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Politik

Brexit-Tagebuch 9

Barbara Wesel
12. September 2017

Was ein Ehefrauen-mordender König mit dem Brexit-Gesetz zu tun hat, über späte Reue und warum britische Europa-Freunde größere Demonstrationen brauchen.

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Gemälde König Heinrich VIII von England 16th century
Bild: Imago/Le Pictorium

Die Debatte zog sich bis spät in die Nacht und gewaltig in die Länge. Aber an diesem Tag musste im britischen Unterhaus einmal alles gesagt werden, und zwar von allen. Am Ende aber nahm die angeschlagene Premierministerin die Hürde ziemlich locker. Dieses Gesetz wird Chaos verhindern wenn wir die EU verlassen, argumentierten die Brexiteers, wie immer strahlend optimistisch. Dieses Gesetz ist eine Machtergreifung der Regierung und kastriert das Parlament, sagte die Opposition. Aber die Rebellen konnten die Mehrheit nicht auf ihre Seite ziehen, Theresa May kann sich kurz entspannen, bis das Ganze in den Ausschüssen landet. 

Das Große-Aufhebungs-Gesetz, inzwischen einfach Brexit-Gesetz genannt, ist ein legislatives Monster. Es soll auf einen Schwung rund 12.000 EU-Regulierungen, 7.900 Umsetzungs-Gesetze und 186 mit Europa verbundene Rechtsakte in britisches Recht umwandeln. Das überschreitet jede Phantasie und überfordert den juristischen Laien total. Es ist eine der nicht vorhergesehenen Konsequenzen des Brexit, über die niemand vorher die Leute in der Bus-Reklame informiert hatte.

Warum Theresa May von Heinrich VIII. träumt

Theresa May musste voller Neid auf Großbritanniens monströsesten König geschaut haben, als sie diese Vorlage zusammenbastelte. Im Jahr 1537 nämlich hatte er erklärt, dass er Gesetze per Anordnung machen könne. Was für eine wunderbare Vereinfachung. Verbunden mit dem Recht, seine Ehefrauen zu köpfen, konnte Henry seine Regentschaft danach ganz unbeschwert genießen.

Wessen Köpfe würde Premierministerin May wohl gerne im Tower unter dem Schwert sehen? Den jüngsten Thronanwärter Jacob Rees-Mogg oder den stets nervenden Boris Johnson? Bestimmt aber wäre der Anführer der verräterischen Opposition ein Kandidat für eine fixe Enthauptung. Aber von sowas kann sie nur träumen. Mit dem Brexit-Gesetz gewinnt sie immerhin die Macht, die Masse der aus Europa geholten Gesetze nach eigenem Willen umzuformen, ganz wie ihr königlicher Vorgänger. Wie sonst sollte man mit diesem gesetzgeberischen Albtraum auch umgehen und die Rebellen im Parlament zum Schweigen bringen?

Einige in der Labour Party tobten vor Wut. Aber sie zeigt sich wieder einmal gespalten und alle Versuche, für Disziplin zu sorgen, blieben fruchtlos. Der Brexit-Beauftragte der Opposition schreibt, dass "das Brexit-Gesetz Ministern erlaubt, den Rückzug des Landes aus der EU mit minimaler Kontrolle umzusetzen. Sie würden über einen gesetzgeberischen Blankoscheck verfügen und könnten alle Aspekte des öffentlichen Lebens nach eigenem Gutdünken verändern." Tatsächlich kann es gefährlich sein, wenn man zulässt, dass die Premierministerin sich wie Heinrich VIII. fühlt.

London Tony Blair
Tony Blair macht die Wende und plädiert plötzlich für die Kontrolle von Zuwanderung Bild: Imago/i Images/E. Franks

Etwas Bedauern fühl' ich schon…

Wann immer Tony Blair in die öffentliche Debatte zurückkehrt, läuft wirklich etwas falsch. Im Mittelpunkt der Brexit-Entscheidung stehe die Sorge wegen der hohen Immigration, schreibt er jetzt in der Sunday Times. Pikant, denn es war der frühere Labour-Premierminister selbst, der 2004 die Tore für Hunderttausende Arbeitnehmer aus Polen und später anderen Ostblockländern geöffnet hatte. Jetzt aber spricht er davon, dass man Zuwanderung regulieren müsse. Er gibt nicht etwa zu, dass es ein Fehler gewesen sein könnte, alle diese Leute reinzulassen, das ist nicht Tonys Art. Aber die Zeiten hätten sich inzwischen geändert und die Regierung müsse heutzutage den Zustrom von Arbeitnehmern mit den vorhandenen Mitteln regulieren. Vielleicht lag er doch ein kleines bisschen falsch, damals. 

Allerdings sei es nicht nötig, dass die Regierung brandstifterische Papiere schreibt, in denen Zuwanderung drastisch eingeschränkt und ein Zwei-Klassen-System geschaffen wird, das die EU zur Weißglut treibt. Die Regierung hätte stattdessen früher das Mögliche und Vernünftige tun können.

Großbritannien fremdenfeindliche Übergriffe nach Brexit - Polnisches Zentrum Hammersmith
Fremdenfeindliche Parolen am polnischen Kulturzentrum in London Bild: Reuters

Da hat Tony Blair nicht unrecht. In anderen Ländern gibt es Ausweise zur Kontrolle der Bürger. Sie geben Zuwanderern drei Monate Zeit zur Arbeitssuche. Sie finden Wege, den Anspruch auf Sozialleistungen und den Zufluss von Arbeitnehmern im Rahmen der EU-Regeln etwas zu regulieren. Großbritannien hat viel von der Wut über diese Frage selbst verursacht. Wer sonst hat denn Studenten zur Migrations-Statistik addiert, um sie in die Höhe zu treiben? Wer sonst hat überhaupt keine Idee vom Kommen und Gehen in seinem Land? Einige Antworten müssten hier von David Cameron kommen. Aber der frühere Premier schafft es dieser Tage nur noch in die Nachrichten, wenn er heimlich raucht und einen Gartenschuppen kauft. So ändern sich die Zeiten.

Von Schall und Rauch

Man spricht in London schon vom Herbst des Missvergnügens. Die Regierung ist schwach, die Opposition nicht stark genug und keiner bekommt, was er wirklich will. Ob das nun ein eisenharter Brexit wäre, oder ein eher weichgespülter oder gar kein Brexit. Beobachter betonen, dass nichts passieren wird, bis der Parteitag der Konservativen Anfang Oktober vorbei ist. Alle Verhandlungen in Brüssel bisher waren nichts als Schall und Rauch. Die EU-Kommission kann erst einmal aufhören, weitere Pressekonferenzen zu geben. Sie sollte nur noch still sitzen und abwarten. 

People´s March for Europe London
Mehr Europa-Blau und Sternchen beim "Marsch des Volkes für Europa", als man seit Jahren in London gesehen hat Bild: Imago

Sie brauchen mehr Leute, viel mehr Leute

So viel Europa-Blau, so viele Sterne wie nie konnte man am letzten Wochenende in London sehen. Die "Remainer" demonstrierten, um die Regierung umzustimmen. Und Liberalenführer Vince Cable ließ nichts aus und nannte diese "inkompetent, dysfunktional und uneinig". Wenn man die Brexit-Verhandlungen betrachtet, scheint das eine ganz gute Beschreibung. Aber, liebe Freunde: Ihr müsst viel mehr Leute auf die Straße bringen. Die reizenden Kostüme haben bestimmt viel Arbeit gemacht, aber nichts unter einer halben Million Demonstranten wird Theresa May beeindrucken. Strengt euch an, es ist noch ein bisschen Zeit.

Der Löwe und das Einhorn

Für "Brexiteers" ist er eines der stärksten Symbole: Der künftige, blaue britische Pass mit dem geprägten Wappen mit Löwe und Einhorn, der das verhasste EU-Dokument in banalem Rot ablösen soll. Jetzt aber kam heraus, dass das kostbare nationale Teil vielleicht in Frankreich hergestellt werden würde. Das Innenministerium hatte die Herstellung ausgeschrieben und eine französische sowie eine deutsche Firma sind im Rennen. Was für eine Beleidigung. Der Vorsitzende des parlamentarischen Ausschusses für Flaggen- und Wappenkunde war erzürnt: "Ich möchte, dass der neue britische Pass in Großbritannien hergestellt wird, in einer britischen Firma mit britischen Arbeitern…" Frei nach der Briten liebstem patriotischen Lied: Rule Britannia, Britannia rule the passports…..