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Brüssel trauert - und jagt die Täter

Bernd Riegert25. März 2016

Die Polizei in Belgien sucht fieberhaft nach weiteren Attentätern. In Brüssel normalisiert sich das Alltagsleben langsam. Die Terrorwarnstufe wurde abgesenkt. Bernd Riegert aus Brüssel.

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Belgien Brüssel Eingang zur Metro Station Maelbeek
Bild: DW/B. Riegert

In der U-Bahn-Station Maelbeek, die am Dienstag von ein oder zwei Terroristen durch Bomben verwüstet wurde, laufen die Aufräumarbeiten an. Die 20 Toten sind geborgen. Die forensischen Ermittlungsteams, die im U-Bahn-Schacht und in dem zerfetzten Waggon nach Spuren suchen, arbeiten weiter. Die Straßensperren rund um Maelbeek sind aufgehoben, der Verkehr rollt wieder. Arbeiter der Verkehrsgesellschaft STIB schieben am Nachmittag das Rolltor an einem der Eingänge hoch und begutachten den Schaden.

Zum ersten Mal können auch die Reporter, die vor der U-Bahn-Station ihre Kameras aufgebaut haben, einen kurzen Blick auf zersplitterte Glastüren und zerbeulte Fahrgastschranken werfen. Man ahnt, wie heftig die Explosion ein Stockwerk tiefer am Bahnsteig gewesen sein muss. An der Eingangstür haben Passanten und Pendler, die dem Anschlag knapp entkamen, Blumen und Karten niedergelegt.

Das größte spontane Mahnmal ist auf dem Platz vor der Börse im Zentrum entstanden. Ein Blumen- und Kerzenmeer, um das zu jeder Tages- und Nachtzeit Hunderte Menschen stehen. Am Freitag sang der flämische Rundfunkchor die Europa-Hymne "Ode an die Freude" auf den Stufen des klassizistischen Gebäudes. Am Sonntag sollen Tausende auf dem Platz mit einer "sitzenden" Demonstration, möglichst in die Nationalfarben Belgiens, Schwarz, Gelb, Rot, gekleidet, an die Opfer erinnern. Deren Namen werden nach und nach bekannt. Belgische Medien veröffentlichen Bilder und Lebensläufe, zum Beispiel von einem belgischen Studenten, einer peruanischen Mutter und einem Geschwisterpaar aus den Niederlanden, die beim Attentat auf den Flughafen Zaventem ermordet wurden.

Belgien Brüsseler Philharmoniker
Mit Musik gegen den Terror: Konzert auf der Treppe der Brüsseler BörseBild: Reuters/V. Kessler

Deutsches Opfer identifiziert

Die deutsche Polizei teilte inzwischen mit, dass auch eine Frau aus Aachen unter den Todesopfern ist. Die Frau galt zunächst als vermisst. Jetzt gibt es traurige Gewissheit. Insgesamt sind über 40 Nationalitäten unter den Todesopfern und Verletzten. Der amerikanische Außenminister John Kerry war am Freitag in Brüssel, um Belgien sein Mitgefühl auszudrücken und sich über das Schicksal amerikanischer Bürger zu informieren. Die Attentäter zündeten ihre Bomben in der Abflughalle an den Schaltern von amerikanischen Fluggesellschaften, die gerade mit dem Einchecken für Transatlantikflüge begonnen hatten. John Kerry legte vor der Abflughalle einen Kranz nieder und dankte Feuerwehrleuten und Rettungskräften für ihren Einsatz. Belgien sagte er mehr Unterstützung beim Kampf gegen die "IS"-Terroristen zu. "Wir werden nicht ruhen, bevor wir eure nihilistischen und feigen Ansichten vom Antlitz der Erde getilgt haben", sagte Kerry direkt an die Terroristen gewandt.

Belgien Nach Terroranschlägen in Brüssel - Flughafen Zaventem
Zerstörte Schalterhalle am Flughafen ZaventemBild: Reuters/F. Sierakowski

Wann wieder Flugzeuge in Zaventem abgefertigt werden können, ist noch unklar. Die Schalterhalle wurde teilweise zerstört. Die großen Fluggesellschaften rechnen nicht vor Ende der Woche mit einem normalen Flugbetrieb. Am dritten Tag nach den Anschlägen durften Fluggäste ihre Autos aus den Parkhäusern des Flughafens abholen, wenn sie ein Parkticket und die Fahrzeugpapiere vorweisen konnten. Ein Teil der mehrere tausend Gepäckstücke, die zum Zeitpunkt des Anschlags in den Verteilanlagen und Flugzeugen verladen waren, wurde zu einem Hotel in der Nähe des Flughafens transportiert. Dort sollen die Passagiere nun nach ihren Koffern und Taschen suchen.

Die U-Bahnen fahren bis auf wenige Ausnahmen wieder. Geschäfte können öffnen, öffentliche Veranstaltungen finden statt, nachdem der Nationale Sicherheitsrat die Terrorwarnstufe von 4 auf 3 gesenkt hat. Die Brüsseler hoffen auf ein möglichst ruhiges Osterwochenende.

