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Extremismus Pakistan

13. Dezember 2011

Koranschulen in Pakistan stehen unter Verdacht, Brutstätten des Extremismus zu sein. Ist dieser Vorwurf berechtigt? DW-WORLD.DE sprach mit dem Pakistan-Experten Jochen Hippler von der Univeristät Duisburg-Essen.

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"Gegen Extremismus in Pakistan hilft nur eine Reform des Schulsystems", so Jochen HipplerBild: Jochen Hippler

DW-WORLD.DE: Am Dienstag (13.12.) wurden in einer religiösen Schule in Pakistan angeblich mehr als fünfzig junge Männer, teilweise auch Kinder, schwer misshandelt. Sie sollten óffenbar zu Selbstmordattentätern ausgebildet werden. Viele Experten gehen davon aus, dass das kein Einzelfall in Pakistan ist. Was denken Sie?

Jochen Hippler: Die religiösen Schulen in Pakistan sind sehr unterschiedlich. Eine ganze Reihe von ihnen werden auch von halbwegs aufgeklärten Angehörigen der Mittelschicht besucht. Wir haben aber auch eine Reihe von Koranschulen oder "Madrasas", die eine wichtige Rolle bei der Radikalisierung spielen und Brutstätten des Extremismus sind. Und da gibt es auch Fälle, wo Zwang ausgeübt wird. Dies ist jedoch nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Viele Schüler gehen freiwillig in diese Schulen, weil es kostenloses Essen gibt und man auch teilweise die religiöse Ideologie teilt.

DW-WORLD.DE: Demnach wird an diesen Koranschulen teilweise auch eine extreme Sichtweise des Islam gelehrt. Das geschah vor allem in den 80er Jahren, als religiöse Kämpfer, die Mudschahedin, ausgebildet wurden, um in Afghanistan gegen die Russen zu kämpfen. Dieser Krieg ist lange vorbei, die Russen sind nicht mehr da - warum sind die Madrasas immer noch so mächtig?

Jochen Hippler: Tatsächlich gab es in den achtziger Jahren eine Tendenz zu glauben, durchaus auch mit ausländischer Unterstützung durch Länder wie Saudi Arabien, teilweise aber auch die USA, gute Kämpfer gegen die Sowjetunion heranbilden zu können. In dieser Zeit wurden viele dieser religiösen Schulen neu gegründet. Als die Russen abzogen, hat sich das verselbständigt. Als dann die USA ihre finanzielle Unterstützung beendeten, waren die Schulen schon zu einem politischen Faktor geworden, der sich in Pakistan selber eine Basis verschafft hatte. Spendensammlungen in Pakistan und weitere Geldmittel aus den Golfstaaten haben diese religiösen, extremistischen Schulen zusätzlich begünstigt.

DW-WORLD.DE: Was sind die Ziele? Pakistan hat ja vor langer Zeit entdeckt, dass man die religiösen Kämpfer nicht nur in Afghanistan für die eigenen Interessen nutzen kann, sondern auch in der Region Kaschmir. Hat Pakistan also bewusst nichts gegen eine Ausweitung dieser Madrasas unternommen?

Jochen Hippler: Wenn man den Geist aus der Flasche lässt, kann man ihn schlecht zurückstopfen. Viele dieser [extremistischen Anm.d.Red.] Gruppen, die mit Regierungshilfe, mit Militärhilfe, aufgepäppelt werden, sind inzwischen so stark geworden, dass sie sich nicht mehr zurückpfeifen lassen. Sie operieren selber, teilweise in Afghanistan, in geringem Maße in Kaschmir, teilweise auch bei konfessioneller Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten in Pakistan selbst. Diese Gruppen sind außer Kontrolle geraten. Doch einige ehemalige Militärs und pensionierte Geheimdienstler ziehen immer noch im Hintergrund die Fäden.

DW-WORLD.DE: Wie kann die internationale Gemeinschaft, die teilweise dazu beigetragen hat, dass diese Schulen entstehen, den großen Einfluss extremistischer Schulen in Pakistan dämmen?

Jochen Hippler: Ich glaube, dass wir uns nicht zu sehr nur auf die Schulen konzentrieren sollten, weil das Umfeld dieses Extremismus noch breiter ist. Aber was mir bezogen auf die Madrasas wichtig zu sein scheint ist, dass viele Eltern aus ärmeren Verhältnissen ihre Kinder dorthin schicken. Die Schulen sind kostenlos. Und die Eltern sehen sie als einzige Chance, um den Kindern überhaupt eine Ausbildung angedeihen zu lassen. Es wäre also wichtig, in Pakistan ein Schulwesen aufzubauen, das besser ist und ähnliche soziale Dienstleistungen anbietet, wie die religiösen Schulen. Häufig schicken die Eltern ihre Kinder nicht dorthin, um ihre Kinder religiös verhetzen zu lassen, sondern weil es die einzige Chance ist, den Kindern überhaupt eine Ausbildung zu geben.

Das Interview führte Waslat Hasrat-Nazimi

Redaktion: Ana Lehmann

Dr. Jochen Hippler ist Politikwissenschaftler und zur Zeit Privatdozent am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg-Essen.