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Bundespräsident debattiert über Impfpflicht

12. Januar 2022

Reden statt abkanzeln. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sucht den Dialog über das Streitthema Corona-Impfpflicht; auch mit Kritikern der geplanten Maßnahme.

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Steinmeier Diskussionsrunde mit Bürgern und Bürgerinnen zur Impfpflicht
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (Mitte) im Gespräch mit BürgernBild: Chris Emil Janßen/imago images

Die Debatte kommt zur rechten Zeit. Nur einige hundert Meter von Schloss Bellevue entfernt wird im Deutschen Bundestag über eine generelle Impfpflicht in Deutschland diskutiert, da hat auch der Bundespräsident zum Thema "Pro und Contra einer Impfpflicht" in seinen Amtssitz eingeladen. Sieben Bürgerinnen und Bürger sind dabei; drei anwesend und vier weitere per Video zugeschaltet. Eine Impfgegnerin hatte kurzfristig abgesagt.

Es ist der Tag, an dem Deutschland einen neuen Rekord bei den Infektionszahlen erreicht: 80000 Infizierte. Und es ist der Tag, an dem der Bundespräsident eine Diskussion um die Impfpflicht anmahnt, die er an diesem Mittag führen will: "Eine solche außerordentliche Maßnahme stellt unseren Staat auch in eine außerordentliche Pflicht vor seinen Bürgerinnen und Bürgern. Kurz gesagt: Impfpflicht bedeutet Debattenpflicht", verkündet Steinmeier von seinem Rednerpult aus.

Steinmeier Diskussionsrunde mit Bürgern und Bürgerinnen zur Impfpflicht
Pro oder contra Impfpflicht? Dazu will sich Bundespräsident Steinmeier nicht äußernBild: Chris Emil Janßen/imago images

Und noch eines macht Frank-Walter Steinmeier gleich klar: "Als Bundespräsident werde ich mich in dieser Runde nicht zum Ja oder Nein einer allgemeinen Impfpflicht positionieren." Und dabei bleibt er auch. Ganz anders als die geladenen Gäste.

Impfskeptiker dominieren die Gesprächsrunde

"Eine Impfpflicht ist nicht geeignet, die Pandemie zu stoppen", sagt Gudrun Gessert. Sie ist geimpft und Lehrerin aus Baden-Württemberg und wird diese Debatte dominieren. Und sie legt gleich nach: "Es sollte endlich Schluss sein mit der Polarisierung von geimpft und nicht-geimpft. Das ist Sprengstoff für die Gesellschaft."

Genau das wollte der Bundespräsident: Debatte. Kaum hat er sich in die Runde gesetzt, hat er sie auch schon. Und mehrfach läuft sein Gesicht hochrot an, wenn sich Gudrun Gessert zu Wort meldet. Und dann bricht es aus ihm heraus, als sie wieder einmal Zahlen und Daten präsentiert, die sie für wissenschaftlich erwiesen hält. "Nee, das glaube ich nicht", fällt ihr der Bundespräsident ins Wort.

Auch Oliver Foeth hatte, wie Gudrun Gessert, dem Bundespräsidenten geschrieben, dass er Redebedarf habe. Der Importeur, zugeschaltet aus Bamberg, schlägt in die gleiche Kerbe: "Impfzwang, Impfpflicht. Das sehe ich als problematisch." Dagegen stehe schon die "körperliche Unversehrtheit". Außerdem sei die Wirksamkeit immer neuer Impfstoffe "höchst fragwürdig". Für Foeth ist klar: "Die Entscheidung für eine Impfung muss frei bleiben." Foeth und Gessert betonen glaubhaft, sie seine keine Corona-Leugner.

Wer ungeimpft ist, will es auch bleiben

Steinmeier versuchte immer wieder, die Vorbehalte vor allem mit dem Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu kontern. Die Experten aus der Runde kamen ihm da zur Hilfe, hatten aber auch nicht nur Positives zu vermelden. "60 bis 70 Prozent der bislang Ungeimpften wollen sich nicht impfen lassen", berichtet die Heidelberger Professorin Cornelia Betsch ernüchtert. "Sehr viele haben einfach Angst vor dem Impfen", ergänzt sie. "Dadurch wird es sehr emotional. Eine Impfpflicht löst bei den Menschen ein Gegengefühl aus."

Steinmeier appellierte an die Solidarbereitschaft auch der Impfskeptiker. In jeder Abwägung für oder gegen die Impfung müsse berücksichtigt werden, dass es ein gesellschaftliches Interesse gebe, "die Zahl der Todesfälle kleiner zu halten".

Bundespräsident Steinmeier moderiert die Runde, hält sich ansonsten weitestgehend zurück. Und er scheint sichtbar erleichtert, als die Kölner Krankenschwester Ellen Schaperdoth endlich das Wort ergreift: "Wenn wir wissen, dass Impfungen Infektionen vermeiden, gehört es für mich zur Selbstverständlichkeit, sich impfen zu lassen", sagte die Frau aus Köln. Sie halte auch die Impfpflicht für das Pflegepersonal, die ab Mitte März greift, für richtig.

Symbolbild I Impfpflicht
Wahrscheinlich kommt eine Impfpflicht in DeutschlandBild: Eibner-Pressefoto/EXPA/Feichter/imago images

Auch Sigrid Chongo, Leiterin eines Seniorenpflegezentrums aus Berlin, stimmte ein. Es gehe doch um den "Schutz für die Bewohner und für sich selbst".

Der Lehrer Sven Elk Winter aus Berlin berichtete: "Die meisten Kollegen sind offen für eine Impfpflicht." Und auch bei den Schülern sei es so, dass immer mehr geimpft seien.

Doch gegen die Impfskeptiker kamen die Experten in der Runde kaum an. Kai Nagel, Berliner Professor und Experte für Mobilitäts-Modelle, hielt dagegen, dass eine Impfung das Ansteckungsrisiko zumindest minimiere. "Wenn ich die Infektion zulasse, entstehen Ketten und darin schwere Verläufe", sagte er. Dies könne man mit der Impfung verhindern, "etwa so, wie ich mein Auto zum TÜV bringe." Er glaubt, dass Impfstoffe in Zukunft immer wieder angepasst werden müssten.

Mut zum Dialog

Frank-Walter Steinmeier intervenierte nur selten, überließ es den Teilnehmern, ihre Argumente auszutauschen. Schon seit längerem lädt der Bundespräsident immer wieder zu Gesprächskreisen wie der "Kaffeetafel" oder der "Bürgerlage" ein. In Pandemiezeiten sucht er das Gespräch. Auch Politiker der rechtspopulistischen AfD waren schon darunter. In einer Erklärung des Präsidialamtes heißt es, dem Bundespräsidenten gehe es darum, "unmittelbar und über einen längeren Zeitraum zu hören, wo seine Gesprächspartner in dieser besonderen Zeit Herausforderungen und Probleme zu sehen, welche Sorgen sie haben, aber auch, welche Fortschritte und Erfolge aus ihrer Sicht seit dem Ausbruch der Pandemie zu verzeichnen sind."

Am Ende loben alle Gesprächsteilnehmer den offen Austausch mit dem Bundespräsidenten. Sogar die teils sehr vehement aufgetretene Gudrun Gessert findet nach zwei Stunden Debatte lobende Worte: "Politiker sollten ihrem Beispiel, Herr Präsident, folgen und mehr Meinungspluralität ermöglichen."

Bundespräsident ruft zum Zusammenhalt auf

 

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online