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Brasilianische Lektionen

Astrid Prange11. Juni 2015

Es war Joseph Blatters letzte WM. Es könnte auch das letzte erfolgreiche Weltturnier der FIFA gewesen sein. War die WM 2014 in Brasilien der Anfang vom Ende des Weltfußballverbandes? Ein Rückblick.

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FIFA WM 2014 Deutschland vs Brasilien 08.07.2014
Bild: Reuters

"Es hat weh getan, oh ja, es hat wirklich weh getan", gab Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff im Interview mit der DW unumwunden zu. "Aber wir Brasilianer geben niemals auf, vor allem nicht im Fußball. Wartet nur ab, eines Tages werden wir zurückkommen. Und dann werdet ihr schon sehen".

Die 7: 1 Niederlage im Stadium von Belo Horizonte am 8. Juli 2014 gegen Deutschland zerstörte nicht nur Brasiliens Traum vom Titel. Der fünffache Weltmeister hat sich bis heute nicht von dem historischen Desaster erholt. Die "Seleção" versucht gerade bei der "Copa América" in Chile ihr verlorenes Ansehen wieder aufzupolieren.

Auf den ersten Blick scheint die "WM aller WMs" für den Gastgeber Brasilien alles andere als positiv verlaufen zu sein. Nicht nur die traumatische Niederlage gegen Deutschland war daran schuld. Massenproteste gegen teure WM-Stadien und teure WM-Tickets, Kollaps im öffentlichen Nahverkehr und Korruption überschatteten das sportliche Megae-Event.

Fußball WM 2014 Finale Argentinien Deutschland (Foto: REUTERS/Kai Pfaffenbach)
Besser Deutschland als Argentinien: Nach dem WM-Endspiel am 13. Juli 2014 überreicht Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff im Beisein Blatters den Sieger-Pokal an Mannschaftskapitän Philipp LahmBild: Reuters

Stille in den Stadien

In der Tat: Das Vermächtnis aus Zement, Stahl, Glas und Technik fällt bescheiden aus. So wurde nach brasilianischen Medienberichten nur die Hälfte der insgesamt 70 geplanten Maßnahmen zum Ausbau der städtischen Verkehrsinfrastruktur wirklich abgeschlossen. Hinzu kommen Ausgaben in Höhe von 2,3 Milliarden Euro für die zwölf WM-Arenen. Mindestens vier davon haben sich bereits als weiße Elefanten erwiesen.

Die WM und ihre Großbaustellen haben ein tiefes Loch in die öffentlichen Haushalte der siebtgrößten Weltwirtschaft gerissen. Auch auf das wirtschaftliche Wachstum des Landes wirkte sich das Turnier nur marginal aus. Nach Angaben des brasilianischen Statistikamtes IBGE legte das Bruttoinlandsprodukt 2014 nur um 0,1 Prozent zu.

Doch in einem Punkt, beim Duell mit der FIFA, errang der fünffache Weltmeister einen eindeutigen Sieg. So ließ es sich Brasilien nicht nehmen, die FIFA auf Fehler beim Sicherheitsmanagement während der WM aufmerksam zu machen. Laut Statuten ist der Weltverband verpflichtet, "qualifiziertes und geschultes Personal für die Funktionen, die für die Sicherheitsverwaltung und den Sicherheitsbetrieb beim Wettbewerb erforderlich sind, zu beschäftigen".

Bei den Spielen Spanien gegen Chile (18. Juni) und Argentinien gegen Bosnien (15. Juni) im Maracanã in Rio wurde offensichtlich, dass das von der FIFA eingesetzte Personal überfordert war. Nachdem chilenische Fußballfans das Medienzentrum gestürmt und argentinische Besucher Sicherheitszäune zerlegt hatten, musste die brasilianische Polizei eingreifen, um Chaos zu verhindern.

Rio de Janeiro Brasilien Ray Whelan Festnahme WM Ticket (Foto: EPA/Ramires Ferreira)
Sensation an der Copacabana: Die brasilianische Polizei nimmt den Chef einer Fifa-Vertragsfirma, Ray Whelan, fest. Er soll mit VIP-Tickets auf dem Schwarzmarkt gehandelt habenBild: picture-alliance/dpa

FIFA am Pranger

Noch spektakulärer war die Festnahme von FIFA-Funktionären am 7. Juli 2014 mitten im noblen Copacabana Palace Hotel. Die brasilianische Polizei schlug zu, nachdem Ermittler die Verwicklung von FIFA-Funktionären und Auftragnehmern der FIFA in einen schwunghaften Schwarzhandel mit WM-Tickets aufgedeckt hatten.

