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KonflikteNahost

Bodenoffensive in Rafah? Warum die Stadt wichtig ist

Andreas Noll | Stephanie Höppner
6. Mai 2024

Seit Monaten wird über den Start einer Militäroffensive Israels in Rafah im Süden von Gaza spekuliert. Israel hat Zivilisten aufgerufen, die Stadt zu verlassen. Die Hamas signalisierte Zustimmung für eine Feuerpause.

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Ein Mann auf einem Fahrrad sowie mehrere Autos möglicherweise auf der Flucht aus Rafah
Zur Not auch mit dem Fahrrad: Rund 100.000 Menschen sollen die Stadt Rafah verlassen Bild: AFP/Getty Images

Wann beginnt die Rafah-Offensive?

Seit Anfang Februar wird in Israel über eine mögliche Militäroffensive auf Rafah im südlichen Gazastreifen diskutiert. Nun könnte es konkret werden: Die israelische Armee hat die Bewohner des östlichen Teils von Rafah aufgefordert, die Stadt zu verlassen.

Betroffen sind rund 100.000 Menschen. Nach Angaben der israelischen Armee IDF soll es sich um einen "begrenzten Einsatz" handeln, der die vom Westen und einigen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestufte Hamas zerschlagen soll. Außerdem werden noch Geiseln in der Stadt vermutet.

Gleichzeitig stimmte die islamistische Hamas nach Agenturberichten einem von den Vermittlern Ägypten und Katar unterbreiteten Vorschlag für eine Waffenruhe im Gaza-Krieg zu. Bis Mittwochabend blieb allerdings unklar, welchen Punkten die Hamas genau zugestimmt hat. 

Der israelische Polizeiminister Itamar Ben-Gvir wies israelischen Medienberichten zufolge die Zustimmung der Hamas als einen "Trick" zurück. Die Armee erklärte, die Zivilisten sollen sich in das ungefähr 20 Kilometer nördlich von Rafah gelegene Gebiet Al-Mawasi nahe der Küste begeben. Dort befinde sich ein "erweitertes humanitäres Gebiet" mit Feldlazaretten, Zelten und Lebensmitteln.

Nach Angaben des "Wall Streets Journals" will Israel die Bodenoffensive in Etappen durchführen, die Evakuierung könnte zwei bis drei Wochen dauern. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte vor einiger Zeit von rund sechs Wochen "ununterbrochenen Kämpfen" für die Operation gesprochen.

Zuvor waren indirekte Verhandlungen mit der Hamas über eine Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassung der Geiseln im Gegenzug für palästinensische Häftlinge gescheitert. Eine Militäraktion sei deshalb jetzt notwendig und ohne Alternative, so der israelische Verteidigungsminister Joav Galant laut Agenturen.

Israels Verbündete wie die USA warnen dagegen vor einer Offensive. In der überfüllten Stadt leben hunderttausende Flüchtlinge aus anderen Gebieten Gazas, die Lage für die Menschen vor Ort ist schon jetzt katastrophal.

Wie ist die Situation der Menschen in Rafah?

Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen sind laut Schätzungen der Vereinten Nationen auf der Flucht. Von den gut 2,3 Millionen Einwohnern haben bis zu 1,4 Millionen in Rafah Zuflucht gefunden, nachdem die israelischen Streitkräfte den Norden des Gazastreifens eingenommen haben. Damit ist Rafah derzeit die bevölkerungsreichste Stadt im Gazastreifen.

Die Flüchtlingslager in der Region um Rafah sind voll - es fehlt an Nahrungsmitteln, Medikamenten und Trinkwasser. "Die humanitäre Lage in Gaza ist unglaublich schlecht", sagte eine Vertreterin der US-Entwicklungsbehörde USAID. Im Süden des Gazastreifens leide fast ein Viertel der Bevölkerung unter der katastrophalen Ernährungslage. Besonders betroffen sind Kinder.

Zelte und Baracken stehen dicht an dicht, im Hintergrund sind Stadt und Küste zu erkennen
Eine Stadt voller Flüchtlinge: Camp in der Grenzstadt RafahBild: Bassam Masoud/REUTERS

Auch der Sprecher des UN-Kinderhilfswerk James Elder warnte in einem kürzlich veröffentlichten Gastbeitrag für die britische Tageszeitung "Guardian“ vor den Folgen. "Rafah würde implodieren“, sagte er mit Blick auf eine mögliche Offensive.

