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Brücker: "Keine Hinweise für sozialen Missbrauch"

Ignatzi, Christian31. Dezember 2013

Seit 1. Januar dürfen Bulgaren und Rumänen ohne Einschränkungen nach Deutschland einwandern. Migrationswissenschaftler Herbert Brücker über die Chancen und Konsequenzen.

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Herbert Brücker Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Bild: IAB

Deutsche Welle: Herr Brücker, warum sind die Sorgen bezüglich der Arbeitnehmerfreizügigkeit unberechtigt?

Es geht nicht darum, dass die Möglichkeiten erweitert werden, Sozialleistungen zu beziehen. Daran ändert sich überhaupt nichts. Es geht darum, dass neue Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen. Bislang durften Rumänen und Bulgaren nur als Saisonarbeiter in Deutschland arbeiten, oder wenn sie Auszubildende oder Hochschulabsolventen waren. Nun ist der Arbeitsmarkt für alle offen. Wir rechnen damit, dass 100.000 bis 180.000 Personen aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland kommen werden. Der überwiegende Teil wird arbeiten, Steuern und Abgaben zahlen. Davon profitiert die Volkswirtschaft.

Inwiefern?

Die Menschen, die herkommen und arbeiten, zahlen vor allem in die Renten- und Versicherungssysteme ein. Aber auch Krankenkassenbeiträge und Ähnliches. Dadurch entsteht für die öffentlichen Finanzen und den Sozialstaat ein Nettogewinn, der deutlich größer ist als das, was wir ausgeben für Leistungen, zum Beispiel Hartz IV.

Welche Arten neuer Beschäftigungen wird es geben?

Gegenwärtig sind die Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien überwiegend als Saisonarbeiter tätig, in der Landwirtschaft oder im Hotel- und Gaststättengewerbe. Wir haben auch einen hohen Anteil im Gesundheits- und Pflegebereich. Ich denke, dass die Landwirtschaft abnehmen wird, aber die anderen Sparten weiter wachsen. Was außerdem stark wachsen wird, ist der Anteil der Beschäftigten in der Bauwirtschaft. Aber es werden auch zunehmend Menschen in andere Dienstleistungsbereiche gehen und die Industrie.

Wie leben laut Ihrer Studie Bulgaren und Rumänen derzeit in Deutschland?

Auf der einen Seite sind das Hochqualifizierte. Mehr als 20 Prozent haben Hochschulabschlüsse. 18 Prozent befinden sich in Bildung und Ausbildung. Das sind überwiegend Studenten. Das heißt, wir haben ein Segment, das sehr gut qualifiziert ist, oder sich in Deutschland qualifiziert und danach wahrscheinlich auch gute Jobs bekommen wird. Es sind außerdem über 40 Prozent, die keine beruflichen Bildungsabschlüsse haben, überwiegend Saisonarbeitskräfte. Und dann liegt dazwischen ein Anteil von vielleicht 35 Prozent, die eine abgeschlossene Berufsausbildung haben und als Arbeiter und Fachkräfte in der Pflege und Ähnlichem arbeiten. Man sollte sich also vor Pauschalisierungen hüten. Der überwiegende Teil der Bulgaren und Rumänen arbeitet hier, zahlt Steuern und Abgaben. Dabei handelt es sich um ganz normale Arbeiterzuwanderer und nicht um Armutszuwanderung.

Wird es also keine Armutszuwanderung geben?

Es wird auch Armutszuwanderung geben, der überwiegende Teil wird aber in Deutschland beschäftigt sein.

Im Ruhrgebiet sieht es aber schlecht aus. Besteht denn keine Gefahr, dass Menschen nur wegen der Sozialleitungen ins Land kommen?

Es ist natürlich ein Gemisch. Zehn Prozent der bulgarischen und rumänischen Bevölkerung bezieht Hartz IV. Das ist deutlich weniger als der Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung. Da haben wir über 16 Prozent. Bei der einheimischen Bevölkerung sind es 7,5 Prozent. Ich rechne nicht damit, dass diese Zahl wesentlich steigen wird. Im Gegenteil: Durch die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten könnte der Anteil auch sinken. Aber es gibt natürlich immer einen Teil, der nicht arbeitet und Leistung bezieht. Der konzentriert sich in ganz bestimmten Städten, wie Berlin, Duisburg und Dortmund. Aber auch Offenbach und Köln haben Probleme. Dort stellt sich die Lage ganz anders dar als im Bundesdurchschnitt.

Nur zehn Prozent der Bulgaren und Rumänen beziehen Sozialleistungen, sagen Sie. Sind das Mustereinwanderer?

So ist es auch nicht richtig. Bulgaren und Rumänen haben gegenwertig wenige Beschäftigungsmöglichkeiten. Dadurch ist die Möglichkeit, arbeitslos zu werden gering. Arbeitslos kann ja nur jemand werden, der vorher schon erwerbstätig war. Es gibt eine Bevölkerungsgruppe, die weder Leistung bezieht, noch erwerbstätig ist. Die liegt so bei ungefähr 30 Prozent der Bulgaren und Rumänen. Das ist gar kein besonders großer Anteil, das haben wir bei Einheimischen und anderen ausländischen Gruppen auch. Aber in den genannten Städten im Ruhrgebiet und Berlin liegt dieser Anteil bei 65 bis über 70 Prozent. Das sind Menschen, die leben von Bettelei, Schwarzarbeit und Ähnlichem. Das sind Probleme, die für die Kommunen nicht besonders schön sind.

„Wer betrügt, der fliegt“, sagt die CSU nun. Ist das die richtige Einstellung?

Wir haben bisher ganz wenige Fälle, vielleicht um die 100, in denen es wirklich zu Betrugsfällen gekommen ist, die man nachweisen kann. Das heißt, es ist überhaupt kein Massenphänomen, sondern ein seltener Ausnahmefall. Wir haben uns auch solche Fälle wie Selbstständigkeit angesehen. Einige Bulgaren und Rumänen kommen her, um sich als Scheinselbstständige anzumelden und dann aufstockende Leistungen zu bekommen. Das sind in Deutschland um die 2000 Personen, also auch nicht sehr viel. Es ist auch nicht so, wie häufig behauptet wird, dass wir einen riesigen Anteil an Kindergeldempfängern hätten. 8,8 Prozent beziehen diese Leistungen. In der deutschen Bevölkerung sind es elf Prozent, in der ausländischen 15 Prozent - ein unterdurchschnittlicher Anteil. Es gibt im Moment eigentlich von den Daten her überhaupt keine Hinweise, dass es in großem Umfang zu sozialem Missbrauch kommt. Da sind die Bulgaren und Rumänen die völlig falsche Bevölkerungsgruppe.

Herbert Brücker ist Migrationsforscher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Er war an einem Bericht über die Situation der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien beteiligt, den das Institut am 23. Dezember veröffentlicht hat.