"Unsere Beziehungen zur FIFA waren konfliktreich", erinnert sich Präsidentin Dilma Roussef im DW-Interview. "Was Herrn Blatter angeht, kann ich mich zwar nicht beschweren, er hat sich immer respektvoll gegenüber Brasilien verhalten. Aber das kann ich nicht von anderen Personen sagen".

Zu den "anderen Personen" könnte FIFA-Generalsekretär Jerôme Valcke gehören. Er hatte im Vorfeld der WM erklärt, dass "die Verantwortlichen für die Organisation der WM in Brasilien einen Tritt in den Hintern bräuchten, damit sie anfangen, zu arbeiten". Das große Problem in Brasilien sei, dass die Arbeit einfach nicht erledigt würde und alles verspätet sei.

Jerome Valcke FIFA Generalsekretär Archiv 2012
Fifa-Generalsekretär Jerôme Valcke teilte aus: "Brasilien braucht einen Tritt in den Hintern"Bild: picture-alliance/epa/A. Della Bella

Brasiliens damaliger Sportminister Aldo Rebelo weigerte sich daraufhin, Valcke weiterhin als Gesprächspartner zu akzeptieren. Der FIFA-Kongress am 10. und 11. Juni in São Paulo, unmittelbar vor dem Anpfiff der WM, musste ohne politische Prominenz des Gastgeberlandes auskommen. Staatspräsidentin Dilma Rousseff kam nicht. Und auch der Gouverneur des Bundesstaates São Paulo sowie der Bürgermeister der gleichnamigen Metropole ließen sich entschuldigen.

Valckes Wandlung

Generalsekretär Jerôme Valcke machte während der WM in Brasilien eine wahrhaftige Metamorphose durch. Bei einer Bilanz zum Ende der Vorrunde kündigte er an, dass "diese WM einer der größten Zuschauermagneten sein wird". Brasilien befinde sich bei der Organisation des Turniers "auf dem Erfolgsweg".

Die Statistik der FIFA bestätigt den Optimismus des einst so pessimistischen FIFA-Funktionärs: Laut WM-Bilanz 2014 führt Brasilien mit einer durchschnittlichen Stadium-Auslastung von 53.592 Fans die Tabelle aller WMs seit 1930 an. Einzige Ausnahme: Die WM 1994 in den USA, an der allerdings nicht 32, sondern 24 Mannschaften teilnahmen.

Die schönen Zahlen bescherten der FIFA Rekordeinnahmen. Nach einem Bericht der brasilianischen Zeitung "Estadão" betrug der Gewinn des Verbandes rund fünf Milliarden US-Dollar. Bei der WM in Südafrika beliefen sich die Erlöse auf 4,1 Milliarden Dollar - steuerfrei versteht sich.

Brasilien Arthur Antunes Coimbra 'Zico' Ex-Fußballspieler (Foto: EPA/Antonio Lacerda (c) dpa)
Schon wieder ein Brasilianer? Ex-Fußballer Arthur Antunes Coimbra, genannt Zico, will sich um Blatters Nachfolge bewerbenBild: picture-alliance/epa/A. Lacerda

Doch die Party ist vorbei, sowohl für Brasilien als auch für die FIFA. Brasilianische Sportfunktionäre müssen sich sowohl am Zürichsee als auch am Zuckerhut auf unangenehme Fragen einstellen. So ermitteln brasilianische Bundespolizei und Staatsanwaltschaft unter anderem wegen Geldwäsche und Betrug gegen den ehemaligen Vorsitzenden des brasilianischen Fußballverbandes, Ricardo Teixeira.

Das Land schickt sich zudem an, der Fifa bei ihren bevorstehenden Reformen behilflich zu sein. Der ehemalige Fußballstar "Zico" hat sich bereits anerboten, Blatter zu beerben. Der 62-jährige hält sich an das Motto von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff: Er gibt niemals auf, auch, wenn er keine Chance hat.