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Bonaventure Ndikung - Versöhner im Haus der Kulturen

28. Juni 2021

Der aus Kamerun stammende Bonaventure Ndikung wird Intendant im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Welche kulturpolitische Fahne hisst er dort?

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Bonaventure Ndikung, mit Hut und Anzug, schaut direkt in die Kamera
Erfahrener Kurator mit dem Blick fürs Ganze: Bonaventure NdikungBild: Sonsbeek

Bunter Anzug, zumeist mit Einstecktuch, das ist das Markenzeichen von Bonaventure Soh Bejeng Ndikung. Legendär ist auch sein prall gefülltes Adressbuch: Ndikung gilt als gut vernetzt. Sein Ruf als politisch denkender Kurator eilt ihm voraus. Was Wunder, wenn ihn Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) als "Glücksgriff” bezeichnet - denn Ndikung soll die Nachfolge von Bernd Scherer antreten, als Intendant der "Schwangeren Auster", wie das Berliner Haus der Kulturen der Welt im Volksmund heißt, Dienstbeginn: 1. Januar 2023.

Bis dahin geht noch Zeit ins Land. Ndikung ist 44 und hat eine starke Präsenz. Er kann sich gut durchsetzen - auch in der Kunst, die für ihn ein Feld der gesellschaftlichen Auseinandersetzung darstellt. Kunst ist für ihn "die höchste Form von Politik", zugleich aber eine "universelle Sprache, die von fast allen Menschen verstanden wird."

Das nächtlich beleuchtete Berliner Haus der Kulturen der Welt spiegelt sich im Teich der Außenanlage
Das Berliner Haus der Kulturen der WeltBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Die Potenziale von Kunst nutzen

Kunst habe auch das Potenzial zu versöhnen. Darauf weist Ndikung im DW-Gespräch hin, wenn er von der Biennale im niederländischen Sonsbeek spricht, die er zurzeit kuratiert, oder von der Weltkunstschau Documenta 14, die er als Ko-Kurator mitgestaltet hat. Beide entstanden aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs, die Kunst sollte Menschen wieder verbinden. Die Foto-Biennale in Bamako, Ausstellungen in Algier und Dakar oder auch der finnische Pavillon auf der Kunst-Biennale von Venedig – sie alle trugen schon Ndikungs kuratorische Handschrift.

Auf einem Politikfeld, wo Versöhnung nötig ist, kennt er sich aus - dem Umgang Deutschlands mit seiner kolonialen Vergangenheit. Der 2009 von Ndikung gegründete Veranstaltungsraum Savvy Contemporary im Berliner Wedding hat soeben die Ausstellung "For the Phoenix To Find Its Form In Us" eröffnet - als Kommentar zur aktuellen Restitutionsdebatte. "In der Schau geht es um Restitution als Rehabilitation, auch als Reparation", sagt Ndikung. Ein streitbares Statement: Nach jahrlangem Zögern hatten deutsche Museen erst kürzlich angekündigt, die sogenannten Benin-Bronzen an Nigeria zu übergeben, die einst als Beutekunst nach Europa verschleppt wurden. 

Ein Künstler breitet ein Tuch aus - der Kurator Bonaventure Ndikung beim Aufbau zur Kunst-Biennale im niederländischen Sonsbeek
Ndikung (rechts) beim Aufbau zur Kunst-Biennale im niederländischen SonsbeekBild: Sonsbeek

Den Blick weiten

Vieles an der Restitutionsdebatte schmeckt Bonaventure Ndikung erkennbar nicht. Er sieht sie in einer Sackgasse - und möchte sie zugleich "verkomplizieren": "Da ist einiges falsch gelaufen und wird immer noch viel falsch gemacht in der Kolonialgeschichte", sagt der 1977 in Yaundé geborene Sohn eines Anthropologen. "Wir müssen diese Wunden sehen und versuchen, einige davon zu heilen - wenn nicht gar alle!" so Ndikung im DW-Gespräch. Und auf der Website zur Berliner Ausstellung heißt es: "Man kann Restitution nicht auf die Rückgabe von Objekten reduzieren, während die Menschen, die diese Objekte erhalten sollen, weder den Luxus haben, zu atmen, noch das Land, auf dem sie ihre Samen pflanzen können, oder der Wohnung, in der sie Schutz suchen, beraubt sind.” 

