Schwierige Vergangenheit
13. März 2008Fast 50 Jahre lang hat der kommunistische Geheimdienst Dhurjavna Sigurnost Bürgerinnen und Bürger der Volksrepublik Bulgarien bespitzelt und die Informationen in Akten angelegt. Ende der 80er Jahre verordnete sich die kommunistische Staatsführung Bulgariens eine "Wende" - die Bulgarische Kommunistische Partei gab sich einen neuen Namen, taufte die 'Volksrepublik' in 'Republik Bulgarien' um und schaffte die bulgarische Stasi offiziell ab. Ihre offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter bekamen Posten in der Politik und in Führungspositionen der bulgarischen Wirtschaft. Die Geheimdienstakten liegen seitdem weitgehend unter Verschluss, verwaltet von so genannten Nachfolgeorganisationen des Dienstes.
Nach viel Streit und Diskussion im bulgarischen Parlament sollen die Akten nun, 17 Jahre nach der "Wende", erforscht und öffentlich zugänglich gemacht, Namen von Mitarbeitern und Spitzeln im Internet veröffentlicht werden. Ein Gesetz für "Zugang und Deklassifizierung der Dokumente und Offenlegung der Beziehungen bulgarischer Bürger zum früheren Staatssicherheits- und Nachrichtendienst der Bulgarischen Volksarmee" trat am 1. Januar 2007 in Kraft - an dem Tag als Bulgarien der EU beitrat.
Neun Kommissare mit Provisorium
Valeri Katsunov ist Mitglied der Kommission für die Offenlegung der bulgarischen Stasi-Akten. Voriges Jahr im April hat er mit acht weiteren Kommissaren seine Arbeit aufgenommen: in einem kleinen, provisorisch hergerichteten Raum im Parlamentsgebäude "Wir verfügen über Macht und über Freiheit aber nicht über Ressourcen. Aber für Bulgarien ist das normal", sagt er.
Die Kommission hat den Auftrag, bulgarische Politiker, Fernsehmoderatoren, Direktoren von Schulen und Universitäten auf eventuelle Mitarbeit beim kommunistischen Geheimdienst zu überprüfen. Die Akten lagern allerdings in neun verschiedenen Archiven und werden von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern verwaltet. Jedes Dokument, das die Kommission prüfen will, muss dort beantragt werden. Ekaterina Bontschewa, ebenfalls Kommissionsmitglied, hat noch keines dieser Archive von innen gesehen.
Staatspräsident mit frisierter Akte
"Wir bitten nicht, wir betteln nicht, wir fordern. Denn wir haben laut Gesetz die Verfügungsgewalt über die Akten", erläutert sie. "Wir werden ein zentrales öffentliches Archiv schaffen, und das wissen alle diese Dienste und Institutionen." Diese wüssten, dass es keinen anderen Weg gibt."
Laut Gesetzesfrist müsste es dieses Archiv längst geben, doch die Regierung findet angeblich keine passende Immobilie. Immerhin durfte die Kommission vor kurzem ein eigenes Büro beziehen. Und trotz widriger Umstände veröffentlichte sie die Namen mehrerer ehemaliger Stasi-Mitarbeiter: Darunter sind bulgarische Kommunalpolitiker – und auch der Staatspräsident des Landes, Georgi Parvanov. Dessen Akte belegt eine Tätigkeit für die bulgarische Auslandsaufklärung, obwohl die Dokumente in den 90er Jahren offenbar "nachbearbeitet" wurden, wie Valeri Katsunov erzählt: "Bei seiner Akte sieht man deutlich, dass die Seitennummern geändert worden sind. Wir stellten fest, dass es drei Mal zu 'Änderungen' gekommen ist."
Nachdem die Kommissionäre diesen Ordner studiert hatten, bekamen sie aus dem Archiv der früheren Auslandsaufklärung einen weiteren. Darin wird Parvanov als "Experte" und "Berater" bezeichnet, nicht aber als Mitarbeiter. Eine Fälschung, um das Ansehen des Präsidenten zu retten? Valeri Katsunov mag die Frage nicht direkt beantworten. "Man kann Informationen immer fälschen und manipulieren, und die Leute bei den Diensten sind nun einmal Experten auf dem Gebiet", sagt er. Eine unvoreingenommene Lektüre der Parvanov-Akte zeige aber, dass er Mitarbeiter gewesen ist. "Und seine Akte steht im Internet."
Bulgaren verlieren Glauben an Aufarbeitung
In Bulgarien regt sich kaum jemanden darüber auf. Präsident Parvanov ist nach wie vor im Amt. Er habe die Auslandsaufklärung in einer wichtigen außenpolitischen Frage fachlich beraten und somit als Patriot gehandelt, sagen er und seine Genossen von der Bulgarischen Sozialistischen Partei.
Als sich der bulgarische Kommunismus Anfang der neunziger Jahre selbst abschaffte, wurden auch Geheimdienstakten vernichtet - wie viele? Weiß man nicht. Ein erster Anlauf, die Dossiers öffentlich zu machen, wurde im Jahr 2002 nach einem Regierungswechsel abgebrochen. Opfer des bulgarischen Geheimdienstes konnten bisher mit Glück oder Beziehungen an ihre Akten kommen - ein geordnetes Verfahren gab es nicht. Die Täterakten bekam man nur auf dem Schwarzmarkt: ein teuer gehandeltes Mittel, um politische Gegner zu diskreditieren. Wenige Bulgaren glauben überhaupt noch an den Nutzen einer Aufarbeitung der Stasiakten.
Aber die Kommissare lassen sich nicht entmutigen. Obwohl die Gründung eines öffentlichen Archivs nicht in Sicht ist, und die Regierung den Prozess weiter verschleppt. Valeri Katsunov und seine Kollegen behelfen sich bis auf Weiteres mit Tricks. "Wir verfahren jetzt so, dass wir die Akten, die wir aus den verschiedenen Quellen bekommen haben, bei uns aufbewahren und nicht zurückgeben."