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Politik

Steinmeier auf der Seite der Bürgermeister

10. Juli 2019

Fast jeder zweite Politiker in Deutschland wird bedroht. Bundespräsident Steinmeier ist deswegen besorgt. Einige der Betroffenen hat er ins Schloss Bellevue eingeladen - um ihnen den Rücken zu stärken.

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Steinmeier trifft Kommunalpolitikern
Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Nächtliche Anrufe, ein Galgen im Vorgarten, gelöste Radschrauben am Auto, Ängste, im Dunklen auf die Straße zu gehen, fehlende Polizisten und Staatsanwaltschaften, die gegen Rechtsextremisten nicht ermitteln: Es sind viele kleine Erlebnisse, von denen die 14 geladenen Kommunalpolitiker Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier berichten. Zusammen ergeben ihre Erzählungen ein erschreckendes Bild. Für Burkhard Jung, Oberbürgermeister von Leipzig und seit kurzem Präsident des Deutschen Städtetages, ist die Entwicklung nicht neu. Für ihn begann sie vor zehn Jahren, lange bevor tausende von Flüchtlingen in Deutschland Schutz suchten. "Erst war das Wort, aber die Tat nicht mehr weit entfernt", so Jung. Waren es anfangs anonyme Hasskommentare und Schmähungen im Netz, habe es 2018 schon 1200 Angriffe auf politische Amtsträger gegeben.

Verfasser von Hass-Mails ohne Hemmungen

Die Verfasser von Drohungen nennen mittlerweile kühl ihren richtigen Namen. Andreas Hollstein, Bürgermeister der Kleinstadt Altena in Nordrhein-Westfalen, bekommt regelmäßig Morddrohungen. Wegen seines Engagements für Flüchtlinge sticht 2017 ein Mann auf ihn ein. Die Staatsanwaltschaft, so Hollstein, habe 8000 Hasskommentare an ihn ausgewertet. 90 waren strafrelevant. Die Namen der Täter sind bekannt. Verfahren gab es keine.

Kurzes Schweigen im Besprechungszimmer des Bundespräsidenten. Der Bürgermeister einer anderen Gemeinde erzählt, dass es vor seinem Rathaus eine rechte Demonstration gab. Er selbst nahm an der Gegendemonstration teil. Als er die Polizei aufforderte, etwas gegen das Zeigen des Hitlergrußes zu unternehmen, weil das in Deutschland strafbar sei, sagten ihm die Beamten, sie hätten die Anweisung, auf die Gegendemonstranten zu achten. Den anderen Bürgermeistern ist nach diesen Erzählungen die Frustration und Ratlosigkeit deutlich anzumerken, ebenso das Unverständnis, dass sich der Staat nicht gegen die rechte Gewalt wehrt.

Der Mord an Walter Lübcke - eine Zäsur

Mit der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke aber hat die Bedrohung eine neue, brutale Dimension erreicht. Lübcke war am 2. Juni auf der Terrasse seines Hauses erschossen worden. Der Generalbundesanwalt geht von einem rechtsextremen Hintergrund aus. Für den Bundespräsidenten stellt die Tat eine Zäsur dar.

Deutschland Trauerfeier für getöteten Regierungspräsidenten Lübcke
Mutmaßlich von einem Rechtsextremen ermordet: Regierungspräsident Walter LübckeBild: picture-alliance/dpa/S. Pförtner

Das sei eine Tat, so Steinmeier, die über den Tod von Walter Lübcke hinausgehe, denn es gehe um den Schutz des Rechtsstaates. Viele tausend ehrenamtliche Gemeindevertreter und Bürgermeister würden dafür sorgen, dass der Staat funktioniere. In ihrer Freizeit und nach Feierabend würden sie sich um marode Freizeitbäder, Bauanträge und vieles andere kümmern.

