Brexit: Wie geht's weiter?
8. Februar 2017Das britische Parlament
Nach der Abstimmung im Unterhaus geht die Gesetzesvorlage ins Oberhaus. Im Unterhaus war eigentlich eine deutliche Mehrheit für den Verbleib in der EU. Doch die meisten akzeptierten, dass eine wenn auch knappe Mehrheit der Briten im Referendum für den Ausstieg gestimmt hatte. Parteidisziplin sowohl bei den regierenden Konservativen als auch bei der Labour-Opposition, deren Chef Jeremy Corbyn seine Leute ebenfalls aufgefordert hatte, mit der Regierung zu stimmen, tat ein übriges.
Die meist auf Lebenszeit ernannten Lords im Oberhaus müssen sich nicht um ihre Wiederwahl sorgen und gelten daher als unabhängiger als die Mitglieder des Unterhauses. Doch sie könnten die Regierungsvorlage nicht mehr verhindern, höchstens aufschieben. Was eher zu erwarten ist, sind Versuche von Brexit-Gegnern unter den Lords, weitere europafreundliche Änderungen in der Vorlage unterzubringen. Wenig wahrscheinlich ist dagegen eine Fundamentalopposition in Form einer reinen Verzögerungstaktik. Politiker aus beiden Kammern wie der frühere Schatzkanzler und konservative Unterhausabgeordnete George Osborne haben gesagt, sie befürchteten eine "Verfassungskrise", wenn sie sich gegen den Volkswillen stellten.
Das Ziel
Premierministerin Theresa May will den klaren Bruch mit Brüssel. Großbritannien soll auch aus dem Binnenmarkt aussteigen, die Regeln der Zollunion nicht mehr akzeptieren und sich nicht mehr der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterwerfen. Großbritannien will damit frei sein, Handelsverträge mit der ganzen Welt abzuschließen. Mit der EU strebt das Land ein möglichst umfassendes neues Freihandelsabkommen an.
Aber beide Seiten betreten Neuland. Noch nie gab es einen EU-Austritt. Und die EU hat auch noch nie mit einem Land ein Abkommen geschlossen, das einen dem Binnenmarkt vergleichbaren Zugang gewährt, ohne auch "Lasten" (oder was man dafür hält) aufzuerlegen. Mit der Schweiz zum Beispiel gibt es eine ähnliche Vereinbarung, aber die Schweiz muss dafür EU-Einwanderung hinnehmen.
Die Meinungen in der EU über das künftige Verhältnis sind geteilt. Manche wollen an Großbritannien ein Exempel statuieren, damit mögliche Nachahmer abgeschreckt werden: London soll die Nachteile des Austritts spüren, selbst wenn das auch Kontinentaleuropa schadet. (Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat einmal gesagt: "Der Deserteur wird nicht mit offenen Armen empfangen.") Andere, etwa der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff, fordern einen fairen Umgang mit den Briten. Die EU, so Lambsdorff, solle "darauf bedacht sein, dass Großbritannien auch in Zukunft ein enger und verlässlicher Partner bleibt".
Der Zeitplan
Ende März will May die Scheidung einreichen, vorausgesetzt, auch das Oberhaus hat bis dahin zugestimmt. Dann sind Austrittsverhandlungen vorgesehen, die auf zwei Jahre angelegt sind. Die EU will etwa einen Monat nach dem Austrittsantrag einen Sondergipfel einberufen und den Verhandlungsführern ein Mandat erteilen.
Michel Barnier, der Brexit-Unterhändler der EU, will die Verhandlungen möglichst bis zur nächsten Europawahl im Frühjahr 2019 abschließen. Kommt bis dahin ein neuer Vertrag zwischen beiden Seiten zustande, müsste eine qualifizierte Mehrheit der EU-Länder zustimmen: mindestens 19 Staaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der Bevölkerung stellen. Außerdem müsste das Europaparlament mit einfacher Mehrheit grünes Licht geben.
Anschließend muss das neue Abkommen von allen EU-Staaten ratifiziert werden. Allein das dürfte Monate dauern. Bundeskanzlerin Angela Merkel befürchtet, dass die Austrittsverhandlungen für Jahre die gesamte Europapolitik überschatten werden. Beide Seiten sind also an einem reibungslosen und schnellen Ablauf interessiert.
Der Notnagel
Dass am Ende der zwei Jahre tatsächlich ein Freihandelsabkommen steht, das beide Seiten akzeptieren, bezweifeln manche Experten, denn die Materie ist hochkomplex. Der britische Finanzminister Philipp Hammond ging - allerdings Ende vergangenen Jahres - von bis zu sechs Jahren aus. Der frühere britische EU-Botschafter Sir Ivan Rogers hat sogar gesagt, die Verhandlungen könnten bis zu zehn Jahre dauern.
Stehen beide Seiten nach zwei Jahren tatsächlich ohne neues Abkommen da, endet die britische EU-Mitgliedschaft trotzdem - ein Szenario, das die Briten unbedingt vermeiden wollen, weil es enorme Unsicherheit für die Unternehmen bedeuten würde.
Für diesen Fall hat Premierministerin May Übergangsregelungen angeregt, um die Zeit zwischen dem Ende der bisherigen Vollmitgliedschaft und einem neuen Abkommen zu überbrücken und den Übergang möglichst glatt verlaufen zu lassen. Sie argumentiert, das sei im beiderseitigen Interesse. Ob sich die EU-Seite darauf einlassen würde, ist unklar. Auch hier wollen viele EU-Europäer den Grundsatz "drin ist drin, und draußen ist draußen" durchsetzen.
May hat gewarnt, gar kein Abkommen sei immer noch besser als ein schlechtes; wenn die EU versuchen sollte, ihr Land zu bestrafen, werde London Gegenmaßnahmen ergreifen. Zum Beispiel könnte Großbritannien dann versuchen, der EU mit sehr niedrigen Steuern Konkurrenz zu machen.
Schottland und Nordirland
Die Schotten hatten mit großer Mehrheit für einen Verbleib in der EU gestimmt. Kein Wunder, dass sie sich durch das gesamtbritische Brexit-Votum düpiert fühlen. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon hat wiederholt ein neues Referendum über eine schottische Unabhängigkeit ins Spiel gebracht. Ein unabhängiges Schottland, so die Idee, würde dann EU-Mitglied werden - natürlich nur, wenn die übrigen EU-Mitglieder zustimmen. Doch die Stimmung in Schottland geht nicht eindeutig in diese Richtung: Nach der jüngsten Umfrage - nachdem May einen harten Brexit angekündigt hat - will eine knappe Mehrheit weiterhin im Vereinigten Königreich bleiben. Und was vielleicht schwerer wiegt: 56 Prozent wollen kein neues Referendum. Das von 2014 war mit 55 zu 45 Prozent für eine Beibehaltung der Union ausgegangen.
Käme es aber tatsächlich irgendwann zu einer Abspaltung Schottlands, blieben viele Fragen: Wie gestaltet man die Grenze zwischen England und Schottland, die dann eine EU-Außengrenze wäre? Und wird Schottland dann von EU-Ausländern überrollt, die eigentlich nach England wollen und dann auf Schottland ausweichen könnten? Das Grenzproblem wird sich in jedem Fall in Irland stellen. Heute ist die Grenze zwischen Nordirland, das zum Vereinigten Königreich gehört, und der Republik Irland sehr durchlässig, weil beide Staaten EU-Mitglieder sind. Tritt das Vereinigte Königreich aus, könnten dort wieder stärkere Grenzkontrollen notwendig sein.
Das liebe Geld
Großbritannien will mit dem Brexit nicht nur ungewollte Einwanderung aus der EU verhindern, sondern auch die seiner Meinung nach viel zu hohen regelmäßigen Zahlungen in den EU-Haushalt vermeiden. Das heißt aber nicht, dass London mit dem Tag des Austritts einfach seinen Dauerauftrag für Brüssel storniert. Das Land ist nämlich während seiner Mitgliedschaft Zahlungsverpflichtungen eingegangen, die zum Teil weit in die Zukunft reichen, zum Beispiel für die Pensionen von EU-Beamten. Dafür soll Großbritannien eine "Austrittsrechnung" vorgelegt werden. Kommissionssprecher Margaritis Schinas hat das am Dienstag so erklärt: "Das ist, wie wenn man mit 27 Freunden in den Pub geht. Man bestellt eine Runde Bier, aber dann kann man nicht gehen, wenn die Party noch läuft. Man muss für die Runde bezahlen, die man bestellt hat."
Grundsätzlich akzeptieren das die Briten. Die Frage ist nur, wie hoch die Rechnung ausfällt: etwa 20 Milliarden Euro, wie die britische Seite selbst schätzt, oder bis zu 60 Milliarden, wie der bereits erwähnte Ivan Rogers voraussagt. Der gehört zwar eigentlich auch zur britischen Seite, trat aber Anfang Januar als EU-Botschafter zurück, weil er in Fragen der Austrittsverhandlungen mit seiner Regierung über Kreuz lag. Der genaue Rechnungsbetrag für die "Runde Bier für alle" dürfte bei den Austrittsverhandlungen noch für viel Gesprächsstoff sorgen.