"Die Folgen wären katastrophal: Denn Rafah ist eine Stadt der Kinder.“ Rund 600.000 Jungen und Mädchen hätten dort Zuflucht gesucht. Es gebe keinen sicheren Ort, an den sie fliehen könnten. Zudem sei Rafah Drehkreuz für die humanitäre Hilfe.

Warum ist Rafah so wichtig für Israel?

Rafah gilt als letzter großer Stützpunkt der islamistischen Terrorgruppe Hamas, die am 7. Oktober 2023 ein Massaker in Israel verübt und 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt hat. Israel geht davon aus, dass sich noch bis zu vier der ehemals 24 Hamas-Brigaden in oder unter Rafah versteckt halten.

Sie zu bekämpfen, ist aus dieser Perspektive ein entscheidender Schritt zur Zerschlagung der Organisation. Die Kampfkraft der Hamas ist nach mehr als sieben Monaten Krieg mit Israel geschwächt, aber militärisch besiegt ist die Terrorgruppe nicht.

Zwar hat die Zahl der Raketenangriffe auf Israel stark abgenommen, doch verfügt die Organisation weiterhin über viele Raketen und Drohnen. Laut Michael Milshtein, ehemals Angehöriger des israelischen Militärgeheimdienstes und heute Forscher am Moshe Dayan Center der Universität Tel Aviv, habe Israel Stand April bislang 70 bis 80 Prozent des Waffenarsenals der Hamas zerstört.

Wie wird die Bevölkerung versorgt?

Wie die ohnehin notleidende Bevölkerung Gazas bei einer Bodenoffensive versorgt werden soll, ist unklar. Während Verbündete vor einer Katastrophe warnen, erklärte ein IDF-Sprecher, die Versorgung der Bevölkerung mit humanitären Hilfsgütern werde während des Räumungseinsatzes ungehindert weitergehen. Man könnte diese über verschiedene Routen in den Küstenstreifen bringen, etwa über den gut 30 Kilometer nördlich des Gazastreifens gelegenen israelischen Hafen in Aschdod.

Weiße Säcke mit Weizenmehr tragen die Aufschrift des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten UNRWA
Ein Großteil der internationalen Hilfe erreicht den Gazastreifen über den Grenzübergang RafahBild: Mohammed Salem/REUTERS

Der israelische Grenzübergang Kerem Schalom wurde nach einem Hamas-Angriff am Sonntag vorübergehend für humanitäre Transporte geschlossen. Die militant-islamistische Hamas hatte Raketen auf den Grenzübergang geschossen und dabei drei israelische Soldaten getötet.

Unterdessen haben die USA einen provisorischen Hafen vor der Küste gebaut. Die Arbeiten an der provisorischen Hafenanlage im Norden des Gazastreifens sind so gut wie abgeschlossen. Die Landestelle wird von rund 1000 US-Soldaten bewacht und soll Anlandestelle für dringend benötigte Hilfsfrachter werden.

Welche Reaktionen gibt es ?

Die Hamas spricht von einer "gefährlichen Eskalation, die Konsequenzen haben wird". Laut Israel habe die Hamas ihre Kämpfer bereits vorbereitet und sie mit Proviant und Waffen versorgt. Die USA hoffen derweil weiterhin auf eine friedliche Lösung. CIA-Chef William Burns will sich laut einem Medienbericht für einen Deal einsetzen. Schon vor Monaten hatten die USA die Pläne für eine Bodenoffensive gegen Rafah heftig kritisiert. Auch das deutsche Auswärtige Amt warnte vor einer "humanitären Katastrophe mit Ansage“.  

Das Nachbarland Ägypten befürchtet, dass viele Flüchtlinge aus Rafah auf den ägyptischen Sinai kommen könnten. Laut dem staatlichen ägyptischen Nachrichtensender Al-Kahera hätte der Hamas-Angriff auf den israelischen Grenzübergang Kerem Schalom die Verhandlungen in eine Sackgasse geführt. Der Sender hatte dafür eine ungenannte hochrangige Quelle zitiert. Laut dieser Quelle würden Unterhändler versuchen, die Eskalation einzudämmen.

Dieser Artikel wurde am 6. Mai 2024 aktualisiert. 

Stephanie Höppner Autorin und Redakteurin für Politik und Gesellschaft