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Brasilien hofft auf Lula

Thomas Kohlmann2. Januar 2003

Die Brasilianer erwarten sehnsüchtig einen Neuanfang. Präsident Lula da Silva muss nach seiner Amtsübernahme am 1. Januar die drängendsten Wirtschaftsprobleme schnell lösen.

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Lula da Silva ist in aller Munde.Bild: AP

Erst Heiligabend 2002 hatte Luiz Inácio Lula da Silva seine Regierungsmannschaft zusammen. Und die steckte voller Überraschungen – nicht zuletzt für seine Parteifreunde von der PT, der Arbeiterpartei "Partido dos Trabalhadores". Nicht nur ein vereinzelter Kapitalist und noch unlängst als "Klassenfeind" bekämpfter Unternehmer stand auf der Minister-Liste, sondern gleich mehrere.

Schon die Nominierung von Gilberto Gil zum Kulturminister hatte für Unruhe in Lulas Partei geführt. Der international gefeierte Musiker war bislang für die Grünen politisch aktiv gewesen. Doch die Besetzung der wirtschaftspolitischen Schlüssel-Ressorts provozierte die innerparteilichen Gegner erst recht.

Für das Entwicklungs-, Industrie- und Außenhandelsministerium engagierte Lula Luiz Furlan, den Präsidenten einer Kühlkostfirma und Vize-Chef der Industriellenvereinigung des Bundesstaats São Paulo.

José Alencar, Textilfabrikant und als Vizepräsident vorgesehen, gilt als einer der reichsten Männer Brasiliens.

Auch die Wahl des Bankmanagers Henrique Mereilles zum neuen Zentralbankchef Brasiliens und des Lula-Vertrauten Antonio Palocci zum Finanzminister fand ein geteiltes Echo: Von den Finanzmärkten als beruhigendes Signal gewertet, kocht die Partei-Linke wegen der Personalentscheidungen Lulas. Kein Wunder, dass sich die Genossen nur schwer mit dem Harvard-Absolventen Meirelles anfreunden können, der bis vor kurzem seine Dollars als Topbanker im Land der Gringos verdiente.

Skandalträchtige Ministerriege

Der künftige Chef des Entwicklungs- und Industrieressorts Furlan kam ins Gerede, als bekannt wurde, dass er bei der staatlichen Bank für Wirtschaftliche und Gesellschaftliche Entwicklung mit 155 Millionen Dollar in der Kreide steht, einem Finanz-Institut, das künftig seinem Ministerium untersteht.

Gegen Vizepräsident José Alencar wird wegen Unregelmäßigkeiten beim Kauf von Baumwolle für sein Unternehmen Coteminas ermittelt.

Roberto Rodríguez, künftiger Minister für Landwirtschaft und Versorgung, wird die Verwicklung in einen Kredit-Skandal vorgeworfen. Seit 1997 ist sein Vermögen eingefroren.

Der künftige Notenbank-Chef Henrique Meirelles saß bis zum vergangenen Sommer im Vorstand des US-Finanzkonzerns Fleet Boston – immerhin die weltweite Nummer Sieben der Branche. Er soll exzellente Kontakte zu den wichtigsten Gläubbigerbanken Brasiliens in den USA haben. Die Wahl Meirelles ist eine doppelte Überraschung, denn der US-Banker mit brasilianischen Wurzeln kandidierte bei den Wahlen im Herbst für Lulas politischen Gegner, die bisherige Regierungspartei PMDB. Und die stellt trotz verlorener Präsidentschaftswahl noch immer die größte Fraktion im Parlament in Brasilia.

Plan und Wirklichkeit

Viele Brasilianer haben Lula gewählt, weil sie die neo-liberale Wirtschaftspolitik seines Amtsvorgängers Cardoso für gescheitert halten. Der brasilianische Schuldenberg beträgt mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, seit Mitte der 1990er sinken die realen Einkommen. Die Erwartungshaltung ist dementsprechend hoch: Mehr als 70 Prozent Zustimmung erhielt Lula bei der Stichwahl am 27. Oktober und Umfragen ergaben, dass mehr als drei Viertel der Brasilianer glauben, Lula könne positive Veränderungen erreichen.

Sogar US-Präsident Bush und IWF-Chef Horst Köhler waren nach ersten Treffen positiv überrascht vom ehemaligen Bürgerschreck, der sich vom Schlosser zum Präsidenten der größten Wirtschaftsmacht Lateinamerikas hochgearbeitet hat. Um die gigantische Staatsverschuldung von rund 300 Milliarden Dollar in den Griff zu bekommen, ist er dringend auf die Unterstützung der USA und des Internationalen Währungsfonds angewiesen.

Erst Mitte Dezember gab der IWF eine Kredittranche von 3,1 Milliarden Dollar für Brasilien frei, der zweite Teil eines Rekordkredits von 30,7 Milliarden Dollar. Mit der höchsten Summe, die der IWF in seiner fast 60-jährigen Geschichte jemals für ein Land bewilligt hat, signalisierte die Finanz-Organisation aus Washington der neuen Regierung in Brasilia Unterstützung bei der Bekämpfung der Wirtschafts- und Finanzkrise. Verstoßen die Brasilianer aber gegen den vom IWF verordneten Konsolidierungskurs dürfte der Geldhahn zugedreht werden. Das Beispiel Argentinien zeigt, dass auch die Geduld des IWF ihre Grenzen hat.

Lula bewegt sich auf dünnem Eis: Seit Januar 2002 hat die Landeswährung gegenüber dem US-Dollar 40 Prozent an Wert verloren. Eine katastrophale Entwicklung, schließlich ist ein Drittel der brasilianischen Staatsschulden an den Dollar gebunden. Die Inflation liegt bei elf Prozent – die Zinsen der Notenbank stehen aktuell bei 25 Prozent. Die Preise für Lebensmittel, Kraftstoffe und Strom explodieren: Allein im November wurde Zucker um fast 50 Prozent teurer, die Preise für Weizenmehl und Benzin schnellten um bis zu 15 Prozent in die Höhe.

Keine Parlaments-Mehrheit

Trotz der haushoch gewonnenen Stichwahl um die Präsidentschaft im Oktober verfügt Lulas Arbeiterpartei nur über 18 Prozent der Sitze im neuen Parlament. Noch ernüchternder ist der Blick auf die Machtverteilung in den mächtigen brasilianischen Bundesstaaten: Nur drei von 18 Gouverneuren haben ein PT-Parteibuch, sie regieren unbedeutende Bundesstaaten. Fehlende Mehrheiten und leere Kassen werden es Lula also schwer machen, seine Hauptziele Armutsbekämpfung und das Ende der Wirtschafts- und Finanzkrise zu erreichen.

In ersten Andeutungen räumt Lula schon jetzt ein, dass es schwerfallen werde alle Versprechen einzulösen. Und so könnte die Amtsübernahme in Brasilia das letzte Volksfest werden, auf dem der Volkstribun gefeiert wird.