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Politik

Die Schlacht um den Brexit geht weiter

Barbara Wesel
9. Januar 2019

Nach Weihnachten ist alles wie vor Weihnachten, der Potemkinsche Verkehrsstau in Dover, keine Fähre für den harten Ausstieg und Benedict Cumberbatch zieht filmisch in den Bürgerkrieg.

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Großbritannien | Geschenke für die Makaken
Bild: picture-alliance/empics/A. Milligan

Die Truthähne sind verzehrt, der Punsch ist ausgetrunken und der Familienstreit beigelegt. Wobei ein Thema bei den Briten weitgehend tabu gewesen sein dürfte. Denn Diskussionen über den Brexit hätten wohl zu einer Welle von Enterbungen und Scheidungen geführt. Das Land ist nach den Feiertagen nämlich so gespalten wie zuvor. Neues Jahr, neues Glück? Sicher nicht für den Brexit. 

Was also hatte sich Theresa May gedacht, als sie die für Mitte Dezember angesetzte Abstimmung auf die kommende Woche verschob? Sie soll jetzt wohl am 15. Januar stattfinden. Die Premierministerin hatte gehofft, dass die Abgeordneten über Weihnachten Zeit zum stillen Nachdenken haben und ihren Widerstand gegen den Brexit-Deal bereuen würden. Hinzu kommt auch, dass die Uhr immer vernehmlicher tickt: Es sind gerade noch einmal 80 Tage bis zum B-Day - der Countdown läuft.

Doch entgegen den Hoffnungen der Regierungschefin hat sich über Weihnachten gar nichts getan. Niemand hat inzwischen seine Meinung geändert. Die Brexiteers scheinen eher noch sturer als zuvor: Nigel Dodds von der nordirischen DUP schimpft unablässig über das "Backstop-Gift" in Mays Abkommen. Und Boris Johnson verwechselt wieder einmal seine eigene Meinung mit der der britischen Wähler: Ein harter Brexit sei genau das, wofür die Bürger 2016 gestimmt hätten, behauptet er im "Telegraph".

Wenn man davon ausgeht, dass die Brexiteers unter den britischen Konservativen seit Jahrzehnten mit ganz langem Atem gegen die EU kämpfen – warum sollten sie jetzt mit dem Ziel vor Augen plötzlich ihre Meinung ändern? Und Mays spezieller Cocktailempfang für die Kritiker und Zweifler in der Downing Street konnte da auch nicht helfen. 

Benedict Cumberbatch und der Bürgerkrieg um die Brexit-Kampagne

Das Fersehen hat ein Problem: Alles erscheint so viel unterhaltsamer als im echten Leben. Oder hatten sie wirklich so viel Spaß bei der "Vote Leave"-Kampagne im Sommer 2016? Star-Schauspieler Benedict Cumberbatch jedenfalls mimt in der Verfilmung von Channel 4 Dominic Cummings, den damaligen Direktor von "Vote Leave". Er gilt als treibende Kraft der Organisation und dürfte von der Besetzung enorm geschmeichelt gewesen sein. Denn das Portrait geriet ziemlich positiv. Cummings wird zwar als ein bisschen verrückt, aber politisch genial dargestellt.

Brexit: The Uncivil WaR
Im Bus zum Brexit: Werbung für den Fernsehfilm "The Uncivil War"Bild: picture-alliance/empics/M. Alexander

Er war der Mann, der die Austritts-Kampagne mit Hilfe von innovativer Datennutzung und rücksichtsloser Propaganda zum Sieg führte. Man erinnert sich an die Manipulationen von Cambridge Analytica und das Versprechen auf einem Wahlkampf-Bus, wonach durch den Brexit 350 Millionen pro Woche für das Gesundheitssystem NHS übrig wären. Es war eine Lüge, aber es hat funktioniert.

Cummings erfand auch den Slogan "Holt die Kontrolle zurück", was sich als einer der effektivsten, wenn auch weitgehend inhaltsleeren anti-europäischen Sprüche erwies. Der dubiose Brexit-Finanzier Aaron Banks und sein Kumpel Nigel Farage kommen natürlich auch in dem Film vor. Beide mit Bierflaschen und von sich selbst berauscht wie ein paar Schuljungen, die einen besonders fiesen Streich gegen die Lehrer planen.

All das war zwar ziemlich unterhaltsam, lenkte aber irgendwie von der Realität des echten Brexit-Dramas ab, das sich derzeit in London abspielt. Es hat zur Implosion der britischen Politik und des öffentlichen Lebens im Land geführt.   

Harter Brexit I: 89 Lastwagen und ein künstlicher Stau

Die Regierung hatte 150 Lastwagen angefragt, aber am Ende kamen nur 89 und ein örtliches Müllauto, das auch gern mitspielen wollte. Bei Sonnenaufgang setzte sich die Karawane von der stillgelegten Rollbahn des Flughafens Manston in Ost-Kent in Richtung Dover in Bewegung. Mit der Übung sollten nach Art eines Manövers die Folgen eines harten Brexit simuliert werden, wenn neue Grenzkontrollen auf der anderen Seite des Ärmelkanals den Verkehr zu den Fähren behindern würden. Das ganze kostete 50.000 Pfund an Steuergeldern - eine Kleinigkeit. 

