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Braucht es ein Recht auf Homeoffice?

Kevin Tschierse
9. Oktober 2020

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will Arbeitnehmern einen Rechtsanspruch auf Homeoffice sichern. Bei der Wirtschaft und Teilen der Union stößt der Entwurf auf Ablehnung. Beide Seiten haben legitime Gründe.

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Homeoffice - Arbeitsplatz in der Coronakrise
Bild: Imago/T. Vaerman

An 24 Tagen im Jahr ins Homeoffice, das will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gesetzlich festschreiben. Es sorgt für Zoff in der Großen Koalition. Die Union kritisiert den Gesetzesentwurf als unvereinbar mit dem Koalitionsvertrag und lehnt ihn entschieden ab. Unterstützung bekommt Heil aus den eigenen Reihen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, bekräftigte am Mittwoch in Berlin den Vorstoß von Heil mit den Worten: "Das ist, was wir wollen. Das ist unser Angebot an die Union." Die Zerrissenheit der Großen Koalition wirft die Frage auf: Sind die deutsche Gesellschaft, die Politik und die Unternehmen bereit für ein solches Gesetz? Welche Argumente sprechen für das Homeoffice, welche dagegen?

Ist das Homeoffice überhaupt ökonomisch sinnvoll für Unternehmen?

Würde ein Unternehmen seine Mitarbeiter permanent im Homeoffice arbeiten lassen, dann spart es Gebäude- und Betriebskosten. Die Mitarbeiter hingegen sparen Geld und Zeit - insbesondere beim Weg von und zur Arbeit. Eine Win-Win-Situation, würde man denken. Aber so einfach sei das nicht, meint Dr. Oliver Stettes, Arbeitsmarktexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. "Das, was wir jetzt während Corona erlebt haben, ist nicht der Regelfall." In Zukunft würde es eher so aussehen, dass ein Mitarbeiter einen Arbeitsplatz im Unternehmen und einen Arbeitsplatz zuhause haben wird. Das wäre dann auch der Fall im Mobile-Arbeit-Gesetz von Hubertus Heil.

Coronavirus home office Mutter Kind Symbolbild
Neuorganisation des Familienlebens: Homeoffice in Corona-ZeitenBild: picture-alliance/dpa/KEYSTONE/C. Beutler

Der Arbeitsminister verweist darauf, dass der Arbeitgeber auch künftig die sogenannten Betriebsmittel - also zum Beispiel einen Schreibtisch oder einen Laptop - zur Verfügung stellen muss. Dennoch entwickle sich das Homeoffice rechtlich immer mehr in Richtung Telearbeit, so Stettes. Das bedeute, dass es von der sogenannten Arbeitsstätten-Verordnung des Arbeitsschutzgesetzes betroffen ist. Danach sind die Arbeitsplatzausstattung und die Arbeitsmittel durch den Arbeitgeber zu stellen. "Die Büro-Kostenersparnis, die Sie vielleicht haben, weil Sie 100 Leute auf 80 Arbeitsplätze verteilen, weil die Leute vielleicht immer einen Tag in der Woche von Zuhause aus arbeiten, ist dann ganz schnell wieder eingeholt", so Stettes. Kein Wunder also, dass Heils Vorschlag der Wirtschaft nicht gut ankommt, wenn sie zukünftig womöglich für zwei Arbeitsplätze pro Mitarbeiter bezahlen muss.

Homeoffice für mehr Gleichberechtigung

Könnte das Homeoffice ein Mittel sein, das zu mehr beruflicher Gleichberechtigung führt? Das jedenfalls will die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung herausgefunden haben. Aus dem Homeoffice zu arbeiten biete vielen Arbeitnehmern die Möglichkeit einer besseren Work-Life-Balance. "Die Frauenerwerbstätigkeit hat ganz gewaltig zugenommen", meint Dr. Elke Ahlers, Leiterin des Referats Qualität der Arbeit.

Infografik Homeoffice im Zeichen von Corona DE

"Es gibt immer mehr junge Paare mit kleinen Kindern, wo beide Eltern arbeiten und wo Homeoffice eine Möglichkeit ist, dass beide souveräner arbeiten können und sich besser absprechen." Das würde aber nur funktionieren, meint Ahlers, wenn auch die Kinderbetreuung gewährleistet ist. "Die Corona-Zeit hat uns gezeigt, dass diese institutionelle Kinderbetreuung eine ganz wichtige Grundvoraussetzung für das Homeoffice ist. Wenn sie gegeben ist, dann ist das ein Mittel für Frauen und Männer gleichberechtigter am Arbeitsmarkt teilzunehmen und auch gleichberechtigter Einkommen zu erzielen."

Steigert das Homeoffice die Produktivität der Arbeitnehmer?

Arbeitnehmer sind zufriedener und arbeiten effizienter aus dem Homeoffice. Auch das will die Hans-Böckler-Stiftung festgestellt haben. Die Kehrseite: Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten häufig länger, als Kollegen im Büro - und das oft ohne Lohn- oder Freizeitausgleich. "Es ist tatsächlich eine Gefahr, dass man die tatsächlich geleistete Arbeitszeit vergisst und dadurch natürlich auch im schlimmsten Fall erholungsunfähig wird, Schlafstörungen bekommt und anfälliger für Infekte wird", so Ahlers, die sich um die psychische Gesundheit von Arbeitnehmern sorgt. "Ich glaube, wir müssen ganz anders denken. Und zwar: Wie kann man diese Beschäftigten davor schützen, dass sie sich nicht selbst ausbeuten und dass die Arbeitszeit immer entgrenzter wird - gerade im Homeoffice. Wir stellen fest, dass die Leute sich sehr mit ihren Arbeitsaufgaben identifizieren und sich auch stärker belastet fühlen."

Infografik Homeoffice im Zeichen von Corona

Oliver Stettes vom IW Köln kann das Argument der Selbstausbeutung nicht nachvollziehen: "Es ist ein sehr krudes Argument. Denn es geht hier um Personen, die hohe Verantwortung in ihrer Funktion für ein Unternehmen übernehmen. Denen muss man das zumuten können. Wenn ich der Person das als Arbeitgeber nicht zutraue, dann ist sie für die Funktion nicht geeignet, die sie ausübt. Dann dürfte diese Person gar nicht ins Homeoffice." Deswegen sollten Stettes zufolge weiterhin zunächst Führungskräfte - und nicht ein Gesetz - entscheiden, ob Homeoffice sinnvoll, effektiv und effizient ist.

Homeoffice ist "gut für die Umwelt"

Bundesumweltministerin Svenja Schulze unterstützt Heils Vorstoß ein Homeoffice-Gesetz einzuführen. Die SPD-Politikerin betonte im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur: "Ein Recht auf mobiles Arbeiten stärkt die Interessen von Arbeitnehmerinnen und ist zugleich gut für die Umwelt. Wir haben gelernt, dass mobiles Arbeiten in vielen Bereichen funktionieren kann. Es hilft dabei, Staus und Pendelverkehre abzubauen."

Infografik Homeoffice und Privatleben DE

Über die Umweltfreundlichkeit von Homeoffice ist in Deutschland und Europa generell erst wenig geforscht worden. Doch in der Praxis wird mobiles Arbeiten oft in der CSR-Politik von Unternehmen umgesetzt - also der freiwilligen Unternehmensstrategie gesellschaftliche Verantwortung im Sinne eines nachhaltigen Wirtschaftens umzusetzen. In den USA ist Homeoffice und Telearbeit viel weiter verbreitet. Amerikanischen Statistiken von TelCOA (Telework Coalition) zufolge könnten bis zu 280 Millionen Liter Benzin eingespart werden, wenn 32 Millionen Amerikaner die Möglichkeit hätten, mindestens einmal die Woche von Zuhause aus zu arbeiten. Das wäre genug, um 51.000 Mal um die Welt zu reisen.