Grund ist eine spezielle albanische Gesetzgebung für die Küstengebiete des Landes. Alle dortigen Investitionen müssen von einem nationalen Gremium genehmigt werden, dem der Premierminister Edi Rama vorsteht. Zudem kann dieser Nationale Territorialrat ortsfremde Investoren bestimmen, die auf den Grundstücken der lokalen und tatsächlichen Eigentümer investieren. Der Anwalt Dhuli sieht die eigentümliche Regelung als eine Möglichkeit an, "Grundstücke der einheimischen Eigentümer zu rauben". Laut Dhuli gibt es rund 4000 dieser "überlappenden Grundstücke" in Himara. Fredi Beleri, der in Opposition zur regierenden Sozialistischen Partei (PS) des Premiers Rama steht, hatte bei den Bürgermeisterwahlen versprochen, diese Situation zu ändern.
Griechenland hat auf die Festnahme und Inhaftierung von Beleri scharf reagiert und Albanien beschuldigt, die Rechtsstaatlichkeit und die Rechte der griechischen Minderheit zu verletzen. Athen behauptet, Beleris Inhaftierung sei politisch motiviert. Griechenland hat angedeutet, dass es den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen Albaniens blockieren könnte - für die Aufnahme solcher Verhandlungen bedarf es eines einstimmigen Votums aller EU-Mitglieder.
Tiefes Misstrauen
Nach Ansicht des Journalisten und Schriftstellers Stavros Tzimas spielt das gegenseitige Misstrauen in den Beziehungen zwischen Griechenland und Albanien eine sehr große Rolle: "Seit den Jahren des kommunistischen Diktators Enver Hoxha, als das Land isoliert war, herrscht in Albanien das Gefühl vor, vom Feind eingekreist zu sein. In politischen, historischen und journalistischen Kreisen hält sich der Verdacht, dass Griechenland darauf aus ist, Albanien zu zerstückeln", sagt er der DW. "Auch auf griechischer Seite herrscht Misstrauen - obwohl sich die griechische Öffentlichkeit nicht sonderlich für die Geschehnisse in Albanien interessiert."
Zurück in der Bio-Bunker-Molkerei in Permet blickt Altin Meshini in die Zukunft: "Viele Italiener und Griechen kommen jedes Jahr, angezogen von der ungewöhnlichen Geschichte des Bunkers", sagt er. "Wenn wir über die Vergangenheit sprechen, sind wir uns alle einig, dass wir in Frieden leben und gute nachbarschaftliche Beziehungen haben wollen. Wir wollen, dass die Vergangenheit in der Geschichte bleibt und nicht unsere Gegenwart und Zukunft trübt."