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Der Fall Bulatow

Roman Goncharenko2. Februar 2014

Ein Oppositionsaktivist wird entführt und tagelang bestialisch gefoltert. Dmitri Bulatow ist zu einer der Symbolfiguren der Proteste in der Ukraine geworden. Nun darf er sich in der EU medizinisch behandeln lassen.

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Dmitri Bulatow
Bild: picture alliance/AP Photo

Solche Bilder kannte man bisher aus dem Irak, aus Syrien, aber nicht aus der Ukraine. Ein junger Mann mit blutüberströmtem Gesicht, die ganze linke Wange ist mit Blut bedeckt. Der Mann zieht seinen Pullover hoch und man sieht einen großen braunen Blutfleck, der von der Brust bis zum Bauch reicht. Auch die Hände sind mit Blutspuren übersät.

Ausreise nach Europa

Das Foto entstand am Abend des 30. Januar 2014 in einem Dorf nicht weit von der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Der Mann heißt Dmitri Bulatow, ein oppositioneller Aktivist, der seit über einer Woche vermisst wurde. Bei seinem ersten Interview in Freiheit erzählte er, Unbekannte hätten ihn in Kiew am 22. Januar entführt und tagelang gefoltert: "Sie schnitten mir einen Teil des Ohrs ab, schlugen Nägel durch meine Hände, es gibt keine heile Stelle an meinem Körper". Dennoch gab sich Bulatow kämpferisch: "Ich mache weiter".

Ukraine - Proteste in Kiev
Barrikaden in der ukrainischen HauptstadtBild: picture-alliance/dpa

Bulatow ist inzwischen zur medizinischen Behandlung in der litauischen Hauptstadt Vilnius eingetroffen. Am Sonntag (02.02.2014) hatte ihm ein Gericht in Kiew erlaubt, die Ukraine zu verlassen.

Bisher brutalster Fall

In den vergangenen Tagen wollte die ukrainische Polizei seine Entführung aufklären. Doch als Ermittler den Aktivisten in einem Kiewer Krankenhaus vernehmen wollten, verhinderten das seine Freunde und Ärzte - offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Sie befürchteten wohl seine Festnahme.

Der Fall ist der bisher brutalste in einer Serie von Entführungen oppositioneller Aktivisten. Fast alle wurden gekidnappt und krankenhausreif geschlagen. Ein Mann starb im Wald an Unterkühlung, er war wehrlos, seine Entführer hatten ihm die Hände zusammengebunden. Manche Oppositionspolitiker sprechen von "Todesschwadronen", die aus Polizisten und Kriminellen bestehen sollen. Beweise dafür gibt es bisher nicht, nur indirekte Indizien.

"Automaidan" ärgerte Präsidenten und Innenminister

Warum ist ausgerechnet Bulatow zum Opfer bestialischer Gewalt geworden? Wie kam es dazu, dass das blutüberströmte Gesicht des 35-jährigen Familienvaters aus Kiew, der noch vor wenigen Monaten auf Urlaubsfotos auf seinem Facebook-Profil lächelte, zu einem Symbol der oppositionellen Proteste wurde? Bulatow ist einer der Anführer beim sogenannten "Automaidan". So nennt sich eine Gruppe meist junger PKW-Besitzer, die sich am Anfang der Proteste im November 2013 in Kiew organisiert hatte. Auslöser war die Entscheidung des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union nicht zu unterzeichnen. Die "Automaidan"-Aktivisten schmückten ihre Autos mit EU-Flaggen und fuhren damit durch die Stadt, um für Proteste auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan Nesaleschnosti) zu werben. Das war aber nicht alles.

Ukraine - Proteste auf dem Maidan Platz
Proteste auf dem UnabhängigkeitsplatzBild: Getty Images

Im Dezember fuhren hunderte Aktivisten des "Automaidan", darunter auch Bulatow mit seinem VW Polo, nach Meschihirja bei Kiew, wo der Präsident seine Residenz hat. Weit kamen sie nicht, denn die Polizei versperrte ihnen den Weg. Mehrmals versuchte die Gruppe, auch prominente Regierungsvertreter unter Druck zu setzen. Sie fuhren bei ihnen zu Hause vor und demonstrierten. Bei einer der Aktionen warfen Beteiligte einen faulen Fisch über den Zaun des Hauses von Innenminister Vitali Sachartschenko. Sie forderten seinen Rücktritt, weil er eine friedliche Demonstration in Kiew hatte gewaltsam auflösen lassen.

"Automaidan" steht zu Klitschko

Auch bei der jüngsten Eskalation der Gewalt in Kiew spielte Bulatow eine indirekte Rolle. Bei der Kundgebung am 19. Januar 2014 forderte er auf der Bühne stehend die Oppositionspolitiker auf, sich auf einen Anführer der Proteste zu einigen. Doch die weigerten sich. Danach zog ein Teil der Demonstranten vom Maidan über die Hruschewski-Straße in Richtung Parlament. Als Polizisten den Weg versperrten, begannen einige radikale Demonstranten, Molotow-Cocktails zu werfen. Die Polizei setzte Tränengas, Blendgranaten und Gummigeschosse ein. Die Straßenschlacht nahm ein Ausmaß an, das es in der Ukraine noch nie gegeben hatte. Sie dauerte fast eine Woche. Es gab Tote und Verletzte.

Gleich am Anfang hatten sich Bulatow und andere Anführer des "Automaidan" davon distanziert. " Bulatow schrieb, er sei gegen "unmotivierte Gewalt" und Blutvergießen. Kurz vor seiner Entführung sagte Bulatow, der "Automaidan" erkenne den Oppositionspolitiker Vitali Klitschko von der Partei UDAR ("Schlag") als Anführer der Proteste an. Klitschko war auch einer der ersten, der Bulatow in der Klinik besuchte.

Vitali Klitschko am Bett, bei Dmitro Bulatow
Vitali Klitschko besuchte Dmitri Bulatow im KrankenhausBild: picture-alliance/AP Photo