Kent Dover Brexit-Test
Britische LKW-Fahrer im Stau-TestBild: Reuters/T. Melville

Weil es aber nur ein paar Dutzend LKWs waren und Kent noch halb in den Weihnachtsferien, konnte sich die Kolonne ziemlich ungehindert über die Landstraßen schleppen. Vielleicht geriet die Probe also nicht so richtig lebensnah, denn an normalen Werktagen passieren rund 10.000 Lastwagen den Fährhafen Dover. Es war ein potemkinscher Stau und eine aufwendige Übung in Erweckung eines falschen Anscheins - dass die Regierung nämlich vorbereitet sei auf den Ernstfall. Bleibt nur die Frage, ob der Müllwagen als Symbol für den Brexit mitgefahren war oder einfach nur zum Spaß.

Harter Brexit II: Der Vertrag über eine nicht-existente Fähre

Chris Grayling gilt als der totale Tölpel in der britischen Regierung, die generell nicht von intellektuellen oder politischen Riesen bevölkert wird. Sogar nach den Standards dieses Kabinetts aber führen seine Fehlentscheidungen immer wieder zu schrecklich schlechter Presse. Der Minister sollte nun als Vorbereitung für einen harten Brexit zusätzliche Fähren anmieten. Diese würden im Fall der Fälle von verschiedenen britischen Häfen aus den Ärmelkanal überqueren, um Dover zu entlasten. Einer dieser Verträge im Wert von fast 14 Millionen Pfund ging auch an eine Firma namens "Seaborne Freight".

Großbritannien Dover Port und Hafen
Die Regierung gab den Auftrag, für den Fall eines harten Brexit mehr LKW-Fähren anzumietenBild: Imago/Manngold

Das Unternehmen aber besitzt tatsächlich keine einzige Fähre und hat auch keine Erfahrung im Transportgewerbe. Grayling verteidigte die Firma daraufhin als Start-up, andere nennen sie eine Luftnummer. Ihre Geschäftsbedingungen müssen die Manager von Seaborne übrigens von einem Pizza-Lieferdienst übernommen haben, denn es geht darin unter anderem um missbräuchliche Liefer-Aufträge. Oder hat schon mal jemand eine nicht bestellte LKW-Fähre zurückgeschickt? 

Der Labour-Politiker Andrew Adonis berichtet, nach Aussagen britischer Beamter würden große Teile der vier Milliarden Pfund, die die Regierung für einen harten Brexit bereit gestellt hat, für "zwielichtige, panische oder einfach missbräuchliche" Ausgaben verwendet werden. In Großbritannien scheint derzeit zu gelten: Nehmt das Geld und lauft, so schnell ihr könnt!

Der Brexit und das Auto von James Bond

Auch Aston Martin hat jetzt seine Notfallpläne für den Brexit veröffentlicht. Die Firma stellt extra einen neuen Chef für Zulieferungen ein und will künftig Teile aus der EU notfalls einfliegen lassen. "Wir waren noch nie so weit davon entfernt, zu verstehen, wo das alles endet", sagt CEO Andy Palmer.

Filmstill Goldfinger
Der Aston Martin von James Bond ist Traum jedes britischen Auto-Fans - auch dieses Traditions-Unternehmen fürchtet den Brexit Bild: Imago/Cinema Publishers Collection

Insgesamt ist der Absatz von Autos in Großbritannien im vorigen Jahr um 7 Prozent gefallen. Die Unsicherheit über die Zukunft von Dieselfahrzeugen und der Brexit gelten als Ursachen. Die Autohersteller sind mit rund 850.000 Arbeitsplätzen eine der letzten überlebenden Großindustrien im Land. Der Unternehmensverband befürchtet inzwischen, dass ein harter Brexit die Zukunft der britischen Autoindustrie existentiell gefährden könnte.

Brexit-Zitat der Woche

"Sado-Einhornismus" ist der Begriff, den Ian Dunt von "Politico" jetzt für Theresa May erfunden hat. Er meint ihren fortgesetzten Versuch, unmögliche Lösungen für den Brexit anzusteuern (unter Beobachtern "Einhörner" genannt) und "Selbstverstümmelung mit Strategie" zu verwechseln. In ihrer jüngsten Volte versucht die Premierministerin erneut, den irischen Backstop wegzuzaubern. Die EU soll offiziell versprechen, dass ein Freihandelsvertrag mit Großbritannien in jedem Fall bis Ende 2021 fertig wäre. Dann müsste die Sonderregelung für die irische Grenze nämlich nie angewendet werden. Und so probiert May immer wieder, solche Einhörner aus ihrem leeren Hut zu zaubern. Sollte ihr das einmal gelingen, wäre es wirklich Magie.