Boko Harams neues Selbstvertrauen
7. Juni 2014Mit täglich neuen Meldungen macht die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram von sich Reden. Allein die Bilanz der Überfälle auf vier Dörfer im Bundesstaat Borno am Dienstag (03.06.2014) belaufe sich auf bis zu 500 Tote, schätzen Dorfälteste. Stimmt die Zahl, wäre es einer der schlimmsten Vorfälle in der Geschichte des islamistischen Terrors in Nigeria, bei dem seit 2009 mehr als 5000 Menschen getötet wurden.
Dass Boko Haram sich seine Opfer in der wehrlosen Zivilbevölkerung sucht, ist nichts Neues. Besonders seien hingegen das Ausmaß der Gewalt und die Häufigkeit der Angriffe, sagt Liz Donnelly. Sie befasst sich bei der Londoner Denkfabrik Chatham House mit Nigeria. "Das ist ein Zeichen dafür, dass Boko Haram an Selbstvertrauen gewinnt", so Donnelly im DW-Interview. "Seit die Gruppe im April Schülerinnen in Chibok entführt hat, wird sie international viel stärker wahrgenommen, bekommt aber keinen größeren Druck von der nigerianischen Armee zu spüren."
Armee greift nicht ein
Schon um die Jahrtausendwende gründete sich im Nordosten Nigerias die islamistische Organisation, die ein Bildungssystem nach westlichem Vorbild ablehnt und deshalb als "Boko Haram" ("Westliche Bildung ist Sünde") bekannt ist. Von ihrem anfänglichem Ziel, in ganz Nigeria muslimisches Recht durchzusetzen, seien die Islamisten offenbar abgekommen, sagt Donnelly: "Heute setzen sie ihren Fokus darauf, gewaltsam Macht auszuüben." Bei den jüngsten Überfällen auf die vier Dörfer hatten die Angreifer sich offenbar eine Täuschung zunutze gemacht: Sie sollen Uniformen der nigerianischen Armee getragen und der Bevölkerung Schutz vor Boko Haram versprochen haben. Das heizt die weit verbreiteten Spekulationen an, Boko Haram habe Verbindungen zu Führungskräften in der Armee.
Nigerias Militär ist wiederholt dafür in die Kritik geraten, bei Angriffen auf die Zivilbevölkerung nicht einzugreifen. "Boko Haram entlarvt die Schwäche der Regierung in Abuja und ihre Unfähigkeit, die Bevölkerung zu schützen", so Liz Donnelly von Chatham House. Vor einigen Wochen hätten nigerianische Soldaten den Kommandeur ihrer Einheit angegriffen: "Sie fühlten sich bei ihrer Arbeit zu großen Risiken ausgesetzt." Gerade im Nordosten sei die Moral der Soldaten schlecht, weil die Armeeführung sie im Unklaren halte - etwa, was die Dauer ihrer Stationierung angehe.
Regierung in Bedrängnis
Unterdessen scheint die Möglichkeit einer friedlichen Lösung des Konflikts in weitere Ferne gerückt. Rebellen und Regierung stehe der Sinn nicht nach Verhandlungen, sagt Donnelly. Eine Studie der International Crisis Group, die sich weltweit für die Beendigung tödlicher Konflikte einsetzt, gibt ein ähnliches Bild. In dem Bericht heißt es, Boko Haram beschuldige Abuja, Verhandlungsangebote als Köder zu benutzen, um Mitglieder der Gruppe festzunehmen. Harsche Kritik bekommt die Regierung um Präsident Goodluck Jonathan auch aus der Zivilbevölkerung. Sie tue nicht genug, um dem Terror entgegenzutreten.
Inzwischen fühlen sich auch Journalisten vom Militär bedroht. Jüngstes Beispiel ist DW-Korrespondent Suleiman Mohammed Al-Amin, der am Donnerstag (05.06.2014) in der Provinzhaupt Gombe von Soldaten angegriffen wurde. Al-Amin berichtet der Deutschen Welle, er sei zum Gouverneurssitz der Provinz geeilt, weil er dort eine Explosion gehört habe. Soldaten hätten ihn beschimpft, weil er unter den Schaulustigen als Reporter zu erkennen war. Als er seinen Presseausweis vorzeigte, zerstörte ihn einer der Militärs und verprügelte den Journalisten mit seinem Gewehrkolben. Auch Al-Amins Aufnahmegerät zerstörten die Soldaten.
Der Sprecher des nigerianischen Militärs, Chris Olukolade, rechtfertigte den Vorfall gegenüber der DW: Möglicherweise habe der Korrespondent versucht, "einen negativen und unangebrachten Bericht zu schreiben". Das sei "typisch für solche Reporter". Allerdings heiße das nicht, dass unliebsame Berichterstattung offiziell sanktioniert werde: "Wir verprügeln hier nicht einfach so Leute", so Olukolade.
Die Repressionen gegen die Presse sind kein Einzelfall: Zeitungen in Nigeria berichten, dass ihre Ausgaben am Freitag und Samstag (07.06.2014) vom Militär beschlagnahmt worden seien bzw. dass Soldaten den Pressegrossisten in Abuja blockiert hätten. Nach Angaben des Blattes "The Nation" haben Soldaten auch Redaktionsräume gestürmt und verwüstet. Militärsprecher Olukolade sieht in Journalisten generell Widersacher: "Viele berichten voreingenommen."