Weitere Festnahmen und Durchsuchungen

Am Freitag durchsuchte die belgische Polizei wieder einige Wohnungen in verschiedenen Brüsseler Stadtteilen. Mehrere Personen wurden festgenommen. Ob einer der noch flüchtigen Attentäter darunter war, hat die Staatsanwaltschaft nicht bestätigt. Gesucht wird "der Mann mit dem schwarzen Hut", der auf einem Foto der Überwachungskameras im Flughafen zu sehen war. Außerdem gibt es Vermutungen, dass ein zweiter Attentäter den Anschlag in der U-Bahn-Station Maelbeek überlebt haben könnte. Auch nach ihm wird angeblich gefahndet. Am Nachmittag verhaftete die Polizei vor laufenden Fernsehkameras einen Mann am Platz Meiser in Brüssel-Schaerbeek, der dabei offenbar angeschossen wurde. Zuvor hatte der Mann eine Frau und ihre kleine Tochter kurzzeitig an einer Straßenbahnhaltestelle als Geiseln genommen. Mit einem Roboter untersuchte die Polizei das verdächtige Gepäck des Tatverdächtigen. "Das ist ein großer Fisch, der mit den Anschlägen in Brüssel und vereitelten Attentaten in Paris zu tun hat", mutmaßte der Bürgermeister von Schaerbeek, Bernard Clerfayt.

Die belgische Staatsanwaltschaft bestätigte mittlerweile, worüber in den Medien schon gestern spekuliert wurde: Der zweite Selbstmord-Attentäter auf dem Flughafen Zaventem ist Naijm Laachraoui. Er war bereits an den Angriffen auf die Musikhalle Bataclan am 13. November 2015 in Paris beteiligt. Laachraoui gilt als der Bombenbauer der Gruppe, der die Sprengstoffgürtel präpariert hat.

Fahndungspannen und Versäumnisse

Die Diskussion über ein mögliches Versagen der belgischen Sicherheitskräfte bei der Suche nach Terroristen nimmt derweil an Fahrt auf. Am Freitag musste sich Innenminister Jan Jambon in einer Anhörung unbequemen Fragen der Parlamentsabgeordneten stellen. Jambon hatte tags zuvor seinen Rücktritt angeboten. Regierungschef Charles Michel lehnte diesen jedoch ab. Er könne "in der jetzigen Lage keine Regierungskrise und kein Innenministerium ohne Führung gebrauchen", hieß es dazu aus belgischen Regierungskreisen. Jambon übernahm die Verantwortung dafür, dass 2015 der vorzeitig aus der Haft entlassene Ibrahim El Bakraoui von Belgien in die Türkei ausreisen konnte. Dort wurde er als Terrorverdächtiger verhaftet und in die Niederlande abgeschoben, wo sich seine Spur verliert. Weder niederländische noch belgische Beamte kümmerten sich um den Fall. Ibrahim El Bakraoui ist einer der Männer, die sich am Dienstag am Flughafen in die Luft sprengten, elf Menschen töteten und Hunderte verletzten. Ungeklärt ist bisher, warum die belgische Polizei sich nicht für El Bakraoui interessierte, obwohl der zum Zeitpunkt seiner Türkeireise gesucht wurde, weil er gegen Bewährungsauflagen verstoßen hatte.

Terror in Brüssel - ein Augenzeuge berichtet

Auch bei der Fahndung nach dem inhaftierten Attentäter von Paris, Salah Abdeslam, gab es eine gravierende Panne. Der Polizeichef der Stadt Mechelen in der Nähe von Brüssel gestand ein, dass seiner Behörde der Aufenthaltsort des mutmaßlichen Terroristen in Brüssel schon länger bekannt war. Die Polizei hatte einen Tipp bekommen. Der Polizeichef hatte aber entschieden, den nicht weiter an die Kollegen in Brüssel zu melden. Salah Abdeslam war vor einer Woche im Stadtteil Molenbeek unweit seines Elternhauses verhaftet worden. Er konnte fünf Monate lang in Brüssel untertauchen und hatte Verbindung zu den mindestens fünf Attentätern, die am Dienstag am Flughafen und in der U-Bahn zuschlugen.

"Belgischer Polizei fehlen die Mittel"

Der belgische Terrorismus-Experte Claude Moniquet vom "Europäischen strategischen Gemeindienst- und Sicherheitszentrum" sagte dazu der Deutschen Welle, die belgische Polizei sei nicht unwillig, aber überfordert. "Etwa 3500 Stellen in der belgischen Polizei fehlen, damit sie wirklich effektiv arbeiten kann. Sie ist durch den rechtlichen Rahmen eingeschränkt. Die Geheimdienste sind einfach zu klein in diesem kleinen Land", sagte Claude Moniquet. "Andererseits hat die belgische Polizei 2012 zum ersten Mal den europäischen Kollegen das Problem der reisenden Dschihadisten, die aus Syrien heimkehren, bewusst gemacht."