In Sachen Restitution habe Deutschland schon vieles unternommen. "Aber das reicht natürlich nicht!", sagt Ndikung. So müsse sich auch unser Blick auf Afrika weiten, wie das Beispiel Anton Wilhelm Amo zeigt: Aus dem heutigen Ghana war dieser Anfang des 18. Jahrhunderts als Kindersklave nach Deutschland verschleppt worden und gelangte, vermutlich als "menschliches Geschenk" der Westindischen Kompanie, an den Hof des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel. Der Hof ließ ihn studieren und zum Professor für Philosophie und Recht ausbilden. Seine Disputation widmete sich der Rechtsstellung Schwarzer Menschen in Europa. "Amo war ein wichtiger Gelehrter seiner Zeit, aber man hat ihn einfach aus der Geschichte wegradiert", sagt Ndikung, der mit einer Ausstellung unlängst an Amo erinnerte. "Wer heute über Black Lives Matter spricht, kommt an Amos Thesen nicht vorbei."

Bonaventure Ndikung sitzt mit mehreren Ko-Kuratoren der Documenta 14 auf der Bühne
Bonaventure Ndikung (links) bei der Vorstellung der Ko-Kuratoren der Documenta 14Bild: DW/G. Reucher

Gibt es ein Gerechtigkeitsgefälle zwischen dem globalen Norden und dem Süden? "Ja natürlich", sagt Bonaventure Ndikung. Als Beispiel nennt er den Aufruf der WHO, zur Bekämpfung der Pandemie weltweit Corona-Impfungen zu ermöglichen. Viele Länder hätten geholfen. "Aber neun oder zehn Länder haben Impfstoffe nur für sich gesichert", konstatiert Ndikung: "Wenn wir es nicht schaffen, die ganze Welt zu impfen, wird es Mutationen geben, und das mutierte Virus kommt zu uns zurück." Es sei an der Zeit, über den nationalen Tellerrand hinaus zu denken. "Die Welt ist kleiner geworden, das ist eine Realität."

Von der Biochemie zur Kunst

Als junger Mann hatte Bonaventure Ndikung seine afrikanische Heimat verlassen. In Kiel studierte er Biochemie, in Berlin wurde er promoviert. Schon während des Studiums kam er in Kontakt zu Künstlern, fing an, über Kunst zu schreiben, unternahm erste Schritte als Ausstellungmacher. Mit 25 staunte er, als mit dem in Nigeria geborenen Okwui Enwezor im Jahr 2002 erstmals ein Afrikaner die ehrwürdige Documenta leitete. Ein Umstand, der den jungen Ndikung beeindruckte - und anspornte.

Deutschland Bonaventure Soh Bejeng Ndikung in Anzug mit Einstecktuch
Ndikung in Anzug mit Einstecktuch - sein MarkenzeichenBild: Silke Briel

20 Jahre später haben ihn das Auswärtige Amt und das Staatsministerium für Kultur nun zum künftigen Intendanten des Hauses der Kulturen der Welt berufen. Noch-Hausherr Scherer hinterlässt ein gut bestelltes Haus: Stimmen aus Kunst, Wissenschaft und Politik führte er zu einem inspirierenden Forum zusammen. Wird es unter Ndikung eine Diskussionsplattform bleiben? "Selbstverständlich", sagt Bonaventure Ndikung, "die Welt verändert sich dramatisch, unser Verständnis für die Welt ändert sich. Deshalb brauchen wir ein solches Haus, um darüber zu diskutieren."