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Politik

Abrechnung eines Brexit-Unterhändlers

4. Januar 2017

Eigentlich sollte Ivan Rogers als Chef-Diplomat Londons Interessen bei den Brexit-Verhandlungen vertreten. Nach seinem Rücktritt ruft er seine Mitarbeiter auf, "den Machthabenden die Wahrheit zu sagen".

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Belgien Rücktritt von Ivan Rogers (Foto: picture alliance/dpa/AP Photo/G. V. Wijangaert)
Bild: picture alliance/dpa/AP Photo/G. V. Wijangaert

Der Rücktritt des britischen EU-Botschafters Ivan Rogers hat für Aufregung gesorgt. Nun legt er einen drauf und kritisiert in einer persönlichen E-Mail an seine Mitarbeiter die Regierung Großbritanniens scharf. Viele Politiker hätten schlechte Argumente und es mangele "an ernsthafter, multilateraler Verhandlungserfahrung in der Regierung", schreibt Rogers in seinem Abschiedsschreiben. Mit Blick auf den geplanten Brexit appelliert er an seine früheren Mitarbeiter: "Ich hoffe, ihr werdet weiter gegen schlechte Argumente und halbgares Denken angehen und niemals Angst haben, jenen an der Macht die Wahrheit zu sagen". Auch er selbst wisse nicht, welche Ziele die britische Regierung bezüglich der Beziehungen zwischen London und Brüssel verfolge.

Rogers hätte offiziell noch bis Oktober im Amt bleiben sollen. Die EU-Kommission äußerte Bedauern über den Rücktritt des Briten. Rogers sei für die Brüsseler Behörde ein nicht immer einfacher, aber höchstprofessioneller und äußerst kenntnisreicher Gesprächspartner und Diplomat gewesen, kommentierte eine Sprecherin. Er habe immer loyal die Interessen seiner Regierung verteidigt.

Harter Brexit statt mildem EU-Austritt

Rogers hatte zuletzt für Aufsehen mit der Einschätzung gesorgt, die Verhandlungen über ein Abkommen Großbritanniens mit der EU zur Regelung des EU-Austritts könnten zehn Jahre dauern. Selbst dann, so der Experte, könnte ein Abkommen noch an der Ratifizierung in einem der nationalen Parlamente scheitern. Das hatte ihm deutliche Kritik von Befürwortern eines klaren Bruchs mit Brüssel eingebracht. Die Briten hatten im vergangenen Juni in einem historischen Referendum den Austritt ihres Landes aus der EU beschlossen.

Der Brexit macht sich im Alltag der Briten bemerkbar

Der ehemalige EU-Botschafter war für die Äußerung kritisiert worden, die Verhandlungen über ein Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien, das wegen des Brexit erforderlich wird, könnten sich bis zu zehn Jahre hinziehen. Britische Medien berichteten zuletzt über Differenzen zwischen Rogers und Kabinettsmitgliedern in der Brexit-Frage. Am Dienstag verkündete Rogers schließlich seinen Rücktritt.

Unliebsamer Brexit-Pessimist?

Ein EU-Diplomat sagte, für diejenigen, die mit ihm zusammengearbeitet hätten, komme der Rückzug "nicht überraschend". Das Außenministerium wollte sich auf Anfrage aber nicht zu den Gründen für Rogers' Entscheidung äußern. Die Zeitung "Daily Telegraph" berichtete unter Berufung auf Regierungskreise, Rogers' "negative Vision zum Brexit" habe ihn schließlich den Job gekostet. Die Regierung habe das Vertrauen in ihn verloren und wolle einen Botschafter, der "an den Brexit glaubt", bevor der Austrittsprozess offiziell beginnt.

Tim Barrow als Nachfolger? 

Rogers, der Großbritannien seit 2013 in Brüssel vertritt, gilt als profunder Kenner der EU. Er spielte eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen des damaligen Premierministers David Cameron über Ausnahmeregelungen für das Land vor dem Brexit-Referendum. London muss nun rasch einen neuen EU-Botschafter samt Stellvertreter bestimmen. Als aussichtsreichster Kandidat wurde aus Regierungskreisen der Karrrierediplomat Tim Barrow genannt. Er ist derzeit Politischer Direktor im Außenministerium.  

Die Briten hatten im Juni mit 52 Prozent der Stimmen für einen Austritt aus der EU gestimmt. Der auf zwei Jahre angelegte Austrittsprozess Großbritanniens aus der EU kann erst beginnen, wenn London das Ausscheiden nach Artikel 50 des EU-Vertrags beantragt hat. Premierministerin Theresa May will die Austrittserklärung bis Ende März abgeben.

pab/sc (afp, dpa)