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Bosnischer Imam kämpft für Toleranz

Daniel Heinrich 18. Juni 2016

In Sarajevo begeistert Imam Sulejman die Gemeindemitglieder. Mit seiner offenen Art spricht er den Menschen aus der Seele - und warnt vor jeglichen Formen des Extremismus. Daniel Heinrich hat ihn in Bosnien besucht.

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Der bosnische Imam Sulejman Bugari (Foto: Daniel Heinrich)
Bild: DW/D. Heinrich

Voll ist es in der "Bijela dzamija", der "Weißen Moschee", in der Altstadt von Sarajevo. Hunderte Menschen drängen sich auf dem Gelände des Gotteshauses. Links vom Eingang sitzen die Männer, rechts die Frauen, dazwischen stapeln sich die Schuhe der Gemeindemitglieder. Im Inneren der Moschee gibt Imam Sulejman (Artikelbild) alles: Die Botschaft seiner Koran-Exegese wird über Lautsprecher in den Innenhof der Moschee übertragen.

"Ich will die Leute vor allem in einen Dialog miteinander bringen, ich möchte, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen einander gegenüber offen auftreten", sagt der immer noch jugendlich wirkende Mittfünfziger. Es sei ihm wichtig, dass es in jedem Menschen "das Gute" gebe. "Es geht niemanden etwas an, welchem Glauben jemand letzten Endes angehört. Das ist nur eine Sache zwischen der Person und dem Allmächtigen", meint der Imam.

Mit seinen Predigten rennt er in seiner Gemeinde offene Türen ein. Die meisten Bosniaken - so werden generell die Muslime in Bosnien-Herzegowina genannt - denken ähnlich, stehen für einen liberalen Islam und betonen die gemeinsamen Wurzeln der monotheistischen Religionen. Das zeigt unter anderem eine Studie des PEW-Research Centers: Demnach sehen sechzig Prozent der Bosniaken gemeinsame Wurzeln zwischen Christentum und Islam. Ahmet Alibasic, Assistenzprofessor an der Fakultät für Islamstudien der Universität Sarajevo, betont, dass sich die meisten Bosniaken europäischen Werten viel näher fühlten als der Kultur ihrer Glaubensbrüder in anderen Ländern.#

Der Assistenzprofessor Ahmet Alibasic von der Universität Sarajevo (Foto: Daniel Heinrich)
Islamwissenschaftler Alibasic: Muslimische Flüchtlinge aus Bosnien haben sich bewusst für liberale Länder entschiedenBild: DW/D. Heinrich

"Sie können das am Verhalten der Bosniaken während des Jugoslawienkrieges sehen. Die meisten von denen, die in ein muslimisches Land geflohen waren, sind sehr schnell entweder in ihre Heimat zurückgekehrt, oder in liberale Gesellschaften wie Deutschland, Österreich, Neuseeland oder Australien geflohen", sagt Alibasic. Sehr wenige seien in konservativeren Ländern wie der Türkei oder Malaysia geblieben. Das liege definitiv nicht an der wirtschaftlichen Situation: "Malaysia ist es in den 1990er Jahren beispielsweise wirtschaftlich richtig gut gegangen. Das ist ein kulturelles Problem. Die Bosniaken kamen einfach mit der dortigen Kultur nicht zurecht."

"Nie vergessen, was Deutschland für uns getan hat"

Mit dem Leben in anderen Ländern, mit anderen Kulturen, hat auch Adis Hasakovic Erfahrung - wie viele andere aus seiner Generation. Während des Jugoslawienkrieges ist er nach Deutschland geflohen, hat zehn Jahre dort gelebt, zunächst in Saarbrücken, dann in Mainz. Er schwärmt noch immer davon, wie frei er seinen Glauben in Deutschland leben konnte. Inzwischen ist er wieder nach Bosnien-Herzegowina zurückgekehrt und arbeitet erfolgreich als selbstständiger Kommunikationsberater. In Deutschland ist er noch oft, Teile seiner Familie leben noch dort.

"Ich werde nie vergessen, was die Deutschen für uns getan haben, als es uns schlecht ging", sagt Adis Hasakovic. "Ich glaube, dass wir mit unserer Kultur in Europa einen besonderen Beitrag leisten können. Wir sind europäische Muslime, wir sind auch stolz darauf und kommen sehr gut mit anderen Europäern klar. Und das ist gerade heute ganz, ganz wichtig."

Adis Hasakovic, selbstständiger Kommunikationsberater aus Bosnien (Foto: Daniel Heinrich)
Adis Hasakovic hat zehn Jahre in Deutschland gelebtBild: DW/D. Heinrich

Das Verständnis für andere Lebensweisen ist auch während des Ramadan im ganzen Land spürbar: Es wird gefastet, ja. Aber Restaurants und Kneipen haben tagsüber selbstverständlich geöffnet, Alkohol wird auch ausgeschenkt. Für Ahmet Alibasic ist die Offenheit des Landes in der bosnischen Geschichte verankert: "Seit Mitte des 19. Jahrhunderts bringen wir islamische Traditionen und europäische Werte unter einen Hut. Dieses Phänomen, das man normalerweise unter dem Begriff der Modernisierung zusammenfasst, hat schon während der osmanischen Herrschaft begonnen", sagt er. "Zu Beginn wurden Individualrechte wie Bürgerrechte und die Herrschaft des Rechts mit dem Islam in Einklang gebracht. Auch die erste bosnische Verfassung ist unter diesen Vorzeichen unter den Osmanen entstanden."

Absage an religiösen Extremismus

Ein paar Straßen von der islamischen Fakultät entfernt versucht Imam Sulejman, seinen Gemeindemitgliedern ganz ohne den großen historischen Überbau, sehr alltagsbezogen und mit einfachen Worten seine Werte zu vermitteln. Und egal, ob Anfang Zwanzig und mit Smartphone, oder Mitte Fünfzig und mit Gebetskette ausgestattet: Sie alle hören zu und warten geduldig im Regen, um nach der halbstündigen Koranexegese noch die Hand des Imams schütteln zu können, sich Ratschläge einzuholen. Der Imam tut das bereitwillig, lächelt unermüdlich - trotz des langen Tages.

Eine Botschaft brennt ihm zum Abschluss aber vor allem auf der Seele. Er will sie angesichts des islamistischen Terrorismus und der IS-Anschläge in Europa dem ausländischen Besuch noch mit auf den Weg geben: "Was diese Extremisten nie verstehen werden, ist, dass die Muslime kein Exklusivrecht auf den wahren Glauben haben. Der Islam ist nicht der Glaube der Türken, der Araber, der Amerikaner oder der Deutschen." Der Einzige, dem der Glaube zuzuschreiben sei, sei der Schöpfer selbst: "Man muss viel mehr über den Glauben und über die Grundsätze des Glaubens sprechen. Und einer der bedeutendsten Grundsätze des Glaubens besagt, dass sämtliche Formen des Extremismus streng verboten sind."

Zum Abschied will er noch ein Foto und verabschiedet sich dann schnell nach Hause. In einer halben Stunde beginnt Iftar, das tägliche Fastenbrechen im Ramadan. Er kann es kaum erwarten, denn trotz der Bedeutung des theologischen Philosophierens: Auch ein Mann Gottes bekommt, ganz irdisch, irgendwann einmal Hunger.