Große Nachwuchsorgen in den Kommunen

Dies müsse wieder ins Bewusstsein der Gesellschaft. Die Bürgermeister erleben jedoch etwas völlig anderes. Sie fühlen sich als Blitzableiter für alles, was Bundes - oder Landesregierung beschließen - mit einem Unterschied, auf den Steinmeier gleich zu Beginn hinweist: Sie leben vor Ort, sie brauchen den Kontakt zum Bürger. Und der weiß, wo sie wohnen, wo sie ihr Auto abstellen, in welche Kita die Kinder gehen. Ein altgedienter Bürgermeister in der Runde erklärt damit die Nachwuchssorgen der Kommunen. Wer Kinder hat, will diese nicht der Gefahr aussetzen. Also lehnen immer mehr junge Menschen die politische Verantwortung in ihrer Gemeinde ab. Nicht jeder ist so mutig wie Andreas Hollstein, der seine Frau und die vier Kinder hinter sich weiß und sich nicht einschüchtern lassen will.

Verbarrikadiert im Rathaus

Es sind nicht nur die Bürgermeister, die bedroht werden. Übereinstimmend berichten die Kommunalpolitiker, dass ihre Mitarbeiter in der Verwaltung, in den Jobcentern, die Feuerwehr und die Rettungsdienste angegriffen werden. Mittlerweile breite sich dort Angst aus bis dahin, dass Mitarbeiter berufsunfähig geschrieben werden müssten.

Andreas Hollstein
Wird immer wieder bedroht: Andreas Hollstein, Bürgermeister von AltenaBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Eine bayerische Bürgermeisterin berichtet, dass sie die Tür des Rathauses abschließt, wenn sie allein dort ist. Oft, so ihre Beobachtung, sei die große Aggression gar nicht politisch motiviert. Eher hätten immer mehr Bürger das Gefühl, sie kämen zu kurz und müssten für ihr Recht kämpfen, notfalls auch mit Drohungen und Gewalt - und stürmen dann das Rathaus.

Wie umgehen mit der Bedrohung?

Uneinig waren sich die Bürgermeister, wie mit den Drohungen umzugehen sei. Silvia Kugelmann, Erste Bürgermeisterin im bayerischen Kutzenhausen, konnte die Hasskommentare und die Bedrohung ihrer Familie irgendwann nicht mehr ertragen. Also machte sie diese öffentlich. Viele in ihrer Gemeinde hat es erschreckt, was bei ihnen los ist. Die Drohungen haben seitdem abgenommen. Der Bürgermeister einer sehr viel größeren Gemeinde will seine Bedrohungslage nicht öffentlich machen. Seine Begründung: Die Rechten könnten es als Schwäche auslegen, Nachahmer und Trittbrettfahrer könnten animiert werden.

Jeder Fall sollte gemeldet werden

Burkhard Jung, der Präsident des Deutschen Städtetages, fordert dagegen dringend dazu auf, jeden, aber auch jeden Fall zu melden und jeden Fall zu ahnden. Dazu will er sich bald mit dem Deutschen Richterbund und den Staatsanwaltschaften zusammensetzen. Ohnehin sieht er die Angriffe auf die Kommunalpolitiker nur als einen Teil der Strategie der europäischen Rechtsextremen.

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung  -  Protest gegen Legida
"Leipzig zeigt Courage": Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD)Bild: picture alliance/dpa/P. Endig

Zur Destabilisierung Europas gehöre auch die Destabilisierung der Kommunen und Gemeinden. Und gerade die wären oft sehr schutzlos. Was tun gegen Bots, Hass und Desinformation, wenn das eigene kleine Rathaus noch nicht einmal eine eigene Homepage hat, um die Bürger zu informieren? Der Bundespräsident hat mit diesem Treffen zeigen wollen, dass er die Kommunalvertreter unter seinen Schutz stellt. So haben es die meisten nach dem Gespräch verstanden. Es war für sie eine wichtige Geste - gerade weil sie allein dafür, dass sie seiner Einladung folgten, jede Menge Drohmails bekamen.