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"Bronzezeit" St. Petersburg

Anastassia Boutsko 9. Juli 2013

Die Ausstellung "Bronzezeit: Europa ohne Grenzen" hätte beinahe einen deutsch-russischen Eklat provoziert. Die kunsthistorische Bedeutung der Schau geriet dabei fast in den Hintergrund. Zu Unrecht.

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Goldschatz aus Werder bei Potsdam, um 1000 v. Chr (Copyright: Staatliches Puschkin Museum der Schönen Künste Moskau / Andrea Kudryavitskiy)
Bronzezeit – Europa ohne GrenzenBild: Staatliches Puschkin Museum

Angela Merkel kam, sah sich die Ausstellung an und sicherte sich damit den moralischen Sieg. Die Bundeskanzlerin fand die richtigen Worte, um die Arbeit der russischen und deutschen Wissenschaftler zu würdigen, und gleichzeitig die deutsche Position im Beutekunststreit mit Russland zum Ausdruck zu bringen. Die Ausstellung "Bronzezeit: Europa ohne Grenzen" im russischen St. Petersburg zeigt auch etwa 600 Objekte, die nach dem Zweiten Weltkrieg von sowjetischen Soldaten aus Deutschland nach Russland gebracht worden waren. Zu ihnen zählt nach Angaben der beteiligten Stiftung Preußischer Kulturbesitz der 1913 entdeckte Goldschatz von Eberswalde.

"Wir sind der Meinung, dass diese Stücke wieder zurück nach Deutschland kommen sollten, und wir werden auch darüber weiter sprechen", sagte Merkel zur Ausstellungseröffnung am 21. Juni 2013. Während der russische Präsident Wladimir Putin neben ihr mit seiner Körperhaltung seinen Unmut über diese Worte zeigte. "Es ist aber eine große Freude, dass man diese Stücke hier im Zusammenhang sieht", so die Kanzlerin weiter, und bedankte sich bei den Ausstellungsmachern.

Merkel und Putin (r.) besuchten die umstrittene Ausstellung dann doch noch zusammen (Foto: Reuters)
Merkel und Putin (r.) besuchten die umstrittene Ausstellung dann doch noch zusammenBild: Reuters

Deutsch-russische Zusammenarbeit

Die Bronzezeit-Ausstellung ist das Ergebnis fünfjähriger Zusammenarbeit eines internationalen Teams von Wissenschaftlern aus dem Berliner Museum für Ur- und Frühgeschichte und deren Kollegen aus der St. Petersburger Eremitage und dem Puschkin-Museum in Moskau. Die Direktoren beider russischen Häuser gaben damals grünes Licht für die Forscher, was bereits als Sensation galt: Denn in deren Depots lagern seit sieben Jahrzehnten Tausende Objekte nicht nur aus der Bronzezeit, die als "kriegsbedingt verbracht" bezeichnet werden. Der legendären Puschkin-Direktorin Irina Antonowa, 91-jährige Veteranin des Kalten Krieges, bescherte die Ausstellungseröffnung ihren letzten öffentlichen Auftritt vor dem Ruhestand.

Irina Antonowa, Direktorin des Puschkin-Museums in Petersburg, bei der Eröffnung der Bronzezeit-Ausstellung am 21.06.2013 (Foto: DW/A. Boutsko)
Irina Antonowa, Direktorin des Puschkin-Museums in Petersburg, bei der Eröffnung der Bronzezeit-AusstellungBild: DW/A. Boutsko

Die europäische Frühkultur in einer Ausstellung

Was zustande kam, ist kunsthistorisch spektakulär: Auf über 1000 Quadratmetern in zwei leider etwas dunklen Sälen im Generalstabsgebäude, den neuen Räumen der Eremitage, wird in drei chronologischen Abschnitten die Entstehungsgeschichte der europäischen Frühkultur erzählt: Sie begann mit der Kupferzeit im 4. Jahrtausend vor Christi (v. Chr.) in einem riesigen Gebiet zwischen Atlantik und Ural. Ab der zweiten Hälfte des 3. vorchristlichen Jahrtausends (der Früh- und Mittelbronzezeit) wurde sie zur eigentlichen Bronzezeit und erreichte im 2. bis 1. Jahrtausend v. Chr. ihren Höhepunkt. Man kann in St. Petersburg Parallelen und Ähnlichkeiten erkennen, aber auch regionale Besonderheiten der Kulturen.

Ein Diadem aus dem Troja-Schatz, den der Deutsche Heinrich Schliemann ausgrub, findet sich heute in russischen Museen (© Staatliches Puschkin-Museum)
Ein Diadem aus dem Troja-Schatz, den Schliemann ausgrub, findet sich heute in russischen MuseenBild: Staatliches Puschkin Museum

Trotz der nüchternen Machart der Ausstellung - alle Objekte sind unter Glas in Vitrinen platziert - ist es eine emotionale Schau. Denn einzelne Gegenstände und vor allem die Geschichten, die sie über Macht, Religion und Kult, aber auch über den Alltag unserer entfernten Vorfahren erzählen, sind faszinierend: Zu sehen sind raffinierter Goldschmuck aus den Funden bei Eberswalde und Potsdam in der Nähe von Berlin, verzierte Gefäße der im nördlichen Kaukasus verbreiteten Maikop-Kultur und mystische Idole von Galitsch, 500 Kilometer nordöstlicher von Moskau gefunden. Aber auch Schnurkeramik- und Kugelamphoren der sehr besonderen Wolga-Kulturen der Bronzezeit, der Fatjanovo- und Balanovo-Kultur, werden gezeigt. Aus dem Karpatenbecken stammen Silberschätze, aber auch Waffen und Schmuck aus den Troja-Funden, die der deutsche Archäologe Heinrich Schliemann seinerzeit ausgrub, gehören zu den gezeigten Stücken.

Fantasieanregende Funde

Ein kleines Highlight der Ausstellung sind die so genannten Luren - riesige bis zu 1,80 Meter lange und über 3000 Jahre alte Blasinstrumente. Einige von ihnen wurden in Daberkow im deutschen Mecklenburg-Vorpommern gefunden, weitere in den dänischen Mooren. Die Vorstellung, wie diese frühen Instrumente der Musikgeschichte einmal geklungen haben und zu welchen Zeremonien sie genutzt wurden, regt die Fantasie an. Auch ein Schwertdepot ist zu bewundern: Die alten Waffen zeugen von der spätbronzezeitlichen Weihung von Schwertern, einem Ritual, das damals in weiten Teilen Europas verbreitet war.

Luren - antike Hörner der Frühzeit (Foto: DW/A. Boutsko
Luren - antike Hörner der FrühzeitBild: DW/A. Boutsko

"So eine Schau gab es meines Wissens noch nie"

Es ist nicht zu unterschätzen, dass 1100 der 1700 Objekte dieser Ausstellung aus den russischen Sammlungen und Grabungen stammen, und dass eine solche Schau nur möglich wurde, weil man Objekte nach ihrer Bedeutung und nicht nach ihrer Herkunft ausgesucht hat. "So eine Schau - und ich bin ja selbst Archäologe und Bronzezeit-Fachmann - gab es meines Wissens noch nie", sagte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Initiator der Ausstellung in einem DW-Interview. "Zum ersten Mal wird die Entwicklung des ganzen europäischen Kontinents vom späten 4. bis zum frühen 1. Jahrtausend vor Christus präsentiert. Das ist das Tolle".

Ein weiteres Verdienst der Ausstellung und der Forschungsarbeit in ihrem Vorfeld ist die Zusammenführung der Funde, die kriegsbedingt auseinander gerissen worden waren und deren Teile heute in zwei, manchmal gar in drei Häusern in Berlin, Moskau und St. Petersburg lagern - so wie bei den Schätzen von Eberswalde oder Troja. Dies weckt die Hoffnung, dass einmal auch in der Museumswelt zusammenwächst, was zusammen gehört.

Der Goldschatz von Eberswalde (Foto: DW/A. Boutsko)
Der Goldschatz von EberswaldeBild: DW/A